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«Schlüter sieht's»: Goodbye, Zeichentrick

RTL II verbannt seine Anime-Sendungen. Ein Kommentar zum Ende des Zeichentricks bei großen TV-Sendern.

Lang vorbei sind die Zeiten, als Fernsehsender nicht nur dem pseudoformalen Anspruch eines Vollprogramms gerecht wurden, sondern sich noch als ein solches selbstverständlich präsentierten: Alle großen Fernsehsender, darunter besonders die Privaten wie RTL und Sat.1, zeigten am Wochenendmorgen für die Kids ein zielgruppengerechtes Programm mit Zeichentrick-Serien und Cartoons. Sogar im Ersten wurden zeitweise in den 90er Jahren als Füllprogramme jeden Nachmittag Kurz-Cartoons der Produktionsschmiede Warner Bros. ausgestrahlt. In dieser Woche hat nun mit RTL II der letzte größere TV-Sender seine tägliche Zeichentrick-Programmfarbe aufgegeben.

Grund für die Einstellung ist – natürlich – die mäßige Quote. Insbesondere beim Zielgruppenpublikum der 14- bis 49-Jährigen, die etwas zu alt für die Anime-Serien bei RTL II sind. Man wolle nun den Audience Flow in der Zeitschiene bis 15.00 Uhr verbessern und einheitliche Formate zeigen – in der Tat sendet man aktuell vor und nach den Kinder- und Jugendserien seichte Unterhaltung wie Sitcoms oder Fake-Dokus. Dass nun also die ohnehin nur noch zweistündige Anime-Schiene verbannt wird, dürfte sich wohl positiv auf die Quoten auswirken – die Frage ist, zu welchem Preis man vielleicht einen oder zwei Zehntel Prozentpunkte hinzugewinnen will. Denn Serien wie «Naruto» liegen zwar unter dem Senderschnitt, holen aber meist Marktanteile von mehr als vier Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. Ob man diese Quoten mit alten Sitcoms oder Doku-Wiederholungen deutlich toppen kann, ist zu bezweifeln.

Eindeutig nimmt dagegen der Sender einen Imageschaden hin: Die Anime-Formate haben ihr ursprüngliches Zuhause bei RTL II; das positive Image bei Freunden der asiatischen Zeichentrick-Unterhaltung dürfte durch den Ausstieg nachhaltig beschädigt sein. Richtig begonnen hat der Anime-Trend im September 1999 mit dem Beginn der Serie «Pokémon», die auf der erfolgreichen Videospiel-Reihe basierte und einen Boom auslöste, der in den kommenden Jahren die Trends bei Kindern und Jugendlichen setzen sollte. «Dragon Ball», «One Piece» und viele weitere Serien holten zeitweise sogar gute Marktanteile beim Publikum zwischen 14 und 49 Jahren.

Es stimmt: Der Manga- und Anime-Boom des vergangenen Jahrzehnts ist abgeklungen, ähnlich wie es den US-Superhelden in den späten 90er Jahren ergangen war. Nun aber scheint kein Ersatz bereitzustehen, mit dem die Kids von heute ihre (Fernseh-)Freizeit verbringen werden. Im Umkehrschluss heißt dies, dass die meisten der bisherigen Anime-Zuschauer auf ein Alternativprogramm ausweichen, das gar nicht für sie bestimmt ist – beispielsweise die unsäglichen Fake-Dokus oder Gerichtsshows. Denn es ist ein Irrglaube, dass Kinderfernsehsender wie KiKa oder Super RTL die verlorene Zuschauerschaft der Zeichentrick-Strecken bei sogenannten „Vollprogrammen“ auffangen; nein, die Quoten dieser Sender steigen dadurch nicht signifikant an. Die zweite Alternative heißt: Die bisherigen Anime-Zuschauer wenden sich zur Mittagszeit vom Fernsehen ab. Angesichts des sonstigen TV-Angebots eine nicht allzu schlechte Wahl.

In der Konsequenz darf durchaus zur Diskussion gestellt werden, warum sich diverse private TV-Sender immer noch Vollprogramme schimpfen dürfen, wenn der Rundfunkstaatsvertrag aussagt: "Vollprogramm [ist] ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden". Die Alibi-Vollprogramme nutzen dabei aus, dass die Begriffe Information und Bildung durchaus weit gefasst werden können. Fakt bleibt, dass viele Sender nur noch wenige Minuten des Tages auf Nachrichten oder seriöse Information bzw. Bildung setzen. Mit dem Ende der Anime-Schiene haben sich die großen Vollprogramme endgültig auch von der zielgruppengerechten Unterhaltung für Kinder und Jugendliche verabschiedet.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
24.02.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/47947
Jan Schlüter

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