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360 Grad: So wirst du Casting-Star!

Julian Miller gibt neun Tipps, wie auch du es in die Mottoshow oder die «Popstars»-Band schaffst. Vorsicht: Bissige Satire!

Anmerkung: Folgende Liste gilt hauptsächlich für «Deutschland sucht den Superstar» und «Popstars», in übertragener Form auch für «Germany's Next Topmodel». Auf Casting-Shows im Stile von «Unser Star für Oslo» lässt sie sich nicht anwenden, für «The X-Factor» allenfalls bedingt.


Regel 1: Ein bisschen singen solltest du schon können. Es muss ja nicht gleich wie Whitney Houston oder Aretha Franklin klingen – solche Vocalists findet man ohnehin nur in Amerika (daher auch der Anglizismus). Von daher brauchst du dich mit ihnen ohnehin nicht messen lassen. Aber deine Stimme sollte sich nun eben nicht unbedingt so anhören wie die von Chucky, der Mörderpuppe, oder Darth Vader. Und du solltest zumindest versuchen, hier und da ein paar Töne zu treffen. Wenn das bei dir noch nicht so recht klappen will: Üben, üben, üben. Du brauchst bei Leibe keine Perfektion. Sinn der Sache ist es ja ohnehin, dich zu „formen“. Du sollst dich im Laufe der Show „entwickeln“, wie man dir so schön sagen wird. Aber die Jury sollte bei dir stimmlich zumindest ansatzweise einen Grund zusammenkonstruieren können, der es dann rechtfertigt, dich auch unter musikalischen Gesichtspunkten weiterkommen zu lassen. Irgendwie muss der Schein einer Musiksendung ja gewahrt werden. Dieter will ja nicht als Trümmerfrau loslegen müssen.

Regel 2: Schon dieses Gefasel vom „eigenen Stil“ gehört? Oder Sätze wie „Das bin ich einfach nicht“ als Reaktion auf Songs, die man Künstlern vorspielt? Vergiss es. Denn du bist, was du isst. Einen eigenen Stil kannst du dir nicht leisten – und ohnehin: Du brauchst ihn gar nicht. Dein Stil ist der, von dem die Jury und die Produzenten dir sagen, dass er das ist. Diese ganze lästige Sache wird dir vollkommen abgenommen. Irgendeine sinnlose Diskussion darüber würde nur den kreativen Prozess deiner Vermarktung behindern.

Regel 3: Dieter Bohlen oder Detlef D! Soost, je nach Show, sind die unumschränkten Götter deines Universums. Was sie sagen, gilt. Du hast eh keine Ahnung. Und schau dir doch mal an, wie lange die beiden schon im Geschäft sind. Da kannst du nur verlieren. Also tu, was sie dir sagen, und dann läuft die Sache auch. Aber Vorsicht: Die beiden scheinen einander nicht sonderlich gut leiden zu können. Pass also auf, dass du in Bohlens Show nicht gerade D! lobst. Oder umgekehrt.

Regel 4: Turteln, turteln, turteln. An nichts hat die Bild so viel Spaß wie an Liebesgeschichten. Also schmeiß dich an deine Konkurrenten ran. So hemmungslos, wie das nur irgendwie geht. Das erhöht deine Chancen deutlich, zusammen mit deinem Auserkorenen ins Finale zu kommen. Danach kannst du dich ja immer noch trennen, wenn der Typ/das Mädel wirklich allzu grässlich sein sollte. Lass es aber ja nicht so aussehen, als wäre die Sache inszeniert. Damit haben andere schon schlechte Erfahrungen gemacht.

Regel 5: Knastaufenthalte sind nicht unbedingt ein Hindernis für deine Karriere – so lange sie nicht in der Produktionszeit liegen. Denn eine Mottoshow aus einer Vier-Quadratmeter-Zelle zu machen, wäre wohl doch etwas befremdlich. Aber wenn du vor deiner Zeit als „Sänger“ (oder nenne dich noch besser „Künstler“) einige Zeit hinter schwedischen Gardinen verbracht hast, kann dir das durchaus helfen. Wenn du dann allerdings ins Rampenlicht kommst, solltest du nie müde werden, zu betonen, dass du dich „geändert“ hat. Dabei hat dir dann deine Frau, dein Kind, dein Kanarienvogel oder wer auch immer geholfen. Ohne die wärst du heute nämlich nichts. Und vermutlich immer noch im Knast. Diese Punkte musst du der Presse immer wieder gebetsmühlenartig eintrichtern. Dann rufen auch die ganzen Girlie-Girls für dich an. Du hast ja auch einen guten Kern und so. Und wenn du nach Ende der Staffel wieder zurück ins Gefängnis musst – so what. Die Fanpost kann man dir auch in die Justizvollzugsanstalt nachsenden.

Regel 6: Kein Mensch will sich nur über den Inhalt eines Songs unterhalten. Die Leute wollen auch etwas von deiner Persönlichkeit erfahren. Und deinem Umfeld. Das ist eigentlich die Quintessenz der Konzepte dieser ganzen Shows, nur sagt man das eben offiziell nicht so. Wäre ja auch eine schlechte Publicity. Aber gib ihnen, was sie wirklich wollen. Du solltest dafür natürlich ein recht aufregendes Leben führen. „Heike Brackmüller beim Apfelsinenkaufen gesehen“ macht sich nicht unbedingt gut als Schlagzeile. Also: Werde schwanger! Treib ab! Hab Sex im Pool auf Mallorca beim Recall! Schick deine Mutter ins «Big Brother»-Haus! Mach irgendetwas Verrücktes oder Abstruses. Dein ganzes Leben spielt sich ab jetzt in der Öffentlichkeit ab. Genieß es, und du fährst mit dem Bild-Fahrstuhl bis ganz nach oben.

Regel 7: Ganz wichtig sind Home-Storys. Denn wie du mittlerweile wohl weißt: Talent und Können sind zweitrangig. Die Leute interessiert es viel mehr, wie's bei dir zu Hause so zugeht. Also: Lass sie rein. Das Kamerateam wird dir bestimmt gerne behilflich sein und deine Wohnung in ein angemessenes Licht rücken.

Regel 8: Werde Stammkunde in deinem örtlichen Fitness-Studio und Solarium. Und wenn das bei dir nicht reicht, musst du eben chirurgisch ein wenig nachhelfen lassen. Kannst du dir ja dann zum Hauptschulabschluss wünschen.

Regel 9: Hör endlich auf, du selbst zu sein. Das führt zu nichts.

Wenn du diese Tipps befolgst, werden sich auf deinem Weg zur Mottoshow oder in die Band wohl keine großen Hindernisse in den Weg stellen. Wenn dir das alles aber irgendwie widerlich ist, wirst du es in der Casting-Branche bis auf wenige Ausnahmen wohl leider schwer haben.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.
27.05.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/49853
Julian Miller

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360 Grad

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