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«Kirschs Blüten»: VIVA la Revolution

Der Abschied von «MTV Home» rückt immer näher: Doch ist die Sendung nur ein Bauernopfer des wechselhaften Musikfernsehens?

So schnell kann es gehen: Zuletzt noch hochgejubelt und doch bald schon wieder eingestellt. So wechselhaft wie das Wetter, ist eben auch das Medien-Geschäft. Und vor allem im Musikfernsehen gilt: Beständig ist eigentlich nur die Unbeständigkeit. Denn der Wind, er dreht sich stetig. Das gilt auch für «MTV Home». Die beliebte Sendung mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf bekam die harten Gesetze des Musikfernsehens zu spüren. Bei MTV, das nun wieder einen neuen Kurs eingeschlagen hat, wird es für die beiden Moderatoren mit ihrer Sendung künftig nicht weiter gehen. Da sich MTV unter dem Abbrennen des Silvesterfeuerwerks ab ins Pay-TV geschlichen hat, war schon im Vorfeld bereits klar, dass für «MTV Home» eine wechselhafte Zeit anbrechen würde oder dass man sich gegebenenfalls mit dem Wind drehen müsste. Doch dass der Sturm, der alles verändert, derart schnell aufkommen und über alles hinweg fegen würde, hatte man sich nicht mal in den kühnsten Unwetter-Alpträumen ausgemalt.

Zwar sollte die Sendung mit Joko & Klaas im Bezahlfernsehen weiter laufen und bei dem nun einzigen deutschen Free-TV-Musiksender des US-Mutterkonzerns Viacom namens VIVA, das seit 2005 in die MTV Networks Germany eingegliedert ist, regelmäßig gezeigt und wiederholt werden, so dass die große Fan-Schar zumindest VIVA noch ein paar Marktanteile einbringen würde, doch das Ende vom Lied ist dann sehr schnell besungen worden. Die letzten Takte: Wie geplant wird «MTV Home» noch bis Ende März auf Sendung sein – doch danach fällt die Sendung einer weiteren Revolution im Musikfernsehen zum Opfer. Ein Klingelton-Abo aus den Restposten der Free-TV-Zeit von MTV gibt es dann vielleicht noch gratis zum Abschied, doch ab April ist definitiv Schluss. «MTV Home» wird eingestellt und so verschwindet ein beliebtes Format des Musiksenders, der sich selbst gar nicht mehr so bezeichnet.

Die MTV-Sendung, die sich noch Wochen und Monate vor dem Bekanntwerden des Abtauchens ihres Senders zum Jahreswechsel einen Namen gemacht hatte, überzeugte Publikum und Journalisten gleichermaßen. Sie war binnen weniger Monate zur Kultsendung aufgestiegen, ein wenig vielleicht wie früher «Vivasion» beim damals noch Konkurrenten VIVA, der nun alleine im Free-TV Musik machen darf - wenn es denn möchte. «MTV Home» landet auf dem Fernsehfriedhof und wird wie übrigens auch das kürzlich erst renovierte «Viva live» zum Bauernopfer einer Revolution, die das deutsche Musikfernsehen nicht zum ersten Mal erlebt.

Auf dem Zenit ihres Erfolg mit «MTV Home» haben Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf für sich selbst vorgesorgt: Die beiden Hauptmoderatoren haben sich für die nächsten zwei Jahre exklusiv an Endemol gebunden und sollen neben «Ahnungslos» und «17 Meter» an weiteren Projekten für ProSieben arbeiten. Langweilig wird ihnen also auch ohne «MTV Home» nicht werden. Doch es bleibt ein fader Beigeschmack. Denn das große Interesse an der Sendung «MTV Home» wie auch die Tatsache, dass man erfolgreiche Elemente des Formats in einer komplett neuen Sendung in der zweiten Jahreshälfte aufgreifen möchte, zeigen, dass «MTV Home» gehen muss, weil MTV Networks Germany die Weichen auf Veränderungen gestellt hat. Der Schnellzug rollt einer neuen Ära entgegen: Denn auch VIVA soll ein neues Profil erhalten, neu positioniert werden.

Mit dem Song „Viva Forever“ hatte sich MTV in der Silvesternacht zur Geisterstunde ins Bezahlfernsehen verabschiedet. „Viva la Revolution“ hätte deutlich besser gepasst. Denn der Umzug von MTV war nur der Anfang einer Reihe von Veränderungen, die unter dem Deckmantel der „Überarbeitung von Eigenproduktionen im Hinblick auf neue Unternehmensstrategien“ vollzogen werden. Denn das heißt im Klartext: Die Programmstruktur verändert sich grundlegend. Eine Revolution der Programminhalte, wie es sie schon oft gegeben hat.

Alles neu - doch der letzte Geheimtipp bleibt auf der Strecke. Bezahlen also für das angeblich neue, bessere MTV, das in naher Zukunft aber wohl ohne seine beste Sendung auskommt. Sie hat ein Ende. Dann doch lieber ein Klingelton-Abo bestellen? Nein - die sind auch nicht mehr ganz zeitgemäß. Natürlich - MTV wird eine neue, ganz ähnliche und vielleicht sogar bessere Show ins Programm bringen. Ganz verzichten wird man auf das Genre nicht. Auch bei VIVA natürlich nicht, das schließlich auch überleben muss. Doch damit kommt das wüste Chaos aus zahllosen Veränderungen im Musikfernsehen wohl gar nicht erst zu einem Ende. Denn wo die Mühlen anderswo sehr langsam mahlen, drehen sich die Räder bei MTV immer noch sehr schnell - zu schnell könnte man fast meinen.

Wagen wir einen Rückblick: Nach der Gründung des Musiksenders in den USA war man Macher der großen Stars in den Achtziger und Neunzigern: Michael Jacksons „Thriller“-Video war eines der ersten großen Revolutionen - der Meilenstein in der Geschichte des Musikvideos. Auch Madonna brachte dem Sender oft heiße Diskussionen und gehörig Wirbel - wie es heutzutage gelegentlich noch Stars in Fleisch-Kostümen à la Lady Gaga schaffen. Doch findet das im Internet-Zeitalter bei YouTube deutlich mehr Beachtung. Die Preisverleihungen der MTV Music Awards und die European Music Awards waren ein Publikumsmagnet und machten den Musiksender groß. Bis dahin trug er seinen Namen zurecht: MTV - Der Musiksender. Doch irgendwann dann kam die Klingelton-Werbung – mit ihr hielt nicht nur der größte Kritikpunkt am Musik-TV, sondern auch eine erste Veränderungswelle ihren Einzug, die alles veränderte.

Der "Crazy Frog" war sozusagen die Wurzel allen Übels, wenn man dem Kind einen Namen geben möchte. Während sich die Zuschauer wegen der übermäßigen Klingelton- und Handy-Gimmiks-Angeboten in den Werbepausen entnervt abwendeten, versuchte MTV zum Jugendsender zu werden und setzte auf jene Teenager, die ihren entsetzten Eltern horrende Handy-Abrechnungen und dem einstigen Musiksender satte Einnahmen bescherten. Doch Klingeltöne allein reichten nicht: Serien wie «South Park» & Co. sowie Reality-Shows verdrängten die Musikvideos vom Musiksender. Eine paradoxe Entwicklung, die aber nicht mehr aufzuhalten war. Und natürlich hat das alles nicht auf Anhieb seine Früchte getragen. Die neuen Trends ließen nicht lange auf sich warten und so wurde der stetige Wandel immer weiter voran getrieben. Bildlich gesprochen: War der Stein einmal ins Rollen gebracht, kam er nicht mehr zur Ruhe.

Doch der jetzt vollzogene Rückzug von MTV ins Bezahlfernsehen ist ein weitaus größerer Einschnitt beim einst glanzvollen Musiksender Nummer Eins. Auch VIVA hat kein gänzlich anderes Schicksal hinter sich, auch wenn der Sender noch frei empfangbar ist. Die Revolution muss er dennoch mitmachen. In Zeiten von YouTube ist angeblich kein Platz mehr für Musikvideos im TV. Ein neuer Anstrich muss her, denn von dem Glanz früherer Tage ist nichts mehr übrig. Wie schon viele Sendungen wird man nun also auch «MTV Home» zu Grabe tragen, einen der wenigen Lichtblicke am gänzlich von dunkelen Wolken bedeckten Horizont. Doch die Beerdigung des deutschen Musikfernsehens hat schon viel früher stattgefunden. Man hat sie nur verdrängt – als Randerscheinung der vergeblichen Revolutionen.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de!
11.01.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/46955
Jürgen Kirsch

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Kirschs Blüten

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