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Von der Matthäus-Reality über Spielfilme bis hin zu Aische Pervers. Der Wahnsinn zwischen 4 und 5 Uhr.
Das Sommerloch. Noch immer genauso tief, aber inzwischen weit weniger finster als man glauben mag. Während die Broadcaster der Vereinigten Staaten in den wärmeren Monaten zwar auch weiterhin den Kabelsendern größtenteils das Feld überlassen, werden doch immer wieder kleinere Versuche gestartet, den Zuschauer aus dem Pool vor den Fernseher zu ziehen. Wenngleich das Wetter hierzulande zu Wünschen übrig lässt, ist im Prinzip genug Unterhaltung für Serienjunkies vorhanden. Ich persönlich nutze dennoch wie viele andere die Gelegenheit, um verpasste oder nie gesehene Formate nachzuholen. Demnach keine Frage was auf dem Plan steht, wenn man bis 4.00 Uhr nachts durchhalten muss: Marathon.
Pünktlich um 20.00 Uhr beginnt also mein Fernsehabend. Die Stunden verstreichen und als der Moment der Wahrheit schließlich gekommen ist, habe ich zwei Episoden «Justified» (2x40min), den «Leverage»-Piloten (60min) sowie fünfzehn Folgen der vierten «How I Met Your»-Staffel (15x20min) hinter mir. Dass mein Schädel noch nicht in Flammen aufgeht, habe ich nur den eingelegten Pausen zu verdanken, die ich zusammengekauert in einer Ecke verbracht habe – zitternd vor dem, was noch kommen soll. Die Uhr schlägt vier, der Regen prasselt energisch gegen das Fenster und mein Finger wandert auf das angestaubte Tastenfeld. Das Erste: Anne Will diskutiert mit Gäste wie Andrea Ypsilanti, Nikolaus Schneider und Miriam Gruß über das Recht auf Bildung und einhergehende Probleme. Zu dieser Uhrzeit fällt es schwer sofort zum Thema zu finden. Vor allem wenn sich die Geladenen stets gegenseitig ins Wort fallen, nur um ein weiters Mal die Faust gen Himmel zu recken und erbost „Bildungsgutscheine!“ in die Runde zu kreischen.
Ich schalte um – mit dem Zweiten sieht man ja bekanntlich besser. Doch auch die Dokumentation «Pekingoper auf dem Perserteppich» wirft mich nicht von der Couch. Der elektronische Programmguide (EPG) erzählt von der Überwindung kultureller Banden zwischen atheistischen Chinesen und streng-religiösen Mullahs. Das Bild zeigt die beiden Völker bei einer Art Ausdruckstanz, der mit Schwertern in der Hand ausgeführt wird. Etwas weniger ernsthaftes erhoffe ich mir beim Sprung zu RTL. Bingo: Dort läuft gerade die Wochenendausgabe von «Exklusiv», die die wichtigsten Ereignisse der letzten Tagen resümiert: Tom Kaulitz, Zwillingsbruder von Self-Made Girl Bill gibt dem Publikum eine der zahllosen «Tokio Hotel»-Weisheiten mit auf den Weg (Als Fan der ersten Stunde erinnert man sich: Die Band teilt Menschen zum Beispiel in 'Drinnis' und 'Draußies' ein): „Ich kaufe mir ein gelbes Shirt – also brauche ich auch passende gelbe Sneeker, was sonst?“ Die Stimme aus dem Off verrät, dass sich der gute Tom pro Woche in etwa zehn neue Schuhpaare leistet. Was kann man dazu noch groß sagen? Achja: Bildungsgutscheine!
Weiter geht es mit dem Drama um Lothar Matthäus und seine geliebte Liliana. Eine Rekapitulation an dieser Stelle: Es handelt sich um seine vierte Gattin; sie ist ein 27 Jahre jüngeres Model; die Ehe wurde in Las Vegas geschlossen. Ganz ehrlich? Ich dachte, diesmal hält es für die Ewigkeit. Nun ist aber die Rede von einer schmutzigen Affäre mitsamt pikanten Bildern und Videos. Liliana meint allerdings, sie und Lothar seien längst getrennt gewesen – er habe das nur vergessen. Macht Sinn. Ist mir vor Kurzem auch passiert. Nur dass keine billige Reality-Show draus entstanden ist. Leider. Der nächste Klick und ich lande in Sat.1. Mein erster Gedanke: An welcher Stelle in Season eins hält Jack Bauers Frau Teri eine Séance? Ein zweiter Blick und Patrick Jane macht klar, dass es sich um eine Episode von «The Mentalist» handelt. Sie kommt mir bekannt vor und kann so eigentlich nur eine der ersten zehn sein. Auch diesmal überzeugt mich das Szenario nicht, nur Simon Bakers Synchronstimme bleibt hängen: Ich höre Coach Taylor aus «Friday Night Lights» und Jack Sparrow aus «Fluch der Karibik».
Mit aufgeweckten Ohren geht es nacheinander zu ProSieben, VOX, RTL II und kabel eins, die sich gegenseitig mit Spielfilmen Konkurrenz machen. Nicolas Cage, der sich in deutschen Gefilden einen Sprecher mit Vin Diesel teilt, verhört «Im Körper des Feindes» gerade einen zwielichten Typen über eine Bombe. Jaquin Phoenix bricht als Johnny Cash in «Walk the Line» auf der Bühne zusammen. Doch in der nächsten Szene höre ich nicht Phoenix, sondern Seth Rogen und Gerard Butler. «Body Count – Flucht nach Miami» macht sich anderweitig bemerkbar: Der EPG zeigt David Caruso (Ohne Sonnenbrille), Ving Rhames und Linda Fiorentino als wichtigste Hauptdarsteller an, während Forest Whittaker und Donnie Wahlberg on-screen zeitgleich mit Taschen voller Geld vor der Polizei fliehen. Verrückte Welt. Apropos: Bei dem Titel «Die Maske» erwarte ich automatisch Jim Carrey mit breitem Grinsen auf dem Bildschirm – stattdessen dreht sich der Film um Rocky, einen Jungen mit Gesichtsknochenverformung. Während er mit einem blinden Mädchen anbandelt, verzweifelt Zuhause seine Mutter, gespielt von Cher. Die zwei Minuten Drama bis zur Werbung gönne ich mir.
Nächster Halt: 9Live. Eine gut genährte Brünette will es wissen und lässt alle Hüllen fallen. Als sie mir nach wenigen Sekunden ihre Kehrseite aufdrängt, wird mir klar: Aus uns beiden wird nichts. Auf Einsfestival ist «Inas Nacht» zu sehen, was mich für gewöhnlich nicht zwangsläufig zum weiterzappen bewegen würde. Ihr Gespräch mit Christian Rach habe ich allerdings verpasst – im Moment ist sie mit Singen beschäftigt. Musikalisch geht es auch bei MTV Music zu: Die Band Paramore performt den Song 'Ignorance'. Schon ironisch, dass der Ableger von Music Television noch zusätzlich mit 'Music' versehen werden muss, um ihm vom Original abzuheben, das längst nur noch durch amerikanische Produktionen mit Untertiteln auffällt. Wobei ich «Date My Mom» um 4:40 Uhr nicht unbedingt verschmähen würde.
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