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«Schlüter sieht's»: Was wir aus «X Factor» lernen

Für VOX ist «X Factor» ein Meilenstein der eigenen Sendergeschichte. Wie kommt der Erfolg zustande?

Lange hielt die RTL-Gruppe die Rechte an dem britischen Casting-Format «X Factor», ohne es auf den Bildschirmen zu realisieren – zu großen Teilen auch deswegen, damit kein anderer Sender mit ihm einen Zuschauerhit landen kann. Vertrauen in die Show war bei RTL irgendwie also da, denn sonst hätte man in dem Glauben, dass sie keine Quote machen kann, auf die Rechte verzichtet und andere einkaufen lassen. Doch irgendwie setzte man auf der anderen Seite auch kein Vertrauen in «X Factor», denn sonst hätte sie nicht seit 2006 nur als Konzeptpapier in der Schublade gelegen. Wo wäre auch der richtige Sendeplatz gewesen? RTL selbst hat mit «Deutschland sucht den Superstar» und «Das Supertalent» mehrere Monate im Jahr eigene Castingshows im Programm, die erfolgreicher gar nicht sein könnten. Ein weiteres Mega-Projekt wie «X Factor» hätte diesem Gleichgewicht den Overkill verpassen und alle Shows in der Gunst der Zuschauer sinken lassen können.

So also wanderte «X Factor» nach VOX, nachdem gerüchteweise die Rechteinhaber des Originals vehement darauf gedrängt hatten, die Show endlich in Deutschland zu realisieren. Die unvorhergesehene Chance für VOX barg aber auch ein großes Risiko: Der Sender, der selbst mit Filmen und Serien seine größten Quotenerfolge feiert, hatte mit Shows im eigentlichen Sinne nie Glück. Prominente Beispiele wie «puls_limit» oder die Gameshow «Power of 10» sind längst aus den Köpfen verdrängt worden. Doch der Grundstein für den Erfolg wurde damit gelegt, dass «X Factor» in die Hände jener Produktionsfirma gelegt wurde, die auch für die Erfolge der RTL-Vorbilder «DSDS» und «Das Supertalent» verantwortlich zeichnet. Diese Firma, Grundy LE, versteht es wie keine andere auf dem deutschen Fernsehmarkt, Casting-Formate publikumswirksam und perfekt zu inszenieren. Und so schaffte es «X Factor» beim Sender VOX auf bis zu 17 Prozent Marktanteil beim jungen Publikum, womit fast zehn Punkte mehr als der übliche Senderschnitt erreicht wurden. Selbst gegen ein Fußball-Länderspiel kam die fünfte Folge der Show mit 11,5 Prozent auf Marktanteile deutlich oberhalb des Schnitts.

Der Grundstein des Erfolgs wurde aber nicht bei VOX selbst gelegt: Mit der Ausstrahlung der ersten beiden «X Factor»-Ausgaben bei Muttersender RTL hat man Mitte August einen programmlichen Schachzug hingelegt, der – wie sich im Nachhinein herausstellt – an Genialität nicht zu überbieten war. Vermutlich wäre «X Factor» von allein bei VOX nicht so erfolgreich angelaufen, wenn RTL nicht die Promotion des Starts der Show übernommen hätte. Dieses Vorgehen ist so genial wie simpel: RTL hatte im Fernsehjahr 2009/10 einen Marktanteil von 18,1 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen und war damit unangefochtener Marktführer im deutschen Fernsehen, meilenweit vor den anderen Sendern. Auf Platz zwei folgte mit sechs Punkten Abstand ProSieben.

Kein anderer Sender hat aufgrund seines Marktanteils eine solche Werbekraft wie RTL. Die Sendergruppe beginnt nun, natürliche Synergien zwischen ihren Fernsehstationen gewinnbringend auszunutzen. Der Start von «X Factor» bei RTL mit dessen aus Quotensicht geglückter Etablierung bei VOX wird daher nur das erste Pilotprojekt, eine Art programmlicher Präzedenzfall. Schon jetzt ist für Super RTL ein weiterer Format-Start beim Muttersender vorgesehen: Vermutlich wird die die erste Episode der Musical-Serie «Glee» im Januar 2011 bei RTL ausgestrahlt, bevor sie zum regulären Sendeplatz nach Super RTL wechselt. Weitere Fälle werden folgen, in denen RTL den kleineren TV-Stationen unter die Arme greift. Freilich funktioniert das weniger bei der konkurrierenden Sendergruppe: ProSieben und Sat.1 haben ähnlich hohe Marktanteile und eine ähnliche Marktposition, für kabel eins würde sich eine Promotion wahrscheinlich nicht auszahlen, zumal der Sender aktuell in Eigenregie täglich neue Quotenerfolge feiern kann.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
09.09.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/44424
Jan Schlüter

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Schlüter sieht's

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