Unendlich viel Werbung, eine alles andere als perfekte Halbzeitshow und keine Cheerleader. In den USA übertrug FOX den Superbowl.
Es ist fraglos das größte TV-Ereignis des Jahres in Amerika und hinter dem Finale der UEFA Champions League das zweitgrößte TV-Ereignis der Welt. Der Super Bowl, das Meisterschaftsspiel der National Football League (NFL) und der Höhepunkt der Football-Saison, ist das absolute TV-Event für das beteiligte US-Network. Die Pittsburgh Steelers und die Green Bay Packers trafen heute Nacht mitteleuropäischer Zeit im überkuppelten Cowboys Stadium (das größte seiner Art auf der Welt) mit Sitz- und Stehplätzen für 110.000 Zuschauer in Arlington, Texas, aufeinander. Das Match, welches die Packers mit 31 zu 25 für sich entscheiden konnten, überzeugte durch ein spannendes finales Viertel, durch eine noch spannendere Aufholjagd der Steelers im zweiten und dritten Viertel, sowie einem Entertainment-Programm, welches absolut nicht Seinesgleichen suchte und schon fast nach einem gewaltigen Ausrutscher roch.
Der Super Bowl selbst war gefüllt mit den üblichen langatmigen Phasen – zu Beginn und überraschenderweise die letzten paar Minuten, als ein Field Goal von Green Bays Crosby das Spiel faktisch entschieden hat – und immerhin zwei spannenden Spielphasen, in denen Pittsburgh kurz davor war, das schon in der ersten Stunde verloren geglaubte Spiel umzudrehen, doch waren es die Minuten vor dem Spiel, während der halbstündigen Halbzeitpause und die Reaktionen der Zuschauer vor ihren Fernsehgeräten, welche das TV-Ereignis zu einem Jahresevent verwandelten. Zwischenzeitlich war schon gar nicht mehr vom Spiel selbst die Rede, sondern von den Werbefilmen und der heiß diskutierte Auftritt der Black Eyed Peas, mit (den schon Tage zuvor angekündigten) Überraschungsauftritten von Slash und Usher.
Der 45. Super Bowl in der Geschichte des American Football war auch die sechste Live-Übertragung des US-Networks FOX, welches 1997 ihr erstes Spiel mit einer Reichweite von fast 88 Millionen Zuschauern übertrug. Es sollte keine Frage sein, dass FOX eine noch höhere Reichweite als ihr 5-Spiele-Durchschnitt von 89,13 Millionen Zuschauer erreicht, besonders nach dem letztjährigen Rekord von 106,48 Millionen Amerikanern, die das Spiel auf CBS verfolgten, welches nicht nur der meistgesehene Super Bowl, sondern auch das meistgesehene US-Programm aller Zeiten ist. Da ist es kein Wunder, dass FOX die Chance des Jahres nutzte, um sein Programm des Frühjahres zu bewerben – besonders die Serienstarts von
«The Chicago Code», welches heute Nacht deutscher Zeit seine Weltpremiere feiert, sowie
«Terra Nova» und
«The X Factor». Auffallend war, dass FOX so gut wie alle seiner Programme beworben hat, mit Ausnahme von «Human Target», welches am Mittwoch sein Staffelfinale hat, der Reality «Kitchen Nightmares» und die im April startende Comedy «Breaking In». Manch einer mag darin ein Zeichen von Misstrauen des Senders gegenüber seines Programms sehen. Ein anderer mag jedoch realisiert haben, dass FOX sich redlich bemühte, seinen Neustart «The Chicago Code» anständig zu bewerben, um eine erfolgreiche Serienpremiere zu garantieren.
Wie in den vergangenen Jahren fragt man sich, ob die Zuschauer den Super Bowl wegen des großen Spiel schauen oder wegen der Werbespots. Und wie jedes Jahr fragt man sich, ob die Programminseln zwischen den Werbeblöcken (oder wie man es auch nennt: das Spiel) immer kleiner werden – jede mittelgroße Unterbrechung im Spiel wird mit einem Werbeblock begleitet, was dazu führt, dass die meisten interessanten Sideline-Reaktionen der Teams und Trainer während der Pausen ungesehen bleiben. Zudem kommt es zu einer interessanten Wendung, wenn die Zuschauer im Internet plötzlich über die teuer produzierten Werbefilmchen reden und nicht mehr über die Partie. Da scheint der letzte Touchdown vor fünf Minuten schon wieder vergessen, wenn Volkswagen mit einem sensationellen Spot hervorkommt, indem ein Mini-Darth Vader versucht, die „Macht“ an seinem Hund, an eine Waschmaschine und an seiner Puppe ausprobiert (dabei grandios scheitert), und sich am Ende enttäuscht am gerade herbeigefahrenen Volkswagen des Vaters versucht. Schon in den wenigen Tagen vor dem Super Bowl fand der Spot auf YouTube mehr als zehn Millionen Aufrufe, und auch während des Spiels fanden die Amerikaner Begeisterung an dem (verkürzten) 30-Sekünder.
Neben VW wagten sich auch Unternehmen wie Bud Light (welche den Werberegen während des Spiels mit einer Parodie auf Heimshows eröffnete), Doritos, Pepsi und verschiedene Automobilfirmen wieder ins Geschäft der teuren Werbung – FOX verlangte für einen 30-Sekunden-Spot satte drei Millionen US-Dollar. Dabei wirkten einige Spots als seien sie überfüllt mit allem, was sie zu bieten hatten. Entweder es gab zu viele Effekte wie im KIA-Spot, welches Aliens und einen Dimensionswechsel zeigte oder es gab Hollywoodstars, die eigentlich überhaupt nichts zu tun (Roseanne Barr im Snickers-Spot), alternativ sogar eine Gesangslage zu bieten hatten, wie Peter Stormare und Adrien Brody. Zusätzlich gab es Hände voll von Filmteasern, angefangen von «Transformers: Dark of the Moon» und «Cowboys & Aliens», bis hin zu vorher noch unveröffentlichten Bildmaterial der mit Spannung erwarteten Sommer-Blockbuster «Super 8» und «Captain America: The First Avenger» - das Filmherz schlug während mehrerer 30 Sekunden weitaus höher als üblich. Welcher Spot bei den Zuschauern der beliebteste war, wird sich in den nächsten Tagen noch zeigen. Die Videoplattform Hulu hat alle Werbespots zur Verfügung gestellt, dort zeigen sich neben dem schon genannten VW-Spot unter anderem auch ein Best Buy-Spot mit Ozzy Osbourne und Justin Bieber (bei dem man sich fragen muss, für wen der Spot eigentlich galt) als Favorit unter den Zuschauern. Mit den Werbespots machte FOX letztlich einen Gewinn von mehr als 200 Millionen Dollar an einem Abend – ein schönes Sümmchen, mit dem der Sender sicherlich nicht nur die Jahresstatistik aufbessert, sondern noch einige Flops des zurückliegenden Jahres refinanziert.
Das Spiel hatte seine Highlights; das Entertainment-Programm definitiv auch. «Glee»-Darstellerin Lea Michele eröffnete das Hauptprogramm des Abends mit einer Performance des Patriotenliedes «America the Beautiful», bevor Popsternchen Christina Aguilera die amerikanische Nationalhymne sang – und sich dabei versang. Somit zeigt nicht nur Deutschland, dass es Popsänger hat, die gerne mal auf eigener Faust die Lyrik verändern (wer erinnert sich nicht an Sarah Connors Auftritt während der Eröffnung der Münchener Allianz Arena?), auch Christina Aguilera bekam den Spott von Amerika zu spüren und das nicht nur im Internet. Auch die Spieler, die während der Performance hinter ihr standen, bekamen den Fauxpas mit und bestraften dies mit einem fiesen Lächeln. Das war allerdings noch gar nichts im Vergleich zur Halbzeitshow mit Black Eyed Peas, der Rocklegende Slash und der Raplegende Usher. Während die Performance selbst mit ihren Farbspielen noch recht ansehnlich herüberkam (und teils nach einer Real-Aufführung von «Tron Legacy» mit Tanzeinlagen aussah), konnte die stimmliche Seite der Performance überhaupt nicht begeistern. Neben einiger technischer Probleme (Fergies Mikro funktionierte zuerst nicht) gab es auch stilistische Probleme mit den Autotunes der Stimmen der Sänger. Auf Twitter gab es gemischte Reaktionen während der Performance – einige Stars, die direkt oder indirekt mit dem Super Bowl in Verbindung geraten sind, lobten die Black Eyed Peas, während normale Bürger und Zuschauer die Halbzeitshow mit Hohn und Spott begegneten.
Während das Spiel seine Kreise zog, bekamen Zuschauer offenbar nicht mit, dass die Cheerleader an der Seitenlinie fehlten. Das hatte allerdings simple Gründe: Die Green Bay Packers haben seit 1988 kein Cheerleading-Team mehr und bieten seitdem nur noch „geborgte“ Cheerleader, die allerdings selten zu Spielen eingeladen werden. Auch die Pittsburgh Steelers verzichten auf ihre so genannten „Steelerettes“ seit inzwischen vier Jahrzehnten. Vermisst wurden die Pompon-Schwinger während des Super Bowls allerdings nicht – was auch garantiert damit zu tun hat, dass keiner bemerkte, dass sie überhaupt fehlten. Damit zeigt sich auch, dass der Cheer-Sport keine so große Bedeutung hat, wie es der Sport (selbst Hollywood) uns weismachen will. Eine Randnotiz war außerdem der Verweis von rund 400 Zuschauern mit Tickets aus dem Stadion, weil die entsprechenden Sitzplätze nicht rechtzeitig fertiggestellt wurden. Die unglücklichen Fans bekamen aber zugesichert, dass ihnen das Dreifache des Ticketpreises (minimal 600 US-Dollar) erstattet wird und zusätzlich bekamen sie die Möglichkeit, das Spiel auf Monitoren im Stadion zu verfolgen.
Kurz nach 17:30 Uhr Ortszeit wurde das Spiel angepfiffen, nach vier Stunden gingen die Green Bay Packers als Sieger vom Feld. Dazwischen befanden sich gefühlte zwei Stunden Werbung, eine fehlbare Christina Aguilera und eine wieder einmal nicht positiv aufgenommene Halbzeitshow. FOX wird es gleichgültig sein, wie kritisch diese vier Stunden aufgenommen wurden – eine enorme Zuschauerschaft und ein Marktanteil von über 60 Prozent dürfen garantiert sein. Auch die NFL dürfte die Kritik wohl nicht interessieren. Immerhin wurden die Black Eyed Peas wegen ihres Entertainment-Faktors eingeladen und nicht, weil die Gruppe perfekt singen kann. Selbiges wird wohl für das nächste Jahr wiederholt werden – alternativ packen die NFL-Bosse wieder eine Rockband wie „The Who“ im vergangenen Jahr ins Programm, nur damit ein neues Nipplegate wie in 2004 von Angang an verhindert werden kann. Interessant wird nur, ob FOX den Reichweitenrekord von 2010 knacken kann und ob die Zuschauer den Entertainment-Part des ultimativen TV-Events des Jahres schnell vergessen – damit es im nächsten Jahr mit ähnlichen Reaktionen wiederholt werden kann.