«Ein Haus voller Töchter» oder: Schlimmer geht’s nimmer
Großspurig kündigte Das Vierte vor einem Jahr eine Programmoffensive an, deren Flaggschiff die eigenproduzierte Sitcom «Ein Haus voller Töchter» werden sollte. Nun wird die Serie ausgestrahlt – unser Fazit: Schlechter kann Fernsehen kaum werden.
Als der Filmsender Das Vierte im August 2009 einen massiven Relaunch ankündigte, der den Sender zu einem Vollprogramm machen sollte, blieben nicht wenige Branchenbeobachter skeptisch ob der großspurigen und ehrgeizigen Ziele. Das neue Programm sollte schon im September 2009 starten, verschob sich dann aber wieder und wieder. Heute wissen wir, dass der Versuch einer Programmreform der Anfang vom Ende für die kleine TV-Station war, die mittlerweile einer deutsch-britischen Mediengruppe gehört. Denn seit einigen Monaten bekommt der Zuschauer zur meisten Zeit des Tages auf Das Vierte nur Teleshopping, Astro TV oder nächtliche Erotik-Clips zu sehen. Herzstück des 2009 angekündigten Relaunchs, den nicht der aktuelle Besitzer, sondern Vorgänger Dmitri Lesnewski versprochen hatte, war die eigenproduzierte Sitcom «Ein Haus voller Töchter», welche die Adaption einer russischen Serie darstellen soll. Nun, ein Jahr nach Ankündigung und Dreh, wird das Format doch noch ausgestrahlt. Noch vor der Fernsehpremiere hat Das Vierte dessen erste Folgen im Netz auf YouTube zugänglich gemacht. Dieser Schritt mutet an wie eine Vorwahnung oder gar Drohung: «Ein Haus voller Töchter» ist schlecht, schlecher, am schlechtesten – und eigentlich nicht sendefähig.
Inhaltlich dreht sich das Format um den chaotischen Haushalt der Familie Vogel. Nach dem Auszug seiner Frau muss Familientherapeut Carsten Vogel allein mit seinen fünf Töchtern fertig werden. Er gibt sie daher kurzerhand in die Obhut seiner Schwiegermutter, in deren Anwesenheit die Enkelinnen das Haus auf den Kopf stellen. Von Charaktertiefe oder Subtilität bei der Figurenentwicklung haben die Autoren der Serie anscheinend nur wenig gehört. Die fünf Töchter bedienen nämlich die dümmsten, tausendfach benutzten Stereotypen und Klischees: Neben dem Skater-Girl und dem Gothic-Mädchen komplettieren die berüchtigte Streberin, das kleine Nesthäkchen und eine Topmodel-Anwärterin das Töchter-Quintett. Ihre aufgezwungenen Rollenklischees füllen die Figuren schon in ihren ersten Szenen voll aus – der Streit zwischen der lispelnden Gothic-Göre und dem affektierten Barbie-Girl ist natürlich vorprogrammiert. Selbstverständlich gibt die Streberin permanent altkluge Ratschläge, wenn sie mal von ihrem Mathematikbuch aufschaut und das Treiben beobachtet. Und während die Töchter sich also in der fast sturmfreien Bude vollends ausleben, plagen Vater Carsten finanzielle Probleme, denn die Patienten laufen ihm weg. Bis eine reiche Millionärsgattin versehentlich in der Praxis auftaucht…
In der allerersten Szene dieser Serie, deren Cast durchaus prominente Schauspieler wie Moritz Lindbergh («Bewegte Männer», «In aller Freundschaft») und Grit Boettcher («Ein verrücktes Paar», «Hotel Paradies») angehören, spitzt die Sekretärin des Familientherapeuten Vogel ihren Bleistift an, um sich damit den Rücken zu kratzen. Unterlegt wird diese dämlich-unlustige Szene durch die bekannten Sitcom-Lacher vom Tonband – die in der gesamten Sitcom allerdings völlig falsch gesetzt sind und dort abgespielt werden, wo meist gar kein Witz erkennbar ist (wie in oben beschriebener Szene). Diesen Witz muss man allerdings ohnehin in dem Format mit der Lupe suchen, sodass sich «Ein Haus voller Töchter» zu einer Fremdschäm-Orgie allererster Güte entwickelt, der man als halbwegs anspruchsvoller Fernsehzuschauer nach spätestens fünf Minuten den (hoffentlich ungekratzten) Rücken kehren müsste.
Überhaupt ist der ständige Einsatz der Tonband-Lacher ein Atmosphäre-Killer für das gesamte Format, das dadurch schon im Ansatz durchfällt. Denn sie werden so penetrant und redundant abgespielt, dass sich der Zuschauer bei bestem Willen nicht auf Handlung oder Dialog konzentrieren kann. In den ersten 30 Sekunden der Premierenfolge von «Ein Haus voller Töchter» werden sechs Lacher eingespielt – das wäre ein Witz alle fünf Sekunden oder aufgerechnet auf 22.15 Minuten Sendezeit ganze 267 Lacher. Auf einen solchen Schnitt kommen selbst Frasier und Seinfeld nicht in ihren besten Zeiten. Oder krasser ausgedrückt: Es gibt nicht einen guten Witz in der gesamten ersten Folge – aber gefühlte 1000 mal wird man dazu angehalten, loszulachen, wenn dieser Tonband-Lacher erklingt, der nach dem Ansehen der Serie wirkungsmäßig eher mit dem Stakkato-Stück „The Murder“ der berühmten Duschszene aus Hitchcocks «Psycho» assoziiert wird als mit einem wohlklingenden Ton zur Initiation des menschlichen Lachreflexes.
Die Schauspieler sind für diesen wahrgewordenen TV-Albtraum noch am wenigsten verantwortlich: Natürlich findet sich hier nicht die Riege der besten deutschen Komödiendarsteller wieder, doch ein Schauspieler ist meist auch nur gut wie seine Rolle. Die Schuld liegt also bei den Drehbuchschreibern und Gag-Autoren, die entweder aus dem übriggebliebenen Bodensatz der eingestellten Sat.1-Sketchshows aufgelesen wurden (Parallelen zu den damaligen immergleichen Sketch-Konzepten lassen sich wirklich feststellen) oder fachfern und einfach völlig inkompetent sind. Die meisten der stereotypen Witz-Einzeiler wirken wie Relikte aus den frühen 90ern, als sich die noch in den Kinderschuhen steckenden Privatsender am Genre der Sitcom versuchten und reihenweise durchfielen. Das Problem: «Ein Haus voller Töchter» entstand 2009 – daher müsste man es besser wissen oder zumindest aus Fehlern der Konkurrenz gelernt haben. Daher bleibt die durchweg unterirdische Gag-Qualität nicht erklärbar.
Nach dem Motto „Sie haben sich stets bemüht“ lautet das Urteil für «Ein Haus voller Töchter»: durchgefallen. Schlimmer noch; das Format ist die Vergewaltigung des so oft unterschätzten Sitcom-Genres und das Schlechteste, was seit langer Zeit über die heimischen Bildschirme geflimmert ist. Der Fairness halber sei allerdings angemerkt, dass dieses Produkt aus den Untiefen des Fernseh-Molochs nicht unter der aktuellen Führung des Senders Das Vierte entstanden ist, sondern unter dem Vorgänger Lesnewski. Fraglich bleibt allerdings, warum die Führung von Das Vierte diese Sendung trotz ihrer miserablen Qualität noch in ihr Programm aufnimmt. Man hätte es lieber bei einer Internet-Ausstrahlung belassen oder die Bänder von vornherein in der untersten Schublade des Sender-Giftschranks versteckt. Denn imagefördernd ist «Ein Haus voller Töchter» keinesfalls, eher das Gegenteil: Bei den der aktuellen Abstimmung der ersten Folge bei YouTube stimmten 1088 von 1202 Usern für „Finde ich schlecht“ (entsprechend zynische Userkommentare inklusive). Immerhin votierten aber auch 114, und damit knapp zehn Prozent, für „Finde ich gut“. Wer auch immer dort positiv abgestimmt haben mag: Mit einem solchen Marktanteil wäre Das Vierte sicher mehr als zufrieden. Der Sender zeigt die Sitcom ab 19. August jeweils donnerstags um 20.15 Uhr.
Hier die erste Folge der Serie bei YouTube:
18.08.2010 10:06 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/43946
Jan Schlüter