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«Schlüter sieht's»: Sie polarisiert

«Menschen bei Maischberger» ist aktuell ein großer Erfolg. Liegen die Gründe im Krawall-Talk?

Am Dienstagabend konnte die ARD-Talkshow «Menschen bei Maischberger» ihre beste Reichweite des Jahres einfahren. Der Grund: Altkanzler Helmut Schmidt führte mit Sandra Maischberger das erste große Fernsehinterview nach dem Tod seiner Frau Loki, an welchem Millionen Menschen in der Republik Anteil genommen hatten. Schmidt und Maischberger – das ist eine besondere Beziehung innerhalb der „politischen Klasse“, die Schmidt am Dienstag definierte: Zu ihr gehörten nicht nur die Politiker selbst, sondern auch die Polit-Journalisten, Maischberger eingenommen.

Schon seit vielen Jahren begleitet Sandra Maischberger den Weg des Altkanzlers. 2002 erschien ihr Interview-Buch "Hand aufs Herz – im Gespräch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt", weiterhin produzierte sie das langjährige TV-Projekt «Helmut Schmidt außer Dienst» – eine hervorragende Dokumentation über das Arbeiten und Wirken des Hanseaten im neuen Jahrtausend. Es war also wenig überraschend, dass Schmidt das erste längere TV-Gespräch nach dem Tod seiner Frau mit Sandra Maischberger führte. Diese wrde prompt belohnt mit der besten Quote für ihre ARD-Talksendung, die seit mittlerweile über sieben Jahren existiert. 2,73 Millionen Menschen wollten den aktuellen Einschätzungen Schmidts zum politischen Geschehen lauschen.

Es ist zumindest überraschend, dass Maischbergers beste Quote ausgerechnet mit einem hochpolitischen Talk eingefahren wurde. Denn das Konzept von «Menschen bei Maischberger» basierte in den letzten Monaten und Jahren weniger auf Polit-Diskussionen – man wollte sich bewusst von «Anne Will» und «hart aber fair» abgrenzen. Mit Erfolg: Im Jahr 2010 konnte Maischberger immer wieder starke Quoten einfahren, beispielsweise auch im November, als über Pleite-Promis philosophiert wurde. Der strikte Ansatz der Sendung: Darüber diskutieren, was den Zuschauern wichtig ist – nicht, was den Politikern oder der intellektuellen Klasse wichtig erscheint.

Es lässt sich nicht vermeiden, dass die eine oder andere Diskussion auch in klassischen Krawall-Talk ausartet und in der Bild-Zeitung Schlagzeilen macht. Aber auch das ist kalkuliertes Konzept der Produktion – womit zwar das Niveau der Show sinkt, aber der Unterhaltungswert immens gesteigert wird. Maischberger setzt bewusst auf sehr kontroverse Thesen und besonders polarisierende und provokante Gesprächspartner. Am Ende geht es bei ihr manchmal lauter zu als an einem gepflegten Stammtisch. Den Zuschauern aber gefällt diese bewusste Brisanz, was deutlich aus den starken Quoten der Jahre 2009 und 2010 hervorgeht. Ihr Lohn: «Menschen bei Maischberger» war von der kollektiven Talk-Diskussion und den ARD-Programmänderungen im Herbst 2011 ausgenommen. Während Beckmann, Will und Plasberg sich an komplett andere Sendeplätze gewöhnen müssen, darf Maischberger gelassen weiter am Dienstagabend um 22.45 Uhr talken. Festzuhalten bleibt: Natürlich basiert der aktuelle Erfolg der Sendung nicht nur auf kontroversen Debatten, aber auch. Vielmehr treffen ihre Themen sehr oft den Puls der Zeit, was als großer Verdienst der Redaktion zu werten ist. Die damit einen großen Schritt gegenüber zahlreichen anderen Shows im Talk-Zirkus voraus ist, welche oftmals am Zuschauer vorbeidebattieren.

Maischbergers Sendung ist überraschenderweise neben «Beckmann» die einzige Talkshow, die auf der Website des Ersten als Unterhaltungsformat deklariert wird und nicht im Informationsbereich zu finden ist. Nimmt man diesen Umstand als gegeben hin, lohnt sich das Einschalten – zu viele Informationen darf man eben nicht erwarten, sondern eher Unterhaltung. Ähnlich war es – sicher ungewollt – teils auch am Dienstag im Gespräch mit Helmut Schmidt. Viele Fragen beantwortete er nicht mit dem Verweis auf den Bezug zur Tagespolitik, in die er sich nicht mehr einmischen wolle. Der weise 92-Jährige weiß eben, wie das politisch-journalistische System funktioniert; er hebelt es mit einem kargen Satz aus und stellt sich bei zahlreichen Fragen stur. Wenn dies nicht geniale Unterhaltung (neben dem Informationscharakter) ist, was dann?

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
16.12.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/46489
Jan Schlüter

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Schlüter sieht's

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