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Popcorn und Rollenwechsel: Das Multiplex

Unser Filmkolumnist Sidney Schering muss gelegentlich ein Multiplex besuchen. Heute berichtet er, ob diese Mainstream-Kommerzhallen für angenehme Kinobesuche stehen.

Das Multiplex.
Es steht unübersehbar mitten in der Stadt. Es ist überdimensional, meist oval geformt und hat eine Glasfassade. Wenn nachts die bunten Neonröhren eingeschaltet sind, wartet man bloß noch darauf, dass dieses Raumschiff abhebt und zu seinem Mutterplaneten Kommerzja zurückkehrt.

Das Multiplex.
Vor dem Eingang türmen sich wahllos Gruppen von Jugendlichen, die ziellos auf die ausgehängten Filmplakate zeigen. Junge Pärchen fetzen sich, auf welches Plakat nun gemeinschaftlich gedeutet werden soll, als Zeichen dafür, das der betroffene Film angeschaut wird. Blaues Poster voll mit fitten Männern, auf dem eine orangene Explosion ins Auge sticht. Nein, weiß-pinkes Poster mit einer Zähnelächeln zeigenden Dame und nichtssagend-glücklichem Gesichtsausdruck. So beginnen Beziehungszwiste mit Kleinkriegcharakter.

Das Multiplex.
Die Schlange zur Kasse reicht wieder einmal fast bis zum Eingang. Praktisch, denn das Pärchen vor einem weiß noch immer nicht, was es denn nun sehen möchte. Die Auswahl ist ja gigantisch, elf Säle hat das Multiplex zu bieten und überall läuft was. Da soll doch einer wissen, was er zu gucken hat… Fünfzehn Minuten später sind die zwei so ahnungslos wie zuvor. Zum Glück hat eine andere Kasse auf, zu der wir müde gewunken werden. Hektisch wird die Transaktion getätigt. Die ersten zwei roten Euroscheine wechseln den Besitzer.

Das Multiplex.
Sofort schließt sich die nächste Warteschlange an. Puuuh, was gönnen wir uns denn heute? Ja, auf Popcorn hätte man ja schon Lust… Nur welche Größe? „Nach einem Trailer schon aufgegessen“ , „Vor dem eigentlichen Film aufgegessen“, „In den ersten fünfzehn Filmminuten herunter geschlungen“ oder „So groß, dass am Ende die Hälfte übrig bleibt“? Vielleicht doch lieber Nachos. „Neeein, die stinken so!“, beschwert sich meine Begleitung. Oh, im Partnermenü gibt es 50 Cent Nachlass auf den zweiten Softdrink, wenn man eine große Schale Nachos bestellt. „Ja, dann müssen wir zuschlagen, egal wie sehr's stinkt!“

Das Multiplex.
Drei weitere rote Euroscheine wechselten den Besitzer. Aus den Nachos wurde doch nichts. Ich wollte Käsesauce, meine bessere Hälfte Salsa. Einigung unmöglich. Jetzt halte ich einen Popcornbecher der Größe „So groß, dass am Ende die Hälfte übrig bleibt“ zwischen meinem Brustkorb und meinem linken Arm, mit der rechten Hand balanciere ich vorsichtig einen Eimer Cola. „Klein“ war leider aus. Meine bessere Hälfte nascht schon ihr Fruchtgummi weg. „Willst du wirklich nichts trinken”, frage ich. Sie schüttelt mit dem Kopf. Kaum sind wir über sieben lümmelnde Teenager und einen Kerl mit dicken Schenkeln gestiegen, um unsere Plätze einzunehmen, kleben ihre Lippen an meinem Strohhalm. Und nein, das ist keine Erregung öffentlicher Erregung. „Ach, ich hab‘ doch Durst… Und ich stell' mich doch nie im Leben wieder an! Hast du gesehen, wie lang die Schlange ist?!“

Das Multiplex.
Sieben Autos wollte man mir verkaufen, drei Bankkonten wurden mir angeboten und wer hätte gedacht, dass drei Italiener und ein Grieche „in direkter Nähe“ dieses Raumschiffes stehen? Der Saal wird leicht abgedunkelt, zwei Zuspätkommer in Sakko und ekeliger Krawatte stolpern durch die Reihen. Sie bleiben vor uns stehen. Zwei Reihen hinter uns rüpelt ein verschnupfter Filmfanatiker: „Hinsetzen, Spakkos! DEN Trailer wollte ich sehen!“ Die verschwitzten Sakkoträger wedeln mit Papierstreifen herum. Wir säßen auf deren Plätzen. Reihe 24, Sitze 7A und 7B. Großes Rumgezeter. Wir zeigen unsere Karten. Wir sitzen richtig. „Kann nicht sein! Sie verkommenes Subjekt haben sicher ihre Karten gefälscht! Ich hol' die Security!“

Das Multiplex.
Die beiden Sakkoträger haben endlich auf ihre eigenen Karten geguckt. Sie wollten in Saal 5. Wir sind in Saal 6. Der fanatische Filmfanatiker zwei Reihen hinter uns wird ganz fanatisch. Hat der ‘nen Orgasmus? Nein… es läuft nur der Trailer, den der eben schon ungestört sehen wollte. Er läuft zum vierten Mal. Aber der Ton ist jetzt lauter gestellt. Schön für ihn. Danach tut sich endlich was… Das Licht geht an. Möchte jemand ein Eis? Nein, niemand möchte ein Eis. Das Licht geht wieder aus. Ein ach-so-lustiger Trailer erinnert uns daran, das Handy auszuschalten. Es folgen vier Trailer. Endlich beginnt der Film.

Das Multiplex.
Ausnahmsweise hat wirklich niemand während des Films telefoniert! Und ich habe kein einziges Stück Popcorn in den Haaren. Meine bessere Hälfte hatte weniger Glück. Ich bin schadenfroh. Schließlich trank sie mir die ganze Cola weg. Mit Kopfschmerzen verlassen wir den Saal. Die Soundanlage machte jeder Disco Konkurrenz. Mittlerweile sind vier Stunden vergangen, seit wir ankamen. Der Film dauerte übrigens neunzig Minuten. Während wir im Parkhaus unser Auto suchen und bloß schlappe vier Mal beinahe überfahren werden, schwören wir, nie wieder ins Multiplex zu gehen.

Das Multiplex.
Drei Wochen später stehen wir wieder in der Warteschlange. Oh… die haben ein neues Stammkunden-Rabattsystem. Mhhhh, für fünf Besuche im Quartal bekommen wir ein kleines Popcorn zum halben Preis… Klingt spannend. Wo muss ich meine Kreditkartennummer eintragen?
23.08.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/44036
Sidney Schering

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Popcorn

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