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Die Kino-Kritiker: «Stichtag»

«Hangover» on Tour: In «Stichtag» reisen Robert Downey Jr. und Zach Galifianakis als ungleiches Duo quer durch die USA.

Der unter seiner spießigen Schale eine cholerische Natur versteckende Architekt Peter Highman (Robert Downey Jr.) steht kurz davor, Vater zu werden. In fünf Tagen soll sein erster Sohn das Licht der Welt erblicken. Um diesem Ereignis beizuwohnen, bucht er einen zeitigen Flug von Atlanta in seine Heimat Los Angeles. Am Flughafen angekommen, begegnet ihm der bärtige und trunkene Chaot Ethan Tremblay (Zach Galifianakis). Und somit das personifizierte Unglück. Nach einigen Querelen auf dem Flugplatz verwickelt der angehende Schauspieler (von Klassikern hat er keine Ahnung, aber «Two and a Half Men» ist ihm eine große Inspirationsquelle) den genervten Peter kurz vor dem Abflug in ein Gespräch über Terroristen und Bomben. Die Flugsicherung hält die zwei aufgrund dieses auffälligen Getuschels selbst für Terroristen – und lässt sie kurzerhand festnehmen. Außerdem stehen sie nun auf der No-Fly-Liste. Widerwillig geht Peter eine Fahrgemeinschaft mit Ethan ein, der den Weg nach Los Angeles in einem Mietwagen hinter sich bringen möchte. Dass der lange Weg fast quer durch die USA nicht gut gehen kann, erklärt sich bei einem solch ungleichen Duo natürlich von selbst: Die Reise in die Stadt der Engel ist gepflastert mit Drogen, Egokämpfen und Widerständen gegen die Staatsgewalt.

Komödienregisseur und -autor Todd Phillips feierte mit dem College-Roadmovie «Road Trip» seinen ersten nennenswerten Erfolg. Vergangenes Jahr erreichte Phillips dank «Hangover» nie erahnte Blockbusterweihen. Da überrascht es nicht, dass er in «Stichtag», dem Lückenbüßer zwischen der Las-Vegas-Katerkomödie und ihrer in Thailand spielenden Fortsetzung, auf ähnliche Zutaten setzt. So defensiv diese Weise auch sein mag, verübeln möchte der Kinogänger Todd Phillips seine Entscheidung nicht. Etwa beim Anblick von Zach Galifianakis, der größten Parallele zwischen «Stichtag» und «Hangover». Er war der heimliche Star des chaotischen Junggesellenabschieds und die meisten Zuschauer dürften sich am Ende von «Hangover» wohl mehr von ihm gewünscht haben. Dieser Wunsch geht in «Stichtag» schließlich in Erfüllung, und das ohne Anlass zu geben, ihn wieder zu bereuen. Sicherlich könnte der spitzfindige Kritiker bemängeln, dass Galifianakis einfach nur eine leichte Variation der gleichen Rolle gibt (Ethan ist redseliger sowie chaotischer als sein Seelenverwandter aus «Hangover»), aber so lange die Lacher sitzen und sich diese Figur nicht überreizt, ist diese Kritik irrelevant. Als verpeilter und ungepflegter Möchtegernschauspieler geht Galifianakis neben Robert Downey Jr. genauso auf, wie im großen Überraschungshit des letzten Jahres. Mit anzusehen, wie der «Iron Man»-Darsteller ausgerechnet in der Rolle des knochentrockenen „straight man“ neben dem bärigen Außenseiter in die Verzweiflung getrieben wird, ist sehr kurzweilig.

Diese Figurenkonstellation hat einen kaum zu übersehenen Nachteil: Sie ist uralt. Ein eng geknöpfter Durchschnittsmann, der an einen für Trubel sorgenden Spinner gekettet ist, das konnte man sich schon dutzendfach im Kino und Fernsehen anschauen. Von der gleichermaßen simplen wie genialen Frische von «Hangover» hat «Stichtag» nicht sehr viel zu bieten. Das betrifft nicht nur die Grundidee, sondern auch einige Handlungspunkte, die Phillips als Überraschungen zu inszenieren versucht. Konnte sich «Hangover» einen gewissen Teil seiner weltweit 467 Millionen US-Dollar Kinoeinspiels zweifelsohne auch aufgrund seiner Einmaligkeit erarbeiten, so lebt «Stichtag» von den Namen der beiden Hauptdarsteller und der guten Arbeit hinter der Kamera. Das Drehbuch zu «Stichtag» bietet Innovation und Originalität nur im Sparpaket an, doch Todd Phillips hat es immerhin mittlerweile raus, eine erwachsen-absurde Chaoskomödie im Großformat zu inszenieren : Die stilleren Momente schaffen es zwar nicht, die Figuren zu etwas denkwürdigem zu erheben, sind aber effektiv genug, dass man sich für die Laufzeit des Kinofilms um sie sorgt. Zumindest ein wenig. Davon profitieren die in stets eskalierenden Schüben kommenden komödiantischen Einlagen, in denen die Darsteller tolles Timing beim Dialogwitz beweisen und Regie sowie Schnitt eine wahnwitzige Situationskomik zelebrieren. Durch diesen hebt sich «Stichtag» letztlich auch von der Comedykonkurrenz ab: Der Film ist absurd und brachial, aber nicht so realitätsfremd wie «Die etwas anderen Cops» oder so sehr auf Ekelhumor geeicht wie die archetypische Teeniekomödie.

Gepackt wird die ungewollt zerstörerische US-Reise des ungleichen Duos Peter und Ethan in beachtliche Kameraaufnahmen von Lawrence Sher, der die Komödie wie einen gut budgetierten Actionthriller aussehen lässt. Dadurch sieht «Stichtag» aufregender aus, als er ist. Den ständigen Zeitdruck, rechtzeitig zur Geburt von Peters Sohn am Ziel anzukommen, lässt einen Phillips aufgrund des bloß mittelmäßigen Drehbuchs nämlich nicht spüren.

Fazit: «Stichtag» ist „«Ein Ticket für zwei» trifft «Hangover»”: Absurde, wilde Situationen, rauer Dialogwitz und zwei toll harmonierende Hauptdarsteller, die über Schwächen in der Story hinwegtäuschen. Die Idee ist ausgelutscht, wird aber unterhaltsam mit latent größenwahnsinniger Situationskomik aufbereitet und sollte deshalb Fans von «Hangover» zu überzeugen wissen. Wer aber schon mit Todd Phillips’ in Las Vegas spielender Erwachsenenblödelei nichts anfangen konnte, der sollte den absurderen und weniger kultverdächtigen «Stichtag» wohl lieber versäumen.

«Stichtag» ist seit dem 4. November in vielen deutschen Kinos zu sehen.
05.11.2010 07:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/45617
Sidney Schering

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Kino-Kritiker. Stichtag

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