Wie die Nachrichten sensibilisieren und welche Rolle Politik und Medien dabei spielen, erklärt Jürgen Kirsch.
Deutschland lebt derzeit in Angst. In Angst vor Terroranschlägen. Ernstzunehmende Drohungen soll es gegeben haben, die Bundespolizei ist alarmiert und kontrolliert verstärkt mit Maschinengewehren bewaffnet die Flughäfen und Bahnhöfe großer deutscher Städte. Wenn die aufgerüsteten Beamten der Bundespolizei in die S-Bahn steigen, hat man auch als unschuldiger Passant gleich ein mulmiges Gefühl, denn die Terrorgefahr in Deutschland wird so erst richtig bewusst. Wenn die Angst das Blut in den Adern gefrieren lässt, dann sind die Deutschen aber auch wachsam – geben häufiger Hinweise auf herrenlose Gepäckstücke oder Auffälligkeiten als sonst. Es scheint nicht nur so, dass unsere Mitbürger für das Thema sensibilisiert sind. Schlechte Karten also für die Terroristen, die umso mehr Gefahr laufen aufzufallen. Doch meistens agieren sie ohnehin nicht auffällig. Das macht die Bedrohung erst so groß und schränkt viele Menschen aus Angst in ihrem Alltag ein. Nur noch wenn es wirklich sein muss, wird Bahn gefahren oder in den Flieger gestiegen. Und die Sensibilisierung für die Terrorangst wurde auch von den Medien auf die Bevölkerung übertragen.
Es gibt stündlich eine Sondersendung, in den Nachrichten ist das Thema immer eine Schlagzeile wert und immer mehr Experten kommen zu Wort, um die Lage einzuschätzen. Die Nachrichtenredakteure haben also alle Hände voll zu tun. Der Zuschauer möchte im Fernsehen auf dem Laufenden bleiben und so ist der Ticker der Nachrichtensender eine erste Quelle, die aufmerksam verfolgt wird. Und natürlich werden auch die Sondersendungen eingeschaltet. Denn insgeheim ist der starke Nachfrage nach Informationen über das Thema Terrorgefahr beim Publikum auch mit der leisen Hoffnung verbunden, dass seine Ängste mit der nächsten Meldung beruhigt werden, dass es Entwarnung gibt oder einfach nur, dass man sich irgendwie in Sicherheit wähnen kann. Der Wissensdurst der ängstlichen Zuschauer muss vom Sender also gestillt werden. Die programmieren Sondersendungen befassen sich ausführlich mit dem Thema – denn genau das will der Zuschauer momentan sehen. Die Informationspflicht der Journalisten ist dabei ein ganz schwieriges Unterfangen. Denn wirkliche Informationen über Terrorgefahr in Deutschland sind sehr vage. Es gibt Hinweise und Meldungen, doch sind auch die Informationen aus der Politik meist nur spärlich. Sie kommen dann, wenn es gerade gut ins Bild passt – wenn zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung von den Medien aufgegriffen werden soll.
Das passt derzeit wahrlich gut ins Bild. Denn wenn Terroristen Deutschland bedrohen und in allen Sondersendungen und Nachrichtenmeldungen über das Thema keine Entwarnung gegeben werden kann, der Zuschauer also keine Beruhigung der eigenen Ängste erfährt, dann will doch die Politik wenigstens den Anschein erwecken als mache man sich Gedanken um die Sicherheit seiner Bürger. Und da auch die Medien auf das Thema Terrorgefahr sensibilisiert sind, greifen sie es in ihren Sondersendungen und Meldungen natürlich auf. Dabei sind aber manche Medien auf eine etwas fragwürdige Weise sensibilisiert. Die Journalisten sollen schließlich ihre Zuschauer informieren, nicht aber ihnen Angst machen. Und genau diese Angst der Bevölkerung wird hier und da auch gerne schamlos ausgenutzt. Nämlich dann, wenn das Informationsbedürfnis und die Gier nach Quoten und Auflagen einhergehen. Für die Einschaltquoten ist es natürlich gut, wenn die Menschen in der Hoffnung auf beruhigende Nachrichten auch die dritte Ausgabe der Sondersendung einschalten. Und auch so mancher Sicherheitsexperte entpuppt sich in Zeiten von Angst und Gefahr gerne als Selbstdarsteller, der die Gunst der Stunde nutzt, um sich und seine Karriere ein stückweit voran zu bringen. Das darf nicht sein. Denn wenn die in Freiheit lebende westliche Welt sich durch Ängste einschränken lässt, dann haben die Terroristen schon den psychologischen Sieg errungen, denn dann wird die Freiheit im Westen zu einem immer knapperen Gut. Und die Kanzlerin hat Recht, wenn sie ihr Volk aufruft die Einschränkungen nicht einfach so hinzunehmen. Selbst dann nicht, wenn man sich für das Thema hat sensibilisieren lassen.
«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de!