Kurz vor der Absetzung findet sich die Serie so langsam. Wir erklären, welche Fehler bisher gemacht wurden.
Es ist nicht einfach, im Fernsehen eine Superheldenserie zu etablieren. Entweder es gelingt den Autoren nicht, ein serielles Storytelling zu entwickeln, oder sie scheitern daran, ihren Charakteren genügend Freiheiten für eine tiefere Entwicklung zu geben. «Smallville» benötigte ganze vier Jahre, um deutlich mehr aus seinem Konzept herauszuholen und die «Heroes»-Autoren schrieben neben den Drehbüchern zur Serie wahrscheinlich auch die Anleitung für "Wie man eine Serie am Besten mehrfach gegen die Wand brettert". «No Ordinary Family» mag bisher noch nicht mit der Wand in Berührung gekommen sein, jedoch zeigten die Autoren zwölf Episoden lang, dass sie nicht wussten, wohin es eigentlich gehen sollte. Für eine Superheldenserie, die extraordinär sein wollte, war sie nicht nur viel zu gewöhnlich, sondern auch highlightarm. Eine halbe Staffel lang wird um den heißen Brei geschrieben und ausgerechnet, wenn die Chancen für eine zweite Staffel am bisherigen Tiefpunkt angelangt sind, wird die Serie plötzlich besser.
«No Ordinary Family» scheiterte zu Beginn vor allem daran, dass es kein Serial sein sollte, jedoch fortlaufende Geschichten erzählen wollte. Die ersten Episoden überzeugen nicht gerade mit intelligenten Geschichten; die Bösewichte werden viel zu geradlinig eingeführt, ohne diese Charaktere zu vertiefen; und die Mythologie hinter den Superkräften, die die Familie Powell nach einem Flugzeugabsturz bekommen, wurde zwar angerissen, bekam jedoch keine große Bedeutung in den weiteren Episoden zugeschenkt. Zusätzlich werden in eigenständigen Episoden Geschichten angerissen, die in späteren Folgen überhaupt nicht mehr erwähnt werden - was vor allem die beiden Teenager Daphne und J.J. betrifft, die offenbar im Eiltempo den Rest ihrer Jugend erleben, inklusive Superkräfte.
Obwohl diese Probleme kontinuierlich in allen Episoden zu bemerken sind, und obwohl die Geschichten selten wirklich interessant und gefährlich für die Powells waren, entwickelte sich «No Ordinary Family» jedoch ein bisschen in die Richtung, welche die Serie zu Beginn hätte einschlagen sollten. Die Erlebnisse in vergangenen Episoden haben plötzlich Auswirkungen auf die Charakterentwicklung, die Serie gewinnt leicht an Spannung hinzu und selbst die Superkräfte-Mythologie entwickelt sich langsam weiter - wenn auch nur in eine völlig unerwartete Richtung. Es ist schon fast offensichtlich, dass die Autoren ihren Mittelweg nun gefunden haben und versuchen, die quälenden selbstständigen Episoden zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Weg von der üblichen Prozedur des "Bösewicht der Woche", hin zu einer anderen Erzählweise. «No Ordinary Family» steht zurzeit auf einem Scheideweg und die nächsten paar Episoden werden entscheiden, in welche Richtung die Autoren endgültig gehen wollen.
Für die Zuschauer mag diese Erkenntnis jedoch zu spät kommen. Es ist auch kein Wunder, dass nach einer halben Staffel die meisten der Zuschauer vor Langeweile abgesprungen sind und keine Zeit mit einer Serie verschwenden wollen, die nur "ganz nett" ist und nicht das volle Programm bietet. Zudem wird «No Ordinary Family» gegen einen heftigen Konkurrenten gesendet: "Glee", ebenfalls auf Familienunterhaltung spezialisiert, welches die selbe Zielgruppe anspricht, stiehlt ABC jeden Dienstag die Zuschauer. Ob die Powells auch im nächsten TV-Jahr zu sehen sein werden, ist unklar. Die Einschaltquoten sehen ganz und gar nicht rosig aus und auch wenn ABC sich entscheidet, die Serie dank der qualitativen Steigerung zu verlängern, muss ein anderer Sendeplatz her. Allerdings gibt es bis auf den Sonntag wirklich keinen geeigneten Sendeplatz für eine Familienserie wie «No Ordinary Family».
Dass Superheldenstoffe im TV nicht unbedingt funktionieren, zeigt schon die Origins-Story in der Pilotfolge: Innerhalb von fünf Minuten gibt man den Powells ihre Superkräfte; weitere Zeit wird nicht verschwendet und stattdessen macht Familienpatriarch Jim sich auf dem Weg, den ersten Bösewicht mit Superkräften zu überführen. Das Problem bleibt bestehen und ist besonders in den Geschichten der beiden Teenager aufzufinden. J.J. äußert den Wunsch, Football spielen zu wollen, damit er sein Supergehirn für sein Ego ausnutzen kann - genau eine Episode lang. Danach hilft er zwar noch seinen Kumpels aus einer schulischen Misere, doch im Anschluss ist die Football-Story völlig vergessen. Daphne will als Gedankenleserin einen Jungen beeindrucken und lügt, dass sich die Balken biegen. Auch diese Geschichte ist schneller vorbei, als NBC eine seiner Serien absetzen kann. Selbiges passiert mit Georges kleiner Romanze mit einer Bezirksstaatsanwältin, sowie der innerhalb von einer Episode aufgebauten Freundschaft zwischen Jim und Detective Cordero. Und nicht zu vergessen die Entdeckung von Jims persönlichem Kryptonit. Storys werden plötzlich beendet und für verschollen erklärt.
Zudem zeugen die Drehbuchautoren nicht gerade von viel Feingefühl beim Schreiben. In jeder Episode lassen sich unzählige Löcher finden, die so einfach zu erklären gewesen wären, wenn sich die Schreiber denn nur etwas Zeit genommen hätten. Da benötigen Jim und Stephanie mehrere Episoden, bevor sie bemerken, dass ihr Sohn J.J. ebenfalls Superkräfte hat, obwohl die Beweise ihnen regelrecht ins Gesicht springen. Da gelingt es Stephanies Boss Dr. King nicht zu erkennen, dass seine beste Wissenschaftlerin Superkräfte hat, obwohl gerade sie an einer mysteriösen Pflanze arbeitet, die augenscheinlich für eben diese verantwortlich ist. Und offenbar hat noch keiner in Pacific Bay bemerkt, dass es Menschen mit Superkräften gibt. Die Polizei stellt keine Fragen, die Presse ist offenbar in der Serienwelt nicht vorhanden und allgemein scheint es die Regel zu sein, dass nie erklärt wird, ob die verstärkten Fähigkeiten wirklich nur temporär sind, wie es die Wissenschaftler jedes Mal erklären, oder tatsächlich permanent sind, wie die Familie Powell zeigt.
Zum Schluss scheint es «No Ordinary Family» nicht möglich zu sein, überraschend zu wirken. Wirklich jeden Twist kann man zehn Kilometer gegen den Wind riechen und selbst die episodenzentrischen Geschichten finden ihr erwartetes Ende. Der Besuch von Stephanies Eltern dürfte der beste Beispiel sein: Zu Beginn wird wiederholt betont, dass Stephanies Vater nichts für seinen Schwiegersohn übrig hat, doch am Ende ist alles Friede, Freude, Eierkuchen - die Moral der Geschichte wurde an den Zuschauer ausgeliefert und das Selbe wird noch einmal durchgekaut, wenn Jims krimineller Bruder zu Besuch ist. Hier zeigt «No Ordinary Family», dass es unbedingt eine Familienserie sein will und dementsprechend ähnlich wie «Eine himmlische Familie» in jeder Episode eine Moral zu bieten hat. Leider hilft es der Serie nicht, wirklich interessant zu wirken. Erst mit der zweiten Staffelhälfte scheint sich die Richtung der Serie zu verändern, wenn Dr. King endlich das Geheimnis der Powells erfährt, sowie die Powells, dass King hinter den Experimenten mit der Pflanze steht und für die Geburt der Superbösewichte verantwortlich war.
«No Ordinary Family» ist definitiv keine schlechte Serie: Die Produktionsstandards sind auf dem aktuellen Stand und auch die Effekte können sich durchaus sehen lassen. Allerdings wurde sie bisher den Erwartungen nicht gerecht; war simpel und einfach langweilig. Wenn man mit dem Serientitel anspielen will, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Serie handelt, sollte man besser nicht mit gewöhnlichen Geschichten ankommen. Das war das größte Problem, welches die Autoren zu Gesicht bekamen, und welches die Zuschauer zum Abschalten bewegte. Inzwischen scheint das Rad für die Serie nun zu rollen, doch für ABC scheint die Einsicht der Autoren zu spät zu kommen: Die Zuschauer wollen nicht zurückkehren. Damit ist «No Ordinary Family» kurz davor, sich hinter Serien einzureihen, die sich selbst zu spät fanden, und zu früh vom Sender abgesetzt wurden.