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«Schlüter sieht's»: Die besseren Castingshows?

«X Factor» geht in die zweite Staffel und «The Voice of Germany» startet bald. Unser Kolumnist über die Evolution der Castingshows.

Wir alle kennen die Geschichte des Castingshow-Booms im deutschen Fernsehen, der seinen Vorreiter im damaligen RTL II-Format «Popstars» hatte und 2003 mit der ersten Staffel von «Deutschland sucht den Superstar» seinen Höhepunkt erreichte. Dank mehr als zwölf Millionen Zuschauern für die Show nahmen andere TV-Sender ähnliche Formate in ihr Programm auf – und die Zuschauer waren der Schwemme schnell überdrüssig.

Interessant ist, dass der Erfolg dieser Shows antiproportional zum Erfolg ihrer Gewinner verlief: War die erste Staffel von «Popstars» noch eher wenig bekannt, wurde die Gewinner-Band „No Angels“ zum erfolgreichsten Castingshow-Vertreter bis heute. Dagegen war «DSDS»-Sieger Alexander Klaws nicht viel beliebter als seine Nachfolger – trotz des immensen Erfolgs der ersten Season. Nicht zuletzt wegen der schnellen Halbwertszeit der Kandidaten wandten sich viele Zuschauer schnell von den Casting-Formaten ab. Übrig blieben «DSDS» und «Popstars», die weiterhin eine feste Stammzuschauerschaft haben, aber von einstigen Quotenhochs deutlich entfernt sind.

Dennoch versuchen die TV-Sender weiterhin, mit neuen, anderen Castingshows zu punkten – und dabei müssen sie zwangsweise jene Zuschauergruppen ansprechen, die sich von oben genannten Formaten bewusst abgrenzen. VOX hat dies schon 2010 mit der ersten Staffel von «X Factor» hinbekommen, denn mit 12,9 Prozent Marktanteil lag man nicht nur deutlich oberhalb des Senderschnitts, sondern war die erste erfolgreiche Show in der Geschichte von VOX überhaupt.

In der zweiten Staffel, die Ende August startet, setzt VOX auf das bewährte «DSDS»-Konzept, einen (unwichtigen) Teil der Jury auszutauschen, um es zumindest nach Veränderung aussehen zu lassen: George Glueck wird vom Sänger Das Bo ersetzt. Zudem werden die anfänglichen Casting-Folgen zweimal pro Woche am Dienstag und Sonntag ausgestrahlt; das Mentoren-Konzept der Jury bleibt erhalten, wird aber erst nach dem sogenannten „Super-Bootcamp“ einsetzen. Insgesamt dürfte VOX den Erfolg der ersten Staffel wiederholen können, da der Sender im vergangenen Jahr eine ungewohnt breite Stammzuschauerschaft aufbauen konnte.

Mit «The Voice of Germany» holt ProSieben nun eine Castingshow aus den USA nach Deutschland, die sich ebenfalls einer Evolution des Genres verschrieben hat: Hier werden Kandidaten zunächst einzig nach ihrer Stimme beurteilt – die Jury kann den Gesang der Teilnehmer in den „Blind Auditions“ nur hören. Dieses Konzept steht durchaus im krassen Gegensatz zu jenen von «DSDS» und «Popstars», wo es sehr stark auf Performance-Qualitäten und das Aussehen ankommt. In den Staaten ist «The Voice» schon ein Quotenhit im Sommer; ProSieben will den Erfolg wiederholen und streicht dafür sogar «Popstars» aus dem Programm dieser Season. Ein immenser Vertrauensvorschuss für die neue Show.

Doch gerade in dem Gegensatz zwischen «Popstars» und «The Voice of Germany» könnte ein Problem liegen, denn ProSieben muss die alten Zuschauer beibehalten, während neue dazukommen sollen. Ob die «Popstars»-Fans das neue Konzept mögen, ist fraglich, denn viele Gemeinsamkeiten bestehen nicht. ProSieben aber ist auch nicht der erste Sender, welcher oben angesprochene neue, anspruchsvollere Zielgruppen für eine solche Castingshow auf Anhieb begeistern könnte. Umso wichtiger wird eine intensive Promotion für das Format sein; sowohl im eigenen Programm als auch mit Werbung dort, wo nicht der typische «Popstars»-Freund erreicht wird. Schwartzkopff TV-Chef Karsten Roeder nannte bei Quotenmeter.de schon das ehrgeizige Ziel des Formaterfinders John de Mol, dass der Gewinner von «The Voice of Germany» über Jahre erfolgreich sein solle.

Doch Castingshow bleibt Castingshow – daran ändern auch Evolutionen des Genres oder verbesserte Konzepte nichts. Dies sieht man auch an der ersten «X Factor»-Gewinnerin Edita Abdieski, deren erste Single Platz 9 und deren zweite Single gerade mal Platz 51 erreichte. Ihr Album, das (wohl auch zur Qualitätssteigerung) erst Monate nach dem Staffelende im April 2011 erschien, war nach zwei Wochen aus den Charts verschwunden. Es wäre eine Überraschung, wenn der deutsche «The Voice»-Gewinner viel besser abschneiden, geschweige denn jahrelang erfolgreich sein würde. Letztlich aber geht es um die Einschaltquote: Und die dürfte sowohl bei VOX als auch bei ProSieben gut ausfallen, bei letzterem vorausgesetzt, man kann das neuartige Konzept breit und über bisherige Zuschauergruppen hinaus kommunizieren. Fest steht aber dank der Sendungen, dass die Castingshow als Genre längst nicht – wie oft geschrieben – tot ist. Das Gegenteil ist der Fall: Durch evolutionäre Formate wie «X Factor» und «The Voice» lebt sie mehr denn je.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
30.06.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/50480
Jan Schlüter

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