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Worüber kaum gesprochen wird

Seite 1 Quotenmeter am Samstag: Das Wochenendmagazin. Der blinde Fleck im Fernsehen! Dabei sollte der Umgang damit in einer modernen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein.



Der blinde Fleck im Fernsehen - Worüber kaum gesprochen wird

Wer an diesem Samstag um 10.50 Uhr den Sender kabel eins einschaltet, wird dort zwischen dem Cartoon-Block und den üblichen Wiederholungen ein ungewohntes Bild erleben, denn dann strahlt der Sender eine neue Ausgabe seiner Reihe «Challenge» aus. Dahinter verbirgt sich eine Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V.. Einmal im Monat wird auf diese Weise eine Sendung von, für und mit Menschen mit Behinderungen ausgestrahlt.

Dabei ist es nicht nur Ziel des Formats, Menschen mit Behinderungen zu einer aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu motivieren, sondern auch nichtbehinderten Menschen das Leben mit einer Behinderung näher zu bringen. Umgesetzt wird dies unter anderem durch die Kochshow «Dinner for Everyone». Darin begrüßt Gastgeber Volker Westermann, der aufgrund seiner Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt, regelmäßig zwei Gäste um gemeinsam zu kochen. Unter anderem waren schon Guildo Horn, Jörg Knör, Bernhard Hoecker, Bettina Tietjen, Alfred Biolek sowie Yared Dibaba dabei und plauderten mit Westermann und einem weiteren nicht-prominenten, behinderten Gast. In lockerer Runde und zwanglosen Gesprächen soll auf diese Weise Integration gelebt und Vorurteile, die oft auf Unwissenheit basieren, abgebaut werden. Der Rahmen einer Kochsendung soll zudem helfen, eine belehrende oder vorführende Darstellung zu verhindern, die in manchen Sendungen mit behinderten Menschen beklagt wird.

Ein interessantes und lobenswertes Konzept, das an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen wird, denn leider haben in der medialen Öffentlichkeit und vor allem im Fernsehen Menschen mit Behinderungen noch immer kaum eine relevante Bedeutung. Sicher gab es in der Vergangenheit einige hervorzuhebende Aktionen wie die Talkshow «Guildo und seine Gäste», die Versteckte-Kamera-Variante «Para-Comedy» bei Comedy Central oder regelmäßige Portraits in den Dokureihen «Menschen hautnah» (WDR) und «37 Grad» (ZDF), doch im Verhältnis zum gesamten Programmvolumen ist ihr Anteil lächerlich klein. Hin- und wieder wurden Behinderungen auch in Fernsehfilmen thematisiert, doch oft dienten sie dabei lediglich als Kulisse für zwischenmenschliche Schwierigkeiten der Menschen ohne Behinderungen. Der behinderte Mensch verkam oft zur Requisite und wurde in seinem Wesen nicht ernst genommen. Von der RTL-Produktion «Florian - Liebe aus ganzem Herzen» sei deswegen als Negativbeispiel abgeraten.

Vor allem in Hollywood-Filmen ist es noch immer gängig, behinderten Menschen durch nicht-behinderte Schauspieler darstellen zu lassen (z.B. «Rain Man», «Ich bin Sam»). Wie hervorragend und unterhaltsam aber auch Filme sein können, in denen geistig-behinderte Menschen die Hauptrolle übernehmen und nicht nur von nicht-behinderten Schauspielern imitiert werden, beweisen unter anderem eindrucksvoll die Filme «Me, too» und insbesondere «Verrückt nach Paris». Dort werden die Figuren zudem nicht nur auf ihre Behinderung reduziert, denn sie sind vor allem Menschen. Menschen, die auch alltägliche Probleme haben.

Man mag solche Sendungen und Filme als mutig bezeichnen wollen, dabei sollte eine Teilnahme von Menschen mit Behinderungen im medialen Leben der Regelfall sein. Genaugenommen stellen die genannten Formate lediglich einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar, denn sie heben noch immer die Behinderungen der Beteiligten deutlich hervor und werden sogar durch sie bestimmt. Echte Integration bedeutet aber nicht, ihnen in gesonderten Reihen etwas Sendezeit zu verschaffen, sondern sie ganz selbstverständlich im gesamten Programmspektrum auftauchen zu lassen, ohne dass dabei ihre Behinderung eine besonders hervorstechende Rolle spielt. Sie sollten als Kandidaten in Quizshows, Teilnehmern beim «Perfekten Dinner» und als Bewerber in Castingshows gleichberechtigt mit Menschen ohne Behinderungen mitmachen. Wieso gibt es (abgesehen von Volker Westermann) keinen TV-Moderator, der im Rollstuhl sitzt? Sicherlich hängt ein Einsatz und der Umfang der Teilnahme sehr stark von der individuellen Schwere der jeweiligen Behinderung ab und sicher wird nicht jeder Mensch für jede Aufgabe geeignet sein, doch es gäbe in der deutschen Fernsehlandschaft für fast jede Facette genügend Raum.

Es ist ungemein wichtig, endlich die Distanz zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen zu verlieren und gegenseitiges Verständnis für die Situation des anderen zu schaffen. Wie oft muss man beobachten, dass Rollstuhlfahrer von unerfahrenen Menschen überdeutlich, laut und mit simplen Sätzen angesprochen werden? Dabei ist doch mit einer körperlichen nicht zwangsläufig auch eine geistige Behinderung verbunden. Wie oft wird noch immer der Begriff „Mongoloide“ für Menschen mit Down-Syndrom verwendet? Wie oft trifft man Personen, die glauben, Menschen mit Autismus wären in jedem Fall auch kleine Genies? Wie oft hört man Sätze wie „Guck’ mal was die alles können“? Äußerungen wie diese zeigen, dass ein allgemeines Verständnis für Menschen mit Behinderungen und eine ernsthafte Auseinandersetzung bisher noch immer fehlt. Das kaum vorhandene Wissen über die Thematik ist zudem von Vorurteilen geprägt. Bei der Aufgabe diese Lücken zu schließen, könnte und sollte auch das Fernsehen seinen Beitrag leisten, denn Menschen mit Behinderungen haben nicht nur ein Recht auf einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft, sie werden diese obendrein bereichern.

Auf der nächsten Seite gibt es den „Nachrichtenfriedhof“ und das Blockbuster Batttle.
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04.06.2011 09:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/50016
Christian Richter

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QamS

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