Auch die vorerst letzten beiden Neustarts in den USA wurden von unseren Redakteuren bewertet. Wie schnitten die Pilotfolgen ab?
«No Ordinary Family»
Inhalt: Die Powells sind eine typische vierköpfige Durchschnittsfamilie, in der der Haussegen hin und wieder etwas schief hängt: Vater Jim (Michael Chiklis) fühlt sich in seinem Job als Phantombild-Zeichner unterfordert, Mutter Stephanie (Julie Benz) verbringt hingegen so viel Zeit mit ihrem Job als Wissenschaftlerin, dass sie gar nicht mehr mitbekommt, was in der Familie vor sich geht und dass sich ihre Kinder Daphne (Kay Panabaker) und JJ (Jimmy Bennett) mit typischen Teenager-Problemen herumplagen. Ein von Jim einberufener Familienurlaub in Brasilien soll das Familiengefüge kitten, endet jedoch jäh mit einem Flugzeugabsturz im Amazonasgebiet. Zwar kommt die Familie unbeschadet davon, stellen jedoch kurz darauf fest, dass etwas im Wasser sie verändert hat, denn nach und nach entwickeln die Familienmitglieder Superkräfte.
Kritik: Wie die meisten Superhelden-Serien und -Filme beginnt auch «No Ordinary Family» mit der Origin Story, der Erzählung, wie die Charaktere zu ihren Fähigkeiten gelangten. Hier reißt sich der Pilot wahrlich kein Bein aus und verpasst die Gelegenheit eines starken Einstiegs. Binnen weniger Minuten wird alles abgehandelt, weder den Urlaub, der die Gelegenheit böte, die Figuren im familiären Umgang kennenzulernen, noch die Zeit zwischen Absturz und Rettung werden überhaupt gezeigt. Weder Dramatik noch Charakterarbeit werden erbracht. Kommentare von Jim aus dem Off, die auch im weiteren Verlauf der Folge eher stören, müssen erzählen, was die Bilder nicht zeigen können, die eher wie der Zusammenschnitt einer Folge vor der ersten Folge wirken. Kaum einer Pilotfolge der letzten Zeit war so deutlich anzumerken, dass sie als echter Pilotfilm mit doppelter Laufzeit besser funktioniert hätte.
Denn die 42 Minuten braucht «No Ordinary Family» fast vollständig, um die Entwicklung der Fähigkeiten und die Reaktionen der Protagonisten darauf vorzustellen, wobei die beiden Kinder der Powells ziemlich kurz kommen. Was an Exposition der Superkräfte geleistet wird, überzeugt dafür allerdings klar und wird auch vom durchgehend guten Cast ausgezeichnet getragen. Unbezahlbar ist der Gesichtsausdruck, den Michael Chiklis seinem Charakter aufs Gesicht zaubert, als der sich seiner Kraft bewusst wird. Auch in Sachen Spezialeffekte ist die Serie überraschend gut ausgestattet. Qualitativ hochwertig, angenehm bunt und doch nicht aus reinem Selbstzweck eingesetzt. Der einzige wirklich überflüssige Effektgimmick aus der Ur-Fassung des Piloten, ein blauer Glimmer auf dem Gesicht derer, deren Gedanken gelesen werden, wurde vor der Ausstrahlung wieder entfernt. Schließlich hat der Pilot auch noch einen Schurkenplot zu bieten, der allerdings extrem kurz kommt. Alles in allem leidet die Pilotfolge vor allem zu Beginn unter ihrer Kürze, zeigt aber das Potential an, was dank Cast, Charakteren und Effekten in der Serie stecken sollte.
Von Stefan Tewes
«Law & Order: Los Angeles»
Inhalt: Eine kleine Gruppe von Einbrechern macht die Nobelviertel von Los Angeles unsicher. Die Gang hat sich darauf spezialisiert, reiche Opfer ausfindig zu machen und dann zuzuschlagen, wenn diese sich gerade in den berühmten Nachtclubs vergnügen. Der Clou: Die Häuser der Superreichen stehen meist offen, die entwendeten Wertgegenstände fallen im Überfluss, in welchem die Millionäre leben, meist gar nicht auf. So werden die Verbrechen erst aufgedeckt, als eines Tages das Haus nicht ganz leer steht und eine Frau zusammengeschlagen wird. Ein weiteres Verbrechen folgt – doch dabei wird der Anführer der Einbrechergruppe von der Hausbesitzerin erschossen. Notwehr aus Angst oder vorsätzlicher Mord? Die LAPD Detectives Rex Winters (Skeet Ulrich) und Tomas "TJ" Jaruszalski (Corey Stoll) finden schnell heraus, dass die Hausbesitzerin ein Verhältnis mit ihrem Opfer hatte – und ihre Tochter womöglich sogar der Einbrechergruppe angehörte…
Kritik:
Mom shoots a burglar. Daughter holds a press conference. I love L.A.
Gewöhnlich sind diese Kriminalfälle nicht, die in «Law & Order: Los Angeles», dem neuesten Ableger der «Law & Order»-Reihe, gelöst und verhandelt werden. Schließlich ist Los Angeles auch alles andere als eine gewöhnliche Stadt. Und so präsentiert sich der erste Fall in der Serie als harte Nuss im wahrsten Sinne des Wortes: Hat man einmal die Oberfläche geknackt, offenbart sich die schmackhafte Frucht – oder in diesem Fall der wahre Kern des Mordes in all seinen verwobenen Facetten.
Geprägt wird diese erste Episode von den zahlreichen intelligenten Subplots, die erst im Ganzen die Logik des Verbrechens erklären und die allesamt die Gemeinsamkeit besitzen, den wahren Charakter der Glamour-Stadt Los Angeles zu offenbaren: Da gibt es den aufstrebenden Hollywood-Star, welcher der Täterin Unsummen an Geld zahlt, um mit ihrer Tochter ausgehen zu können. Da gibt es die vermeintlich sorgenvolle Mutter, die den Ruhm ihrer schauspielenden Tochter ausnutzt, um dreckige Geschäfte zu machen. Und den Jungschauspieler, der sogar die Schmutzarbeit für Kriminelle ausführt, nur um an Verträge und Castings in seinem Traumjob zu kommen. Die Täter in «Law & Order: LA» sind glaubwürdig, ihre Motive exzellent ausgearbeitet.
All die Charaktere, die wissentlich oder unwissentlich das Syndikat des Verbrechens in der ersten Episode der Serie befeuerten, werden getrieben von der oberflächlichen Scheinwelt L.A., von der unstillbaren Gier nach Ruhm und der materialistischen Grundhaltung des Oberflächlichen. Schauspielerisch glänzen die Figuren besonders in den letzten Gerichtssaal-Szenen, in denen das Katz-und-Maus-Spiel der Justiz mit den Verbrechern nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch hervorragend in Szene gesetzt wird. Hervorzuheben ist das neue Ermittlerteam Rex Winters und Tomas Jaruszalski, das gut harmoniert und mit einigen witzigen One-Linern in der ersten Episode aufwarten kann. Zu kritisieren ist jedoch – wie bei den meisten Krimi-Procedurals – die nicht vorhandene Hintergrundgeschichte und Ausarbeitung dieser Rollen. Ein paar Jokes und gute Interaktionen reichen nicht aus, um die Zuschauer langfristig an die Serie zu binden. In dieser ersten Episode bieten sie aber einen sympathischen Zugang zu den neuen Charakteren. Der restliche Cast der LA-Polizeiabteilung bleibt jedoch bisher blass.
«Law & Order: Los Angeles» verbindet intelligente Kriminalgeschichten mit soziokulturellem Anspruch. Die Anziehungskraft des Mikrokosmos Los Angeles bietet den Nährboden für die spannenden Storys und Hintergründe der Verbrechen und ihrer Täter, insofern handelt es sich hier nicht einfach um einen weiteren verwechselbaren Ableger der «Law & Order»-Reihe, sondern eine neue, ausgereifte und ausgearbeitete Serie mit dem nötigen Lokalkolorit. Man tut der Show also unrecht damit, wenn man sagt, dass es sich hier nur um „alten Wein in neuen Schläuchen“ handle. Natürlich bedient sich das Format der bekannten Formel, die «Law & Order» ausmacht. Aber wieso sollte sie sonst diesen Titel tragen? Fans des altehrwürdigen Franchise kommen voll auf ihre Kosten, gewöhnliche Freunde klassischer Krimi-Unterhaltung ebenso.
Von Jan Schlüter