Da hat David E. Kelley noch viel Arbeit: Was in Staffel eins der NBC-Serie noch nicht passte…
David E. Kelley war der König der Serienerfinder in den späten 80er und 90er Jahren. Mit «L.A. Law» fand NBC eine seiner ersten Serien für den prestigeträchtigen „Must-See Thursday“, mit «Chicago Hope» stellte er sich zusammen mit CBS gegen die Konkurrenz von «Emergency Room», und mit «Ally McBeal» und «Boston Legal» gibt es zwei Serien, die im Genre des Justizdramas die besten aller Zeiten sind. In den 2000er Jahren verschwand Kelleys Name jedoch aus den Mündern der TV-Fans, was auch damit zu tun hat, dass er mit Ausnahme von «Boston Legal» keinen besonderen Hit mehr zu bieten hatte. 2010 kehrte er mit «Harry's Law» und einer neuen Adaption von «Wonder Woman» in die Gesprächsrunden der Fernsehnerds zurück. Erstere Serie ist eine weitere Variante des bei Kelley beliebten Justizdramas, letztere sollte die Comicvariante eben jenes Genres werden, hätte NBC den Pilot zur Serie bestellt. Jetzt könnte man wahrscheinlich von Glück reden, dass es in der nächsten TV-Saison nur ein Anwaltsdrama von Kelley im Fernsehen gibt – besonders nach dem Kritikererfolg von «The Good Wife» scheint Kelleys Vision des Genres altbacken. Zurecht, wie sich in den ersten Folgen von «Harry's Law» zeigte.
Das Drama hatte wenig Gründe während seiner ersten Staffel zu überzeugen. In erster Instanz ist «Harry's Law» nur eine interessante Serie, weil sie Oscar-Preisträgerin Kathy Bates eine Rolle in einer Fernsehserie und damit ihren Fans wöchentlich einen Grund gibt einzuschalten. Weitere Gründe, die Serie zu verfolgen, gab es allerdings nicht: Zu surreal wirkte die Pilotfolge mit ihrer Art und Weise, Harriet Korn (Bates) mit dem jungen Anwalt Adam (Nate Corddry) zu paaren; zu unwichtig wirkten die ersten Gerichtsfälle; zu vorhersehbar waren ihre Enden. «Harry's Law» musste sich gefallen lassen, mit NBCs früheren Flop «Outlaw» verglichen zu werden, und das sogar zu recht: Die Fälle vor Gericht sollten die Missstände der amerikanischen Justiz ansprechen, sollten wenn möglich dramatisch erscheinen, und den Anwälten eine harte Zeit während der 42 Minuten verschaffen, doch am Ende funktionierte es nicht, wie es sollte. Wenn Harriet ihre Fälle als Verteidigerin immer gewinnt (auch wenn es manchmal der Idiotie der Ankläger zu verdanken war), gilt das einfach als unrealistisch, spannungslos und vorhersehbar.
Kelley, der an allen Drehbüchern der Staffel mitwirkte, bemerkte dies offenbar auch nach einer Weile und versuchte in der zweiten Staffelhälfte seinen persönlichen Missstand zu berichtigen. Mit Erfolg, denn der Mittelteil der Staffel stellte sich als Goldgrube interessanter Geschichten heraus, welche bei genauerer Betrachtung die Charaktere auf eine dunkle Bahn hätte leiten können. Der Konflikt zwischen Harriet und einer Gruppe von Straßengangs führte zu der Frage, ob Harriet auch brutale Methoden gutheißt, und der Fall von tasmanischen Albinos, welche im Falle einer Abschiebung aus den USA in ihrer Heimat faktisch dem Tod geweiht sind, sind nicht nur berührend, sondern liefern auch die Botschaft, welche Kelley mit diesen Geschichten beabsichtigte. In diesen Fällen zeigte sich nicht nur, dass das Rechtssystem der USA unfair zu denjenigen ist, die helfen wollen, und nur auf Gewinn und Geld für die Anwälte aus ist. Wenn man «Harry's Law» mit seinem Genrekonkurrenten «The Good Wife» von Robert und Michelle King vergleicht, fällt dabei auf, das Kelley gerne Botschaften mit seinen Serien mitschickt (Anwälte sollen nicht für die Millionen von Dollar arbeiten, sondern für ihre Klienten kämpfen), während das Ehepaar King realistisch an die Sache herangeht und auch das Schattendasein des Berufes analysiert – vor Gericht würde «Harry's Law» hier den Kürzeren ziehen, obwohl Kelley einst der Vorreiter des Genres war, und das Genre in den 90er Jahren am Leben hielt.
NBC und sein Publikum fanden offenbar Gefallen an «Harry's Law». Die Zielgruppenwerte waren für NBC-Verhältnisse zwar unter Durchschnitt, doch konnte es sich der Pfauensender nicht leisten, eine Serie abzusetzen, die größtenteils beim alten Publikum gut ankommt. Nicht umsonst wurde die zweite Staffel von «Harry's Law» im nächsten TV-Jahr mit «Law & Order: Special Victims Unit» gepaart, um einen besseren Zuschauerfluss zwischen den beiden Serien zu generieren. Wenn Kelley von seiner Konkurrenz auf CBS gelernt hat, wie Anwaltsgeschichten in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts aussehen, könnte aus «Harry's Law» bald eine feine Serie werden, welche sich voll und ganz auf die Justiz und die Botschaft daraus konzentriert, zusammen mit der emotionalen Dramatik, welche einige der Gerichtsfälle erzeugen können.
Nur das Zusammenspiel der Charaktere funktionierte nicht auf ganzer Linie. Zuerst verfehlte Kelley die Möglichkeit, all seinen Charakteren eine Story zu geben, und am Ende der Staffel schaffte er es nicht, diese natürlich miteinander zu verflechten. Die zwei besten Beispiele sind hier Anwaltsgehilfe Malcolm (Aml Ameen) und seine Vergangenheit als Drogensünder, sowie Sekretärin Jenna (Brittany Snow), die ihren Job zunächst gar nicht ernst genommen hat und stattdessen jede Chance nutzte aufzumotzen. Malcolm konnte als Charakter zwar scheinen, als er als Mediator den Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Gangs löste, doch sobald die Romanze zwischen Malcolm und Jenna anfing, bekamen die beiden Charaktere keine vernünftige Story inmitten des Justizdramas mehr. Malcolm verwandelte sich von einem jungen Mann, der als zukünftiger Anwalt sein altes Leben vergessen machen will, zu einem Objekt der Begierde und Spielzeug für Jenna, während die Blondine, die offensichtlich verrückte (im medizinischen Sinne) Eigenschaften besitzt, mit dieser Liebesgeschichte nur eine einzige Story in der Staffel zu bieten hatte. Da ist es auch kein Wunder, wenn Kelley sich kürzlich entschieden hat, beide Charaktere mit der zweiten Staffel aus der Serie zu schreiben, um sich auf das Drama des Genres zu fokussieren.
Dafür gab es Hände voll von Geschichten für die beiden professionellen Anwälte Harriet und Adam. Sie hatten nicht nur mit dem Sinn des Anwaltsdaseins zu kämpfen, sondern auch gegen einige schäbige Charaktere. Angefangen mit dem egoistischen Tommy Jefferson (Christopher McDonald), der sich mit der Zeit als wahrer Freund Harriets herausstellte, bis hin zum aggressiven Staatsanwalt Josh Peyton (Paul McCrane), der am Ende seiner Karriere inmitten seines Wutausbruchs nicht nur einen, sondern zwei Strips im Gerichtssaal hinlegt, weil Harriet wieder einmal einen Klienten freigesprochen bekommen hat, welchen Peyton so gerne hinter Gittern sehen wollte. Hier zeigt sich der minimal surreale Humor von «Harry's Law», welcher zeitweise irgendwie nicht in die Serie passt, am Ende doch perfekt als Beginn einer wundervollen Freundschaft zwischen Harriet/Tommy und Harriet/Peyton funktionierte. Für Zuschauer, die sich als Neuling in einer Kelley-Serie wiederfanden, mag das zuerst merkwürdig gewirkt haben, allerdings zeigte sich im langfristigen Verlauf, dass der Humor zwischen den tragischen Momenten nötig ist, um zu zeigen, dass «Harry's Law» keine realistische Serie im Justizgenre ist, sondern schlicht Geschichten erzählen will.
Nach mehr als einer halben Staffel gewöhnt man sich auch an den Stil der Serie, und man hat keine Schwierigkeiten, das Hin und Her zwischen den ehemaligen Liebhabern Adam und Rachel (Jordana Spiro) zu akzeptieren, auch wenn das Thema vor allem in den letzten beiden Episoden von Staffel eins überreizt wurde. Selbst der Egoismus von Tommy und seine unzähligen Hiebe gegen Adam, welchen er nicht leiden kann (nachdem Adam nicht nur einen, sondern zwei Fälle vor Gericht gegen Tommy gewann), verwandeln sich am Ende der Staffel zu charmanten Charakterzügen, welche «Harry's Law» leichtherzig erscheinen lassen – ein lockeres Anwaltsdrama mit ein paar dramatischen Geschichten, aber genug Humor, um den Zuschauer nicht mit der Last des kaputten Justizsystem zu schultern. Die Frage besteht allerdings, ob Kelley mit seiner Serie in der zweiten Staffel mehr vorhat. Jetzt, wo er nach der Nicht-Bestellung von «Wonder Woman» genügend Zeit hat, sich auf seine aktuelle Serie zu konzentrieren, sollte er mehr Wert auf die Beziehungen zwischen den Charakteren und die Botschaften der Geschichten legen. Vielleicht gelingt es ihm auch, wieder als Pionier des Anwaltsgenres in die Diskussionen der Fernsehnerds zu geraten, die ohne Frage nach einem zweiten «The Good Wife» suchen.