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RTL-Dschungelcamp: Wenn Kakerlaken auf D-Promis warten…

Am Freitag startet die fünfte Staffel von «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» nach zweijähriger Fernsehpause. Quotenmeter.de analysiert die Faszination dieses Formats für Millionen Zuschauer und die Besetzung des kommenden Dschungelcamps.

Warum werden Sie in den nächsten beiden Wochen das RTL-Dschungelcamp schauen? Eine plausible Antwort würden die meisten Deutschen wohl nicht parat haben, wenn sie auf der Straße nach ihren Vorlieben für dieses Format antworten müssten. «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» ist ein Paradoxon des Fernsehgeschäfts, das aus vermeintlich irrationalen Gründen unglaubliche Einschaltquoten erzielt: Die bislang letzte Staffel war das erfolgreichste TV-Format der gesamten Saison 2008/09 in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen und erreichte exorbitante Marktanteile von oft mehr als 35 Prozent. Zum Vergleich: Der Durchschnitt des Senders RTL liegt bei 18 bis 20 Prozent Marktanteil.

Warum verbringen Millionen Deutsche einen wesentlichen Teil ihres Abends damit, sich unbedeutende Ex-Prominente anzuschauen, wie diese von den Moderatoren verspottet, dem Voyeurismus ausgesetzt und gedemütigt werden, indem sie exotische Dschungel-Insekten essen oder sich in einem Sarg mit Kakerlaken übergießen lassen müssen? Die kollektive Faszination für dieses Format ist – wie schon beschrieben – rational schwer zu erklären; zunächst als perverses „Ekelfernsehen“ bezeichnet, wurde es in den vergangenen Jahren sogar zum einem Liebling der Presse, wie Creative Director Uwe Schlindwein von der zuständigen Produktionsfirma Granada im Interview mit Quotenmeter.de erklärte. Selten hat eine Sendung so polarisiert und auch eine solche Transformation in der medialen Wahrnehmung vollzogen – obwohl sich «Ich bin ein Star» in seiner gesamten Geschichte selbst nur unwesentlich verändert hat.

Dennoch wird das Dschungelcamp bei den Werbetreibenden verhalten angenommen. Da also nicht alle Firmen im Umfeld der Show ihre Werbung buchen wollen, sind die Erlöse für den Sender RTL nicht so hoch, wie die sensationellen Einschaltquoten es eigentlich vermuten ließen. Deshalb verzichtete der Sender auch aufgrund des lauen Werbemarktes im vergangenen Jahr auf eine weitere Staffel.

Das Image der Show scheint mittlerweile jedoch gut genug zu sein, um im Programm zu bleiben. Denn oft wird vergessen, dass «Ich bin ein Star» nach der zweiten Runde im Jahr 2004 schon einmal abgesetzt war; damals begründete man die Einstellung auch mit der negativen Rezeption und Wahrnehmung in den Medien und bei den Zuschauern, die ein schlechtes Licht auf RTL werfen würde. Erst mit der dritten Staffel 2008 wurde das Format auch zum Kritikerliebling.

Vielleicht hat sich damals auch die Presse dem immensen Unterhaltungsfaktor von «Ich bin ein Star» nicht mehr entziehen können. Aber wie wird diese Unterhaltung erzeugt? Essentiell wichtig ist die Konzeptualisierung des Formats, die unter anderem vorsieht, Kandidaten teils stereotyp und klischeebehaftet darzustellen. Wenn ein Teilnehmer beispielsweise in der Show nur meckernd oder schlafend zu sehen ist, muss dies nicht zwangsweise seinem Gesamtverhalten entsprechen. Den Protagonisten werden also bewusst Rollen – gerne provokant – oktroyiert, die den Zuschauer unterhalten und vor dem Fernseher, auf dem Schulhof oder im Büro zu Gesprächen anregen sollen. Die Kandidaten haben selbst nach der Sendung oft verlauten lassen, dass die Darstellungen in den Shows nicht der gesamten Wahrheit entsprochen hätten. Als Konsument sollte man sich also immer vor Augen führen, dass die täglichen Bilder aus dem Dschungel konstruiert sind und nicht zwangsweise das reelle Leben im Camp abbilden.

Genau dies ist aber nicht unbedingt negativ anzusehen – denn so wird Unterhaltung produziert. Die Teilnehmer dem öffentlichen Image nach darzustellen ist schließlich kein Delikt, denn schließlich haben es die Ex-Promis selbst zu verantworten, wie sie sich vorher den Medien präsentiert haben, bevor sie ins Camp gehen mussten. Und genau diese öffentliche Wahrnehmung bedient einen weiteren Unterhaltungsaspekt von «Ich bin ein Star», jenem des Voyeurismus und der Schadenfreude: Wir wollen sehen, wie gescheiterte Prominente „gequält“ werden – dazu wählen wir sogar die unbeliebtesten in die jeweiligen Dschungelprüfungen. Wir wollen sehen, wie diese Promis ihr Klischee bedienen und wir wollen sehen, wie sie unter fast animalischen Bedingungen leben. Die Faszination liegt in genau diesem bipolaren Gegensatz zwischen der Glamour-Welt des Showbiz und dem plötzlichen gesellschaftlichen Abstieg, dessen letzter finanzieller Ausweg oft das Dschungelcamp ist. Dies wissen die Zuschauer, und sie gefallen sich in ihrer Rollen, über das Leid des Kandidaten selbst entscheiden zu dürfen – genau dann, wenn sie für die jeweiligen Dschungelprüfungen votieren.

Ein nicht unerheblicher Unterhaltungsfaktor ist auch die Art der Moderation von Sonja Zietlow und Dirk Bach. Sie verkörpern die jeweiligen Gedanken und Meinungen des Zuschauers über die Teilnehmer – und sprechen diese live vor der Kamera aus. In jedem Moderationssatz trieft es vor Zynismus und gradueller Respektlosigkeit gegenüber den im Camp weilenden Kandidaten. Somit werden Zietlow und Bach als boshafte Repräsentanten der öffentlichen Meinung selbst zur Unterhaltung. Ohne dieses distanziert-analytische Korrektiv, das gegenüber dem fern und zivilisationsfeindlich wirkenden Dschungelcamp auch noch die normale (Gedanken-)Welt der Zuschauer zeigt, wäre das Format nicht möglich.

Letztlich kann man sich bei «Ich bin ein Star» nur Eines verdienen: Respekt. Beispielsweise hat es Désirée Nick trotz ihrer provokant-ekelhaften Art geschafft, Dschungelkönigin der zweiten Staffel zu werden – genau deswegen, weil sie vor keiner Prüfung zurückschreckte und tapfer diverse Riesenwürmer und Känguruhhoden verschlang. Bei Schlagersänger Costa Cordalis, dem Gewinner der ersten Staffel, war dies ähnlich, denn er meisterte seine Prüfungen mit einer Souveränität und buddhistischer Ruhe, wie er sie auch sonst im Camp selbst authentisch ausgestrahlt hatte. Auch der Sänger Ross Antony wurde für die Überwindung seiner Angst mit dem Titel des Dschungelkönigs gekrönt – er entwickelte sich im Laufe der Staffel überraschend von der Heulsuse zum tapferen Kontrahenten, der seine persönlichen Dämonen besiegen konnte. Und auch die knallharte Mörderin Ingrid van Bergen fraß sich über Fischinnereien, Heuschrecken und Madenwürmern zum Titel.

In der neuen Staffel ziehen wieder Prominente unterschiedlichster Branchen ins Camp. Konfliktpotenzial ist beispielsweise bei den Models Gitta Saxx und Sarah Knappik («Germany’s Next Topmodel») vorhanden, die sicherlich nicht nur der große Altersunterschied trennt. Als alternativer Hippie dürfte Reiner Langhans für viele Zuschauer die zunächst interessanteste Figur der Show sein. Peer Kusmagk ist als gescheiterter Fernsehstar einzustufen – als früherer Primetime-Moderator bei VOX und Präsentator des Sat.1-Frühstücksfernsehens sowie Soap-Schauspieler datiert sein letzter IMDb-Eintrag vom Jahr 2006. Aus der Welt des Gesangs treten Eva Jacob von den „Jacob Sisters“, Jay Khan der Gruppe „US5“ und Indira Weis der früheren «Popstars»-Gruppe „Bro’Sis“ gegeneinander an. Das Feld komplettieren die Schauspieler Katy Karrenbauer und Mathieu Carrière, der Schwimmer Thomas Rupprath und Wedding-Planner Frank Matthée.

Aber keine Angst: Wenn Sie zehn der elf gerade genannten Namen nicht kennen, dann dürfte dies auch nicht anders als in den vergangenen Staffeln sein. RTL wird schon genug Geschichten finden, um Ihnen die Kandidaten – im wahrsten Sinne des Wortes – schmackhaft zu machen. Laut Presseberichten hat die Produktionsfirma circa eine Million Kakerlaken für die nächsten Dschungelprüfungen bestellt. Also, liebe Ex-Promis: Kommt am besten hungrig im Camp an.
13.01.2011 13:22 Uhr Kurz-URL: qmde.de/47014
Jan Schlüter

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