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«Kirschs Blüten»: Libyen, nein danke

Stell Dir vor, es gibt eine historische Revolution und keiner kriegt’s mit – weil das deutsche Nachrichtenfernsehen pennt.

Das deutsche Nachrichtenfernsehen hat sich wieder einmal von seiner besten Seite gezeigt: Stell Dir vor es gibt eine bedeutende Revolution und keinen Sender interessiert’s. So geschehen am späten Sonntagabend beziehungsweise in der Nacht zum Montag. In Libyen stürzten die Rebellen den dortigen Machthaber Muammar al-Gaddafi. Nach 42 Jahren endete das Regime des Wüsten-Diktators. In der libyschen Hauptstadt Tripolis jubelten tausende Menschen. Im deutschen Fernsehen war in der Nacht zum Montag davon nichts zu sehen. Der Umsturz in Libyen interessierte scheinbar weder die öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF noch die Nachrichtensender n-tv und N24. Zumindest zu dieser Uhrzeit. Am frühen Morgen wurde natürlich berichtet. Doch in der geschichtsträchtigen Stunde der erfolgten Rebellen-Revolution gab es höchstens eine kurze Notiz im Laufband der Nachrichtensender, das die Zuschauer darauf aufmerksam machte, dass was geschehen ist.

Wer sich mit der Thematik und dem historischen Moment in Libyen auseinandersetzen wollte, musste auf den englischsprachigen Kanal von Al-Dschasira ausweichen. Der berichtete in großer Ausführlichkeit. Zwar war es auch dem Sender aus dem arabischen Raum nicht auf Anhieb möglich genügend Bildmaterial aufzutreiben, doch man berichtete im Minutentakt. Ebenso die britischen Sender Sky News oder BBC. Man behalf sich irgendwie, um den Zuschauer auf dem Laufenden zu halten. Schließlich ist der Umsturz in Libyen – nach 42 Jahren Gaddafi-Diktatur gibt es erstmals einen Machtwechsel – hierzulande durchaus vergleichbar mit dem Mauerfall in Berlin. Denn die Revolution in Libyen war ein historisches Ereignis, dem man sich als seriöser, ernst zu nehmender Nachrichtenkanal eigentlich nicht verwehren dürfte. Dumm nur, dass die Rebellen gerade dann das Gaddafi-Regime stürzen, wenn die Mitarbeiter von ARD/ZDF sowie n-tv/N24 nicht im Büro sind. Doch Geschichte schert sich nicht um Bürozeiten. Da muss live berichtet werden, auch wenn es eben in der Sonntagnacht ist. Man muss den Mut haben, das Programm zu unterbrechen, um den eigenen Anspruch an Aktualität zu wahren. Man muss das Versprechen an den Zuschauer, ihn rundum die Uhr auf dem Laufenden zu halten, stärken und der eigenen journalistischen Pflicht nachkommen, um die Seriosität als vollwertiger Nachrichtenkanal oder öffentlich-rechtlicher Sender mit qualitativ und quantitativ hochwertigen Nachrichtenfernsehen zu wahren.

Doch nicht zum ersten Mal hat uns das deutsche Nachrichtenfernsehen in dieser Hinsicht enttäuscht. Auch bei einer Rede des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mubarak, die am späten Abend gehalten wurde, reagierten die Sender damals nicht. Und so lässt sich die Reihe der nächtlichen Ereignisse, bei denen das deutsche Nachrichtenfernsehen regelrecht versagt hat, fortsetzen. Sicherlich informierte man via Laufband, sicherlich ganz Agenturen-Meldungen auf den Websites. Doch sind eben keine Moderatoren und Produktionsleute im Haus, die eben mal schnell eine Sondersendung abfahren könnten. Und extra aus dem Bett klingeln will man sie für eine Revolution in Libyen auch nicht. Es bedürfe einer Sonderschicht in der Nacht, um auf solche Ereignisse in gleichem Maß reagieren zu können wie man es am Tag machen würde. Doch schon hier fängt das Dilemma an. Vielen Redaktionen ist das zu kostspielig. Auch gibt es nicht jeden Tag nächtliche Ereignisse, die einer Sondersendung bedürfen. Die Alternative ist der Bereitschaftsdienst der Nachrichtenredakteure und – Moderatoren. Doch in Teilen wird diese Praxis schon angewandt.

Warum also scheitert das Nachrichtenfernsehen regelmäßig und so zuverlässig? Das ist vielmehr als eine Frage der Rentabilität als des Könnens. Gerade bei den privaten Nachrichtensendern. Bildmaterial ist zwar vorhanden, um einen Bericht abzuliefern. Doch das muss auch kostspielig eingekauft werden und versendet sich dann doch nur in der Nacht, weil niemand zuschaut. Würde der maue Nachrichtenmarkt in Deutschland mehr hergeben, hätten die Nachrichtenkanäle auch mehr Spielraum. Doch das darf gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen keine Entschuldigung sein, zumal hier mit Gebührengeldern gearbeitet wird. Und zumindest eine außerplanmäßige «Tagesschau» oder ein irreguläres «heute» sollte doch drin sein. Damit wir bei geschichtsträchtigen Ereignissen nicht länger in die Röhre gucken müssen.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de!
23.08.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/51572
Jürgen Kirsch

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Kirschs Blüten

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