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«Kirschs Blüten»: Kriminelle Sex-Quote?

Passable Quoten, aber starke Kritik. Haben «Tatort Internet» und «X-Diaries» Grenzen überschritten?

Wäre es nicht so traurig, man könnte sich köstlich darüber amüsieren. RTL II wagte den Vorstoß mit der Sendung «Tatort Internet» und kümmert sich um lauernde Gefahren in den Weiten des Internets. Dabei steht das ernste Thema Kindesmissbrauch im Mittelpunkt. Es ist ein Wagnis, denn die Sendung ist nicht unumstritten. Stephanie zu Guttenberg, die Ehefrau des Verteidigungsministers zu Guttenberg, tritt als Co-Moderatorin auf, nachdem sie im Boulevard sich schon über Sexismus ausgelassen hat. Die Idee ist sicherlich gut zu heißen. Doch über das Umfeld, in dem die gute Absicht verpackt wird, kann man nur den Kopf schütteln. Es ist einfach paradox, wenn sich die Minister-Gattin gerade in der Bild-Zeitung, die entblößte Frauen-Körper jeden Tag auf der Titelseite hat, über frei zugängliche Pornografie beschwert. Wie soll man diesen Sachverhalt da ernst nehmen? Es geht nicht und so kommt die Botschaft von Frau zu Guttenberg erst gar nicht an, sondern verpufft in der Lächerlichkeit. Das Wörtchen „verpufft“ ist dabei noch ein harmloser Gag über das Umfeld, in dem die Kritik geäußert wird. Das kann ja mal passieren, mag man jetzt denken.

Doch dahinter steht offensichtlich kein unglücklicher Zufall, dass der Reporter, dem man die kritischen Worte geflüstert hat, gerade für ein Boulevard-Blatt arbeitet, das ebenfalls nackte Brüste auf dem Titel hat. Das kann gar nicht der Fall sein, denn sonst wäre Einsicht eingekehrt und Stephanie zu Guttenberg hätte sich für ihr Format, das sich mit Kindesmissbrauch auseinandersetzt, nicht RTL II ausgesucht. Denn hier ist das Umfeld für die Signale, die Stephanie zu Guttenberg senden möchte, noch paradoxer. Wie passt es bitteschön ins Bild, wenn in der Primetime vor den Gefahren des Internet und Sexualstraftätern gewarnt wird, während im Vorabend-Programm mit «X-Diaries» eine Scripted Reality, die das Thema Sex geradezu ausschlachtet? Dass das für Jugendliche – übrigens die Hauptadressaten von «Tatort Internet» - nicht immer geeignet ist, finden nämlich jetzt auch die Jugendschützer, die «X-Diaries – Love, Sun & Fun», so der genaue Titel, genauer unter die Lupe nehmen. Dabei zeigt doch schon der Titel in welche Richtung es geht: Viel nackte Haut und Sex-Talk, was als purer Spaß und Unterhaltung verkauft wird. Dann soll man eine Stunden später eine Aufklärung über Sexualstraftäter im Internet ernst nehmen? Sorry, aber das passt nicht.

So schlecht ist es um die Jugend von heute dann doch nicht bestellt, dass sie diesen Zusammenhang nicht herstellen kann. RTL II lockt sie den ganzen Tag über mit dem Thema Sex und zeigt seinen Zuschauer selbst genügend Brüste und nackte Haut, so dass die Jugendlichen eine ernstgemeinte Sendung über das Thema wahrlich nicht mehr ernst nehmen können. Auch scheint die Sendung über ihr Ziel hinaus zu schießen: Entlarvte pädophile Männer, die sich mit jungen Mädchen über das Internet verabreden, werden öffentlich an den Pranger gestellt. Ein 61-Jähriger ist nach der Ausstrahlung seiner Überführung verschwunden – und suizidgefährdet. Auch wenn seine Identität in der Sendung selbst nicht preisgegeben wurde, im heutigen Medienzeitalter ist das kein Ding der Unmöglichkeit mehr, die Person ausfindig zu machen. Sein Arbeitgeber reagierte. Hat man hier eine Grenze überschritten? Schließlich ist es doch eigentlich die Aufgabe der Polizei und Staatsanwaltschaft auch Internet-Täter zu überführen. Und nur die Exekutive im Staat hat die Möglichkeit hier vorzugehen. Warum also mimt die RTL II-Sendung «Tatort Internet» selbst den Kommissar? Wegen der Quote, na klar. Denn die stimmt bislang, auch wenn – oder gerade weil – die Sendung großspurig in der Kritik steht. Darf eine Fernsehsendung selbst auf die Jagd nach Tätern gehen? Was also kommt demnächst? Die Suche nach Kriminalstraftätern in einer großen Fernsehshow am Abend? Es ist absurd. Womöglich wird der verschwundene Mann bereits von einem Kamerateam begleitet – zu sehen bald in «Verdachtsfälle». Zumindest können es die Laiendarsteller nachspielen. Stopp. Auch das Fernsehen hat irgendwo seine Grenze erreicht. Was wohl das Medienrecht dazu sagt? In der Sendung selbst geht es um Missbrauch. Doch missbrauchen nicht auch die Fernsehmacher hier ihre Möglichkeiten und Kompetenzen? Wäre es nicht so traurig, man könnte wirklich drüber lachen.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de.
19.10.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/45269
Jürgen Kirsch

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Kirschs Blüten

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