Mit «Scott Pilgrim» liefert Edgar Wright einen knalligen Videospielfilm ab, der in Wahrheit auf einem originellen Comic basiert.
Der kanadische Slacker Scott Pilgrim (Michael Cera) steckt in seinen frühen Zwanzigern und schleppt sich als Bassist einer Indieband, die Sex Bob-ombs, passabel durchs Leben. Seit neuestem geht er mit einem deutlich jüngeren, asiatischen Schulmädchen (Ellen Wong) aus, doch richtiges Feuer besteht nicht zwischen ihnen. Während einer Verabredung stechen ihm die mysteriöse Ramona Flowers (Mary Elizabeth Winstead) und ihre pinken Haare ins Auge. Scott ist von ihrem Anblick absolut verzaubert und kann an niemanden anderen denken, weshalb er alles daran setzt, sie kennen zu lernen. Als es ihm entgegen sämtlicher Erwartungen gelingt, ereilt ihn eine unerklärliche Mail voller Drohungen. Um Ramonas Freund sein zu dürfen, müsse er die Liga ihrer teuflischen Ex-Lover besiegen: Sieben Ex mit übernatürlichen Fähigkeiten, die sich Scott in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüberstellen. Und so beginnt der wohl ungewöhnlichste Kampf um die große Liebe, den die Welt des Zelluloids je gesehen hat…
In diesem Film gibt es Türen. Türen, die mitten auf weiter Flur stehen und in ein schwarzes Nirgendwo führen. Oder ins Unterbewusstsein. Oder so was. In diesem Film erscheinen obskure Gestalten. Obskure Gestalten, die urplötzlich im Bild auftauchen und dämonisch grinsend ein Lied singen. In diesem Film werden zahlreiche Referenzen gemacht. Zahlreiche Referenzen, die ein weit gefächertes Hintergrundwissen erfordern, um sie zu verstehen und richtig schätzen zu wissen. In diesem Film herrscht ein äußerst charakteristischer Inszenierungsstil, der ein breites Kinopublikum abschrecken könnte. In diesem Film wird, vor allem im ersten Akt dem Publikum durch eine kunstvolle und markante Schnittarbeit jegliches Gefühl für Zeit und Raum unter den Füßen weggezogen.
Obwohl «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» ein großartig inszenierter Film ist und kommerziellen Massenerfolg verdient hätte, fällt er letztlich doch eher in die Geheimtipp-Kategorie. Denn während andere Filme ein klares Kernpublikum haben, aber auch Leute außerhalb dieser Demographien ansprechen, besteht das Publikum von «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» nahezu einzig und allein aus seinem Kernpublikum.
Dieser Beschreibung nach hätte man jedes Recht der Welt, den neuen Film von Regisseur Edgar Wright («Shaun of the Dead», «Hot Fuzz») für einen seltsamen, anspruchsvollen Kunstfilm zu halten. Ein Stück Experimentalkino, das seine Zielgruppe begeistern und sonstigen Zuschauern vielleicht Respekt abringen, sie jedoch nicht überzeugen kann. Und wäre das gesellschaftliche Kulturverständnis nicht so streng an den Schulunterricht, Theater und verstaubte Museen geknüpft, sondern etwas alltags- und jugendorientierter, so ginge «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» problemlos als einzigartiger Kunstfilm durch. Allerdings kämpfen Comics und Videospiele noch immer gegen selbst ernannte Kulturwächtern und sich zu wichtig nehmenden Politikern um respektvolle Anerkennung. Als geistiges Kind eben jener Subkulturen, für die der engstirnige Intellektuelle bestenfalls verächtliches Schnauben übrig hat, muss sich «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» dann schließlich als rasanter Unterhaltungsfilm mit Konzentrationsschwäche und knalliger Wirkung verdingen.
Experimentalkino mit „niederen“ Wurzeln
«Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» ist eine stilistische Symbiose aus Indierock-Musical, Videospielen (insbesondere der 8-Bit-Ära und Aracdetiteln), Superheldencomics und Manga. Inhaltlich mixt diese Comicverfilmung jede Menge Action mit Jugend-Liebesfilm und einer unter allen bunten Effekten versteckten, tüchtigen Dosis Comig-of-Age-Drama. Wodurch sich sämtliches Schubladendenken zwischen „Kunst“ und „niederer Unterhaltung“ ins Absurde verkehrt. Wer ohne handfeste Bibelkenntnisse und Interesse an bosnischen Schafshirten in ein französisches Drama über bosnische Schafshirten geht, welches sich in christlicher Metaphorik suhlt, wird zunächst wie eine Kuh vor dem Protonenbeschleuniger stehen. Wenn man dann als Kinobesucher keinen Zugang findet, stempelt einen die kulturelle Elite als dumm ab. Gälte im Bezug auf Kunst mehr Konsequenz, so müsste man auch diejenigen der Dummheit bezichtigen, die «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» nicht begreifen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Elite auf die Zuschauer dieser spritzigen Komödie herabblickt und darüber den Kopf schüttelt, wie sie sich in ihrer niederen Unterhaltungskultur sonnt. Vielleicht spräche dann der Neid aus ihr. Was natürlich niemals jemand aus der Elite zugäbe.
Wer sich «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» ansieht, obwohl er bei frech-jugendlichem Rock Ohrenkrebs bekommt, ältere Videospiele oder Aracdetitel auf den Tod nicht ausstehen kann und für den eine hippe Comicästhetik einem Ausflug ins Schreckenskabinett gleicht, der wird ihn höchst wahrscheinlich hassen. Und auch die Teile des Publikums, die eine konventionell inszenierte Actionkomödie erwarten, ohne für Überraschungen und Innovationen offen zu sein, werden fassungslos den Kopf schütteln. Sollte man aber wenigstens eine der in «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» anzutreffenden Subkulturen zumindest respektieren und bereit für einen abgedrehten Filmtrip sein, dann dürfte man «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» für eines der denkwürdigsten Kinoereignisse der letzten Jahre halten. Das größte Problem, das Wrights Comicadaption mit dem Massenpublikum hat, sind nämlich nicht die Referenzen auf die Nerdkultur. Man muss die Titelmelodie aus «The Legend of Zelda» nicht erkennen, sobald sie gespielt wird. Man muss nicht «Seinfeld» gesehen haben, um die Anspielung darauf witzig zu finden. Gewiss, je firmer man mit dem Material ist, das «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» prägte, desto größer das Vergnügen. So lange man an intensivem Videospiel- und Comicmimikry seine Freude hat, ist es egal, wenn man die Anspielungen nicht dem jeweiligen Ursprungswerk zuordnen kann. Denn mit welcher Perfektion Edgar Wright die visuellen Eigenheiten dieser Medien mit denen des Films verschmelzen lässt, sucht seinesgleichen. Wer es zu schätzen weiß, wird es aufgrund der Detailliebe und technischen Versiertheit vergöttern. Aber wer seine Filme in der Realität verwurzelt wissen möchte, der wird leider einen Kulturschock erleben und die zahlreichen Qualitäten von «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» nicht erkennen können.
Eine vorbildliche Videospielverfilmung. Auf Basis einer Comicreihe.
Edgar Wright wagt es mit «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» vollkommen anders zu sein. Visuell wie tonal. Die sehenswert umgesetzten, an unterschiedliche Videospielgenres angelehnten Kämpfe sind einfallsreich und bieten untereinander jede Menge Variation, so dass selbst bei Scotts Begegnung mit dem letzten Ex keine Ermüdungserscheinungen auftreten. Und auch außerhalb der Kämpfe sprühen vor lauter optischer, akustischer sowie inhaltlicher Einfälle förmlich die Funken. Dadurch, dass «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» je nach Szene wie ein Comic oder wie ein Videospiel funktioniert, wird Scotts eigentlich sterbenslangweiliger Liebesalltag zum aufregenden und epochalen Großereignis voller witziger Randbemerkungen. Hinzu kommt noch das perfekt zusammengestellte Ensemble, das ein großartiges komödiantisches Timing aufweist. Die knochentrockenen Bemerkungen der Figuren, insbesondere von Kieran Culkin als sarkastischer schwuler bester Freund Scotts, stellen ein erfreuliches Gegengewicht zu den durchgeknallten Absurditäten der Geschichte und Wrights frenetische Inszenierung. Es gibt kaum eine Szene, die einem nicht wenigstens ein breites Grinsen entlockt.
Zwischendurch schimmert unter der knallbunten Verpackung sogar ein nachdenklicher Kern hindurch. «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» gibt seinem Publikum nicht bloß eine überzeichnete und höchst amüsante Darstellung der Nerdkultur auf den Weg, sondern auch Gedankenanstöße zur ehrlichen Selbstkritik. War man seinen Beziehungspartnern gegenüber stets aufrichtig und ehrlich zu sich selbst? Was gehört zum Erwachsensein dazu? Scott Pilgrim ist von seinen Eltern unabhängig, aber ist er deswegen kein Kind mehr? Wer bei all der beeindruckenden Augenwischerei von «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» mitkommt und danach noch klar denken kann, entdeckt hinter dieser Fassade ein nachdenklichen Coming-of-Age-Drama. Beim frenetischen Tempo geht dies allerdings unter und ist leicht zu übersehen.
Übel kann man das dem Film nicht nehmen, schließlich funktioniert er als kurzweiliger, feuchter Traum der Generation Super Nintendo makellos. Viel mehr stört, dass er letzten Endes tatsächlich noch zu kurz wirkt. Etwas mehr Raum zwischen den einzelnen Kämpfen hätte ihm sicherlich gut getan, allein schon, weil die Interaktionen zwischen Scott, seinen Freunden und seiner Herzendsame ungeheuer komisch sind. Es hätte auch die Fallhöhe angehoben, denn so mitreißend die Kampfszenen auch sind, ihr Ausgang ist nicht von höchstem Interesse. Sicherlich, wer beim auffälligen Stil von «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» schon in der jetzigen Form Kopfschmerzen bekommt, der bräuchte wohl keineswegs eine längere Fassung. Aber da sich der Film, zum Glück, eh nur um seine Zielgruppe kümmert, könnte er ihnen ruhig einige weitere Minuten gönnen, bevor sie in die trockene Realität zurückkehren müssen.
Fazit: «Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt» ist actionreich, urkomisch und ein einprägsames Kinoereignis. Oder verwirrend, sinnlos und vollkommen abstrus. Ganz abhängig davon, wie man so tickt. Wer tief in sich blickt und zugeben muss, bieder zu sein, sollte den Film vielleicht erstmal meiden, wie der Teufel das Weihwasser. In diesem Fall sei dringend ein Crashkurs in Sachen Videospiele und Comics empfohlen. Vielleicht können auch ein paar Indierock-CDs nicht schaden. Denn dieser große, innovative Spaß ist für die Nerds und Geeks da draußen, jene Nintendo- oder Sega-Besitzer, die sich nicht für die Comics in ihrem Bücherregal schämen und die irgendwann davon träumten, einmal Rockstar zu werden. Oder Retter der Welt. Oder beides auf einmal.