Teil 4 unserer Talkshow-Reihe: Nachdem Anfang des neuen Jahrtausends zahlreiche Talkshows mit Quotenproblemen zu kämpfen hatten, bäumte sich das Genre noch einmal auf. Mit andersartigen Formaten versuchten die Macher den Daily Talk im Programm zu halten oder wieder ins Line-Up aufzunehmen. Die Versuche schlugen fehl - bis auf eine Ausnahme.
Tobias Schlegl ist heute vor allem als Moderator der NDR-Satire-Sendung «Extra 3» bekannt. Dass er früher auch mal bei VIVA zu sehen war, daran erinnern sich viele heute wohl nicht mehr. Als Daily-Talker werden ihn aber wohl nur noch wenige in Erinnerung behalten haben.
Dennoch: Ein Jahr lang war der Nachmittag bei ProSieben «Absolut Schlegl». Das war 2002. Zu dieser Zeit waren schon etliche Formate der Talkshow-Flut aus den 90er Jahren beendet oder wurden es gerade. So endete 2002 zum Beispiel auch «Bärbel Schäfer» bei RTL, die dann aber genau diesen Schlegel-Talk mit ihrer Firma Couch Potatoes produzierte. Der junge Moderator lud sich täglich um 15 Uhr auf dem früheren «Andreas Türck»-Sendeplatz besonders skurrile Gäste ein, um sich bestmöglich über sie lustig machen zu können. Daher waren im Grunde genommen auch nicht Klatsch und Tratsch mit den Gästen die Hauptfüllmenge der einstündigen Sendezeit, sondern auch viele Einspielfilme und Studioaktionen rund um das Thema dieser Gäste. Insofern machte Tobi Schlegel sich also auch schon damals eher als Komiker einen Namen, als er es in Sachen Talkmaster tat. Er hatte auch als einziger Daily-Talker eine Assistentin, Karin, und zeitweise sogar eine Co-Moderatorin. Sie war die frühere Frau von Dschungelkönig Peer Kusmagk, Charlotte Karlinder Kusmagk.
Dass das alles nicht gut gehen konnte, war eigentlich schnell klar und so half es den von Anfang an mauen Quoten auch nicht, dass ProSieben Mitte 2002 das Konzept dahingehend änderte, ab sofort mehr Lebenshilfe und moralische Unterstützung zu den Themen zu bieten. Die erste moderne Daily-Talkshow war also schon nach einem Jahr wieder Geschichte.
Dass die nächste sechs Jahre später gar nur ein paar Wochen aushalten sollte, ahnte man zu diesem Zeitpunkt aber natürlich noch nicht. So hievte RTL im Frühjahr 2008 «Natascha Zuraw» auf den täglichen Nachmittagssendeplatz um 15 Uhr. Der Grund dafür war nicht vorrangig, endlich mal wieder eine Talkshow einführen zu wollen, sondern das schlecht laufende Nachmittagsprogramm des Senders damit aufzupolieren. Zeitgleich startete auch um 17 Uhr eine neue tägliche Gameshow, das von Wolfram Kons moderierte «Einer gegen Hundert». Doch beide Formate konnten den RTL-Nachmittag nicht retten. Während die Gameshow wenigstens noch rund vier Monate durchhielt, musste Natascha Zuraw schon nach vier Wochen wieder den Hut nehmen.
Dabei hatte eigentlich alles ganz nett angefangen, als RTL verkündete, eine konfrontative Talkshow zeigen zu wollen und dafür auch die vom «RTL-Shop» gut eingequatschte Natascha Zuraw (früher sogar mal Mitarbeiterin bei «Sonja») dafür als Moderatorin zu verpflichten. Man wolle eine ähnliche Gesprächskultur wie in der 90er-Jahre-Talkshow «Explosiv - Der heiße Stuhl» schaffen. Folglich saßen mehrere Einzelgäste hintereinander auf einem Barhocker in der Mitte des Studios und mussten ihre extravaganten Standpunkte aus dem gesellschaftlichen und sozialen Themenbereich gegen Publikum, Bekannte und die Moderatorin verteidigen. Dabei war «Natascha Zuraw» also keine monothematische Sendung, sondern die erste Daily-Talkshow, in der mehrere Themen mit unterschiedlichen Gästen bestritten wurden. Diese moderne Form half dem Talk und damit dem RTL-Nachmittag aber nicht. Nach nur 19 Sendungen versuchte RTL sein Glück lieber mit Scripted Reality und Zuraw ward nie mehr gesehen.
Ein Jahr später versuchte sich RTL-Schwestersender VOX nochmal mit einer ebenfalls modernen Daily-Talk-Version. Das «Frauenzimmer» öffnete 2009 seine Zimmertür für die Zuschauer, die aber offenbar keine Lust hatten, mal in den interessanten Raum hinein zu sehen. Doch was hätten sie darin entdecken können? Nun, vier prominente Frauen tratschten dort die erste Hälfte der einstündigen Folgen über ein boulevardeskes Thema des Tages und empfingen in der zweiten Hälfte einen noch prominenteren Gast zum Talk über ihn selbst.
Das Konzept stammte aus dem Ausland: Beim englischen Sender ITV konnten die Briten das gleiche Spielchen unter dem Titel «Loose Women» bestaunen. Dort lief die Sendungseit 1999 erfolgreich und auch in Deutschland gab es schon vor der originalgetreuen Umsetzung auf VOX eine bessere und erfolgreichere Version namens «Blond am Freitag» im ZDF mit Ralph Morgenstern, der darin von 2001 bis 2007 mit Blondinen tratschte.
Im «Frauenzimmer» unterhielten sich montags bis freitags um 16 Uhr unter anderem Maite Kelly, Bettina Böttinger und Yasmina Filali mit sich und ihren Gästen wie zum Beispiel Ross Anthony, Arthur Abraham, Ingrid van Bergen, Gundis Zambo und anderen.
Da das Ganze von Anfang an nur schlechte Quoten erzielte, kürzte VOX die Sendezeit nach nur ein paar Folgen auf 30 Minuten und nach einem Monat verschwand die Sendung ganz. Neuartig waren hier eben die aktuelle Komponente bei den Themen und Gästen und die Ausrichtung auf Prominente statt auf Normalos wie bei den altbackenen Daily-Talks. Anscheinend können die deutschen Nachmittagsfernsehzuschauer aber sämtliche modernen Formen des Daily-Talks nicht leiden und wollen lieber den alten Ritus „Ein Thema pro Folge, unbekannte Gäste, ein distanzierter Moderator“ sehen. Den dann aber schon möglichst modern präsentiert.
Das alles ist wahrscheinlich auch ein Teil der Begründung dafür, wieso als letzter Daily-Talk im deutschen Fernsehen „Britt“ bis heute übrig geblieben ist. Seit 2001 talkt sie in Sat.1 auf dem täglichen 13-Uhr-Sendeplatz als Nachfolgerin von «Sonja». Eine Stunde lang werden typisch reißerische und flache Themen durchgesprochen. Ein Thema pro Folge und mehrere Gäste dazu, die oft in zwei Parteien links und rechts auf der Bühne eingeteilt sind und gegeneinander streiten. Vaterschaftstests wie bei Oliver Geißen gehören ebenso zum Talk-Alltag bei «Britt» wie die berühmten Lügendetektortests, die die Sendung als ein Markenzeichen mitgeprägt haben. Dazu gab es dann auch mal ein Primetime-Special. Titelmusik von „Britt“ ist das Lied „I'm Every Woman“ von Whitney Houston.
Besonders in Erinnerung bleiben zwei Folgen, die von der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz gerügt wurden: In der einen vom 17. April 2001 berichteten zwei Dominas und einer ihrer Haussklaven über ihre Sexualpraktiken (am Mittag!) und die Gastgeberin hakte nicht ein und kritisierte sie nicht. Der Jugendschutz war einmal mehr in einem Daily-Talk verletzt worden. Die zweite beanstandete Ausgabe lief am 24. September 2001 und hatte gewaltverherrlichende Familienverhältnisse zum Thema. Aber auch das Jubiläumsspezial zu 10 Jahren «Britt» bleibt deshalb in Erinnerung, weil Talkshow-Kollegin Vera Int-Veen mit durch die Sendung führte und die Jubilarin Britt Hagedorn überraschte. Wichtige Aussage über das Genre von Britt aus dieser Folge war, dass Talkshow ein hartes Geschäft sei.
Die letzte Daily-Talkerin des deutschen Fernsehens moderiert überdies seit 2010 im Sommerprogramm ihres Heimatsenders Sat.1 die erfolgreiche Spielshow «Mein Mann kann», die in Kürze in die zweite Staffel startet.