Die Serie sollte auf den Zug der Teenfantasy-Romanverfilmungen aufspringen, verfehlt ihr Ziel aber bislang.
Im Herbst 2008 brandete eine Teenie-Welle in den weltweiten Kinos als mit «Twilight» der erste Film der Romanreihe von Stephenie Meyer an den Start ging. Ein Jahr später gelang dem kleinen US-Network The CW mit «The Vampire Diaries», der Umsetzung der gleichnamigen Buchreihe von L. J. Smith, einer der größten Erfolge seiner Sendergeschichte. Klar, dass vor allem die auf sehr junge Zuschauer fixierten Sender seither am Ball bleiben wollen, was die Verfilmung bei der Jugend populärer Fantasy-Romane angeht. Während The CW ab kommenden Herbst mit «The Secret Circle» eine weitere Adaption von Romanen von L. J. Smith auf die Bildschirme bringt, sicherte sich der ABC Family die Rechte an «The Nine Lives of Chloe King» von Liz Braswell.
Im Juni startete die Serie schließlich in vorerst zehn Folgen. Im Mittelpunkt Highschool-Schülerin Chloe King, nach dem Verschwinden ihres Vaters alleine von der Mutter aufgezogen, die an ihrem 16. Geburtstag feststellen muss, dass sie anders ist als die Menschen um sie herum. Chloe entwickelt ein enormes Gehör, die Fähigkeit zur Empathie, katzenhafte Fertigkeiten im Klettern und Springen sowie enorme Reflexe. Zudem kann sei Gefahr scharfe Krallen ausfahren. Doch ihr Dasein als Mitglied der sogenannten Mai hat nicht nur gute Seiten, denn Chloe weiß noch nichts über die Gefahr, die sie für die Menschen bedeuten kann - bis jemand stirbt.
Klar zeichnet die Entstehungsgeschichte nach, dass hier mit der Kombination aus Teendrama, Fantasy-Elementen und beliebter Romanvorlage der nächste große Hit von vornherein kalkuliert werden sollte. Das bedeutet jedoch nicht, dass «Chloe King» keine Eigenständigkeit hat oder Potential, sich eine solche zu entwickeln. Für den Anfang bleibt aber doch alles recht formalistisch. Chloes neue Fähigkeiten werden in einem rasanten Tempo abgehakt, der erste Bösewicht, die erste Prügelei, der erste Herzschmerz - alles findet sich in der Pilotfolge, die trotz allem nicht zu überladen wirkt. Denn um tiefer in die Mythologie einzusteigen, muss man sich ein wenig gedulden - erst in den weiteren Folgen wird diese mehr in den Vordergrund gestellt. Über vage Prophezeiungen geht es in den ersten sechs Folgen allerdings nicht heraus.
Den Kern der Serie bildet allerdings ohnehin das Drama, das aus Chloes neuer Lebenssituation bezogen wird: Eine verhinderte Beziehung, die für Chloes Schwarm tödlich enden könnte, ein Doppelleben, von dem die eigene Mutter, die wichtigste Bezugsperson in Chloes Leben, nichts erfahren darf, ein Balanceakt zwischen Mai-Familie und Freundeskreis, in dem zwangsläufig jemand zu kurz kommen muss. Punkten kann «Chloe King» in den Nebenrollen. Paul, der Comicfan, der in Chloe die Verkörperung seiner Superheldenträume gefunden hat, ist genau wie Chloes überdrehte beste Freundin Amy eine gelungene Karikatur typischer Highschool-Rollen.
Ein würdiger «Buffy»-Nachfolger, zu dem die Serie von manchen Seiten schon geschrieben wurde (wie bereits dutzende Serien zuvor), ist «Chloe King» mit Sicherheit nicht. Dazu fehlt es den Charakteren an Ecken und Kanten und reizt die Serie ihr Potential bei weitem nicht aus. Insbesondere fällt auch die ziemlich lausige Choreographie der Kampfszenen ins Auge, die auch durch wilde Schnitte nicht ausreichend kaschiert werden kann. Ob ABC Family «The Nine Lives of Chloe King» über die ersten zehn Folgen hinaus die Zeit einräumen wird, sich weiter zu entwickeln, ist alles andere als sicher. Trotz riesiger Werbekampagne fiel der Start verhalten aus, aktuell verliert die Serie über die Hälfte der Zuschauer von «Pretty Little Liars» im Vorprogramm.
Zwei Tode werden in der Pilotfolge von «The Nine Lives of Chloe King» gestorben. Für eine ABC Family Serie ein enorm hoher Bodycount, auch wenn einer der Todesfälle die Titelheldin und nur eines ihrer neun Leben betrifft, der andere hingegen sogar durch sie verursacht wird. In jedem Fall bilden beide große Triebfedern, auf denen man das emotionale Gerüst der Serie hätte aufbauen können. Diese Chance wurde leider vertan. Chloes schmerzhafte Erfahrung mit dem eigenen Tod zeigt keine nachhaltige Wirkung. Ohnehin mangelt es der Serie in der Darstellung von Gefahr an der nötigen Ernsthaftigkeit.
Auch der Tod von Xavier durch die Hand - oder vielmehr den Mund - von Chloe lastet nicht allzu lange auf der Hauptfigur. Die Schuld, einen Unschuldigen auf dem Gewissen zu haben, weicht schneller als es realistisch wäre - natürlich ist es durchaus sinnvoll, die Hauptrolle nicht direkt zu Anfang in eine depressive Phase zu werfen. Dieses Element wird später immerhin durch Chloes On-Off-Beziehung mit Brian kompensiert, die das Dilemma der tödlichen Küsse zwischen Mai und Menschen wieder aufgreift. Besonders realistisch sind die Entwicklungen hier allerdings auch nicht gezeichnet.
Die Mythologie der Serie lässt noch an Präzisierung zu wünschen übrig und bedient sich ärgerlicherweise hauptsächlich dem Element der Prophezeiung. Chloe ist der "Uniter", ganz einfach, weil das vor Urzeiten mal jemand vorausgesagt hat. Was genau der "Uniter" ist, erfährt der Zuschauer bislang nicht. Ebenso wenig, wieso es gerade Chloe ist bzw. wieso so viele sie als diesen erkannt haben. Zwar hängt die Identität ihres Vaters noch in der Schwebe, die hier einiges an Auflösung geben könnte, bedauerlich ist es dennoch, dass sich die Bedeutung der Hauptfigur auf eine bloße, substanzlose Behauptung reduzieren lässt.
Was «The Nine Lives of Chloe King» fehlt und in einer eventuellen weiteren Staffel in Angriff genommen werden sollte, ist eine stärkere Ausdifferenzierung der Figuren und der Situation. Welche Funktion ist Chloe als "Uniter" zugedacht? Was sind die Ziele der "Order" auf der Antagonisten-Seite? Erst wenn die Motive klarer werden, lassen sich starke Geschichten erzählen. Hier macht die Serie, wahrlich nicht als einzige, leider den Fehler, Spannung aus dem Zurückhalten von Information zu beziehen - Information, die das Fundament der Serie darstellen sollte.