In der vergangenen TV-Saison hat Das Erste die wichtigsten strukturellen Entscheidungen aufgeschoben: Die Talkshow- und Vorabend-Reformen mit Jauch und Gottschalk beginnen erst im Herbst. Wie hoch sind deren Erfolgschancen?
Ab Herbst gibt es im Ersten zwei große Programm-Baustellen, die jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Talkshow-Reform wird deshalb nötig, weil Günther Jauch als ungekrönter König der kommenden Diskussions-Riege im Ersten unbedingt den Sonntagabend-Sendeplatz nach dem «Tatort» bekommen sollte. Unter anderem setzte dies eine Eruption der Talkshows in Gang, bei der fast alle Formate einen neuen Sendeplatz bekommen – obwohl sie bisher allesamt relativ erfolgreich waren. Genau das Gegenteil ist am Vorabend der Fall, wo sich ein quotenschwaches Format an das nächste reihte. Auch hier wird eine Reform – in Form von Krimis, Gottschalk und Pflaume – also bitter nötig. Aber wie stehen die Erfolgschancen dieser Entwicklungen?
Die Talkshow-Reform
Es ist eine wahre Meisterleistung der sonst so unmeisterlichen Bürokraten in den diversen ARD-Gremien und Rundfunkanstalten, dass sie es letztlich doch noch geschafft haben, Günther Jauch als Polit-Talker im Ersten zu verpflichten. Schließlich hatte dessen Engagement im Ersten schon 2007, als Nachfolger von Sabine Christiansen, relativ sicher gegolten, bevor der Deal platzte und Jauch etwas zynisch-verärgert ob der bürokratischen Hürden zurückließ. Keine Frage: Der RTL-Moderator wird ab dem kommenden Herbst für Top-Quoten sorgen; und dass seine Person für langfristigen Erfolg steht, ist unbestritten. Nach seinen bisherigen Auftritten in Polit-Shows ist zu vermuten, dass Jauch unbequemer, deutlicher und der „Stimme des Volkes“ näher als viele seiner künftigen Kollegen. Auch dies wäre im Sinne des politischen Diskurses als positiv zu bewerten.
Um «Hart aber fair» braucht sich niemand Sorgen machen: Die Sendung hat im Dritten genauso wie im Ersten mal nach mehr, mal nach weniger Anlaufzeit sein Publikum gefunden und wurde immer erfolgreich. Dies dürfte auch auf dem neuen Montags-Sendeplatz so sein, wenn nicht gleich gute Quoten eingefahren werden sollten. Auch «Beckmann» sollte am Donnerstag sein Publikum finden – schließlich ist er der mit Abstand dienstälteste ARD-Talker und hat Stammzuschauer. «Anne Will» muss sich hingegen am späten Mittwochabend nun beweisen: Bisher lieferte der «Tatort» auf dem alten Sendeplatz meist gute Quoten als Vorlage – dieser Vorteil fällt nun weg.
Der Vorabend
Nach Jahren mittelmäßiger Programmqualität, zahlreicher Quotenflops und vermeintlich schnell zusammengeschusterter Formate (wobei alle drei Aspekte durchaus miteinander zusammenhängen dürften), will Das Erste nun mit einer großen Programmreform endlich konstanten Erfolg in den Vorabend bringen. Dazu werden aktuell mehrere Krimiserien hergestellt, die mit Lokalkolorit und Humor punkten sollen. Sollten diese beiden konzeptuellen Eigenheiten gut ausgearbeitet werden, so könnte man sich zunächst einmal halbwegs von den erfolgreichen ZDF-Krimis abgrenzen, die im Gegenprogramm am Vorabend eine klare Konkurrenz darstellen. Der Erfolg der neuen ARD-Krimis ist daher keineswegs sicher. Deswegen diversifiziert man und versucht, die Last des Quotenerfolgs auf den Schultern verschiedener Formate zu verteilen. Dass davon wenigstens eine oder zwei funktionieren, ist dann relativ wahrscheinlich.
Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der Verpflichtung von Thomas Gottschalk, der eine Lifestyle/Personality-Show live am Vorabend – wahrscheinlich vor 19.30 Uhr – moderieren wird. Das Medienecho war groß – und bei der Netzgemeinde teils zynisch, weil Gottschalk künftig beispielsweise auch per Skype oder Facebook mit seinen Zuschauern kommunizieren will. Die bisherigen Konzeptdetails versprechen eine Art Show-Wundertüte, von der aktuell noch niemand erraten kann, was in ihr steckt. Genauso sieht es bei den Quoten aus: Gottschalk muss von Anfang an ein tolles, anderes Programm bieten. Dass diese Show einzigartig und damit ohne direkte Konkurrenz am Vorabend sein wird, ist offensichtlich. Fraglich aber ist, wie viele Stammzuschauer der frühere «Wetten, dass..?»-Moderator noch hat – und ob diese ihn überhaupt am Vorabend, und dann noch dreimal pro Woche, sehen wollen.
Fazit
Während sich Das Erste also bei der Talkshow-Reform auf meist gute Quoten freuen dürfte und in Günther Jauch eines der beliebtesten TV-Gesichter als Neuzugang präsentieren kann, sind die Vorabend-Neuerungen noch unter Vorbehalt zu bejubeln: Zwar ist es sehr löblich, dass man nach Jahren endlich langfristig und vorausschauend in die Programmschiene investiert und zumindest von der klaren Fokussierung auf die jüngeren Zuschauer abrückt, aber dadurch ist noch längst kein Quotenerfolg garantiert. Zu wenig weiß man bisher über Gottschalks neue Show und die Krimis. Und dann ist da auch noch Kai Pflaume, der am Freitag-Vorabend ein Quiz erhält, von dem ebenfalls bisher fast nur der Titel bekannt ist («Drei bei Kai»).
Mit Pflaume hat Das Erste aber immerhin schon in der vergangenen TV-Saison einen Mann präsentiert, der perfekt zum Sender passt und bisher auch hervorragende Quoten erzielt: Mit «Klein gegen Groß», dem «Star-Quiz» sowie dem erfolgreichen Start der «Dalli Dalli»-Neuauflage hat man hier einen guten Teilersatz für Jörg Pilawa gefunden. Letzterem trauert man ohnehin nur noch wenig hinterher, denn neben Pflaume konnten auch Eckart von Hirschhausen und Sven Lorig frühere Pilawa-Sendungen relativ erfolgreich weiterführen. Und dann hat Das Erste künftig auch noch Matthias Opdenhövel als potenziellen Show-Moderator in Aussicht, der zunächst die «Sportschau» präsentieren wird. Die Pilawa-Nachfolge ist in der abgelaufenen TV-Saison also besser geglückt, als dies zunächst vermutet worden war – vielleicht ist dies ein gutes Omen für die kommenden Herausforderungen im Ersten.