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«Schlüter sieht's»: Die Frage der Schuld

Wer trägt beim «Wetten, dass..?»-Unfall die Verantwortung und welche Konsequenzen gibt es?

Seit Tagen schon ist der schwere Unfall der «Wetten, dass..?»-Show vom Wochenende in den Schlagzeilen, noch am Dienstag berichtete die FAZ online mit ihrem Aufmacher über die Hintergründe des Sturzes von Wettkandidat Samuel Koch. Sogar die öffentlich-rechtlichen Nachrichten informierten die Zuschauer auch Tage später über seinen Gesundheitszustand. «Wetten, dass..?» hat es auf perfide, selbstverständlich ungewollte Art und Weise wieder geschafft, das bestimmende Gesprächsthema in ganz Deutschland zu werden – ein Status, den die mit sinkenden Quoten und Relevanz kämpfende Samstagabendshow schon seit Jahren nicht mehr inne hatte. In Büros, auf Schulhöfen, in den Mittagspausen wird diskutiert: Durfte Gottschalk diese Wette ausrichten? Ist das Team der Show diesmal zu weit gegangen? Oder hat der Kandidat selber schuld?

Nach und nach sind in den vergangenen Tagen zahlreiche Infos über den Unfall-Kandidaten Samuel und seine Wette ans Licht getreten. Beispielsweise wurde bekannt, dass er in den Proben laut eigener Angaben gestürzt sei, obwohl Gottschalk noch in Interviews beteuert hatte, dass es keine unplanmäßigen Vorfälle gegeben habe. Mittlerweile wurde von Bild.de eine Skizze veröffentlicht, auf welcher der genaue Ablauf der Wette festgehalten wurde – wann also Samuel abspringen sollte, um das fahrende Auto zu passieren, wie der Fahrweg des Wagens ist usw. Die Wette war akribisch durchgeplant, wurde sicher hunderte Male geübt – zwar nicht bei den Proben, aber natürlich schon in monatelanger Vorbereitung. Denn zu «Wetten, dass..?» dürfen nur jene Kandidaten, die auch eine reelle Chance auf den Wettgewinn haben. Dafür spricht auch, dass die ersten Versuche des Kandidaten in der Show selbst erfolgreich verliefen.

Menschliches Versagen war also letztlich die Ursache für den schlimmen Unfall von Samuel. Weder das Team der Sendung noch Thomas Gottschalk oder Michelle Hunziker können Verantwortung dafür tragen, dass diese Wette den schlimmsten anzunehmenden Ausgang genommen hat. Samuel Koch hat das Risiko auf sich genommen, diese gefährliche Wette auszuprobieren – es war allerdings objektiv längst nicht die gefährlichste in der Geschichte der Show: Erst vor einem Jahr wurde eine Wette veranstaltet, in der ein Kandidat während der Fahrt den Vorderreifen seines Motorrads gewechselt hat. Legendär auch die Wette, in der ein Teilnehmer in seinem Bagger ohne fremde Hilfe einen 15 Meter hohen Turm erklommen hat. Oder in welcher ein Sportler eine Häuserwand von außen mit Saugnäpfen hochgeklettert ist. Es ist auch der Nervenkitzel, von dem «Wetten, dass..?» lebt und immer schon gelebt hat, von dem die Zuschauer letztlich somit unterhalten werden.

Die Wette vom Samstag basiert auf dem Funsport „Bouncing“, bei dem Menschen mit Sprungstelzen Hindernisse überspringen oder sich fortbewegen. Es ist also keinesfalls so, dass Samuel mit irgendeiner neuartigen Technik etwas völlig Unerprobtes oder Unbekanntes gewagt hätte – nein, diese Sportart birgt, wie alle Extremsportarten, ein gewisses Unfallrisiko, das die Menschen einzugehen bereit sind. Und auch bei «Wetten, dass..?» sind schon zahlreiche Extremsportarten in Wetten ausprobiert worden. Die Redaktion der Show, die große Akten über ihre Wettkandidaten anlegt, wusste und hatte die Informationen, dass Samuel Koch diesen Sport betreibt, zudem auch noch als Stuntman arbeitet. Wie hätte sie also diese Wette vor dem Hintergrund, dass es bisher bei deutlich gefährlicheren Aktionen in «Wetten, dass..?» keine Unfälle gab, nicht zulassen können? Erst nachher sind wir alle schlauer. Die Halbwissens-Diskussion der Medien darüber, ob man eine solche Risiko-Wette auch aufgrund des Quotendrucks veranstaltet hat, wirkt vor diesem Hintergrund völlig obsolet und dumm. Auch bei Shows wie dem «Supertalent», das parallel lief, können Unfälle passieren und sind schon passiert. Der Zuschauer bekommt dies für gewöhnlich aber nicht mit, weil fast keine Sendungen mehr live im TV gezeigt werden.

Richtig ist, dass das ZDF die Show mit Thomas Gottschalk fortsetzen will. Denn das Team kann, wie aufgeführt, nicht die Verantwortung für diesen Super-GAU tragen. Dennoch wird es zweifellos inhaltliche Konsequenzen für «Wetten, dass..?» geben. In den kommenden Monaten wird es sicherlich keine „gefährlichen“ Wetten mehr geben, vielleicht nie mehr – eine Über-Sensibilisierung bezüglich des Risikofaktors der Aktionen dürfte nächsten Folgen bestimmen. Wann der Show-Alltag für Gottschalk und Hunziker wieder eintritt, lässt sich noch nicht voraussagen. Der Showdino behielt sich sogar vor, die Moderation des ZDF-Jahresrückblicks für Sonntag abzusagen (sagte aber mittlerweile zu), Michelle Hunziker stand laut Medienberichten tagelang unter Shock.

Im Februar wird «Wetten, dass..?» wie geplant aus Halle a. d. Saale zurückkehren. „The Show must go on“, heißt es gerne. Und so sollte es auch in diesem Falle sein. Denn festzuhalten bleibt, dass dieses schlimme, höchst unglückliche Einzelschicksal nicht 29 Jahre erfolgreicher Fernsehunterhaltung mit «Wetten, dass..?» in Frage stellen darf. Und doch wird dieser 04. Dezember 2010 als schwärzestes Kapitel in die Geschichte von Europas erfolgreichster Fernsehshow eingehen - auch als Mahnmal für eine hoffentlich unfallfreie Zukunft.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
09.12.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/46335
Jan Schlüter

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Schlüter sieht's

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