Unser Filmkolumnist blickt auf den Mitmachkult, der gewisse Filme umgibt. A Toast!
Die Fußball-Weltmeisterschaft liegt hinter uns, und so können sich die Betreiber von Open-Air-Kinos endlich an ihre alljährliche Tradition heranwagen. Neben jungen Blockbustern und ausgewählten Dramen nehmen immer mehr Open-Air-Kinos auch Klassiker in ihr Programm auf, insbesondere Kultklassiker mit treuer Fangemeinde. Anlass genug, um an dieser Stelle Kultfilme vorzustellen, die von Filmfans nicht bloß besonders verinnerlicht wurdenn, sondern eine eigene Subkultur gründeten. Filme, die den Rahmen normaler Kinovorführungen sprengen und die zu richtigen Spektakeln aufstiegen, bei denen das (gerne auch verkleidete) Publikum mit dem Film interagiert.
«Animal House» aka «Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd» (Regie: John Landis, 1978)
Die Geburtsstunde des Subgenres der wilden Collegekomödie erfreut sich dank ihres großen Charmes, zeitloser Ideen und eines sympathischen Ensembles ungebrochener Beliebtheit. Das müssen Streifen wie «American Pie» erst noch von sich beweisen. Kinovorführungen von «Animal House» mutieren gerne zu solch ausgelassenen Feiern nach Vorbild der im Film gezeigten Toga-Party, die er seinerzeit überhaupt erst popularisierte. Klar, dass diese kultige Kluft von vielen Zuschauern getragen wird, ebenso wie Collegejacken im Retrolook. Wenn Mark Metcalfs unausstehliche Figur Niedermeyer auf der Leinwand erscheint, wird er lauthals mit „Niedermeyer? … Tot! Niedermeyers Pferd? Auch tot!“ begrüßt und bei Partyszenen (und wenn Togas zu sehen sind), meldet sich das Publikum mit einem energischen „Toga! Toga! Toga!“ zu Wort. Ganz trinkfeste tun es derweil John Belushis kultigem Tunichtgut Bluto nach, und versuchen sich gleichzeitig mit ihm daran, eine Flasche hochprozentiges auf Ex zu trinken. Für improvisierte Kommentare ist natürlich ebenfalls Platz.
«Blues Brothers» (Regie: John Landis, 1980)
Großartig aufgelegte Darsteller, kultige Klamotten, mitsprechbare Dialoge, schmissige Musik und wilder Slapstick sowie verrückte Verfolgungsjagden: «Blues Brothers» hat alles, was ein Kultklassiker braucht. Die Komödie mit Dan Akroyd und John Belushi lässt sich optimal im schwarzen Anzug (inklusive schwarzer Sonnenbrille) anschauen, die Songs laden zum mitwippen und mitschnippen ein und wenn die Blues Brothers in ihrem Wagen eine Neonazitruppe von einer Brücke drängt, dann muss man einfach applaudieren, anders geht es nicht. Wenn die Gesetze der Physik ausgehebelt werden, wird dies gebührend kommentiert (oder gefeiert, je nachdem wie das Publikum drauf ist) und wenn das Filmpublikum des Blues-Brothers-Konzerts zu „Minnie the Moocher“ ganz einfache Textstellen (und einen Zungenbrecher) nachsingen soll, dann macht es das echte Saalpublikum seinem Pendant auf der Leinwand natürlich nach. Mordsspaß garantiert.
«The Room» (Regie: Tommy Wiseau, 2003)
«The Room» aus dem Jahr 2003 ist ein Beispiel für Filme, bei denen das Publikum aus Missachtung mit dem Film interagiert. Der obskure Independentfilm handelt von der melodramatische Geschichte eines Mannes, der durch die Liebesaffäre seiner mit ihm unzufriedenen Verlobten und seinem besten Freund in eine Sinnkrise gestürzt wird. Der Hauptdarsteller, Produzent, ausführende Produzent, Regisseur und Autor Tommy Wiseau schuf mit dem schlecht gespielten und repetitiven Melodrama einen der meist zerrissenen Filme der jüngeren Hollywoodgeschichte. Er wurde als „«Citizen Kane» des schlechten Kinos“ bezeichnet, ist aufgrund der abstrusen Dialoge und des lachhaften Spiels Wiseaus allerdings wieder unfreiwillig unterhaltsam, ganz so wie der Trash-Klassiker «Plan 9 from Outer Space». So kam es, dass sich «The Room» in den USA als Kultfilm für Mitternachtsvorstellungen durchsetzte, der von verkleideten Zuschauern lautstark zerrissen wird. Außerdem werden die gerahmten Fotos von Löffeln, die im Hintergrund zu sehen sind, mit dem Werfen von Plastiklöffeln begrüßt, des Weiteren werden die nichts sagenden Football-Sequenzen nachgestellt. Der Kult um «The Room» zog bereits so weite Kreise, dass Patton Oswald aus «King of Queens» den Film auf einer seiner DVDs parodierte. Ganz opportunistisch änderte Wiseau nach Aufkommen des Kults um «The Room» seine Meinung über sein Werk und verkaufte es plötzlich als schwarze Komödie, deren Intention es ist, dem Zuschauer Raum zu geben, sich durch Schreien und Lachen selbst auszudrücken. Selbstverständlich...
«Die Feuerzangenbowle» (Regie: Helmut Weiss, 1944)
Das Loblied auf die Schule, welches von ihr vermutlich nicht als solches erkannt wird, wird mittlerweile alljährlich dazu genutzt die Hochschule zu verschönern: In den 80er Jahren organisierte die Göttinger Uni-Film-Agentur erstmals Uni-Vorstellungen von «Die Feuerzangenbowle» und seither verbreitete sich die (meist vorweihnachtliche Tradition) über die gesamte Republik, sogar über die Grenzen der Universitäten hinaus. Mit Feuerzangenbowle und Heidelbeerwein in Reagenzgläsern bewaffnet wird ein romantisiertes Bild von Lehrinstituten bejubelt. Man prostet sich gemeinsam zu, wenn der Altherrenclub um Heinz Rühmanns Hans Pfeiffer beim Schwelgen in Erinnerungen die Feuerzangenbowle ansetzt, Wecker klingeln unisono mit Pfeiffers ungeliebtem Störenfried der Morgenruhe und wenn die Goten nicht genau wissen, was sie tun sollen, dann zeigen Taschenlampen ihnen auf der Leinwand den Weg an.
«The Rocky Horror Picture Show» (Regie: Jim Sharman, 1975)
Das exzentrische Musical, das Transvestismus, B-Horror und einen sehr eigenwilligen Humor vermischt, darf in dieser Auflistung selbstverständlich nicht fehlen. «The Rocky Horror Picture Show» ist zwar nicht der Erfinder des Mitmachkinos, aber definitiv der Film, durch den diese Tradition auf eine neue, extremere Ebene gehoben wurde. Aufgrund des Kults um ihn stellte der Film den Weltrekord für den längsten kontinuierlichen Kinoeinsatz auf und in Orten, in denen «The Rocky Horror Picture Show» regelmäßig aufgeführt wird, bildeten sich eigene, Lokalregeln, die besagen, was neben den als „Kanon“ anerkannten Aktionen während des Films gestattet ist. Mancherorts sind spontane Zwischenrufe willkommen, in anderen wird ein Interaktionsskript streng verfolgt, und wer davon abweicht gilt als Störenfried. In einem Pariser Kino wurde es zum Brauch, sich auch über die französischen Untertitel lustig zu machen, eine Tradition, die kein deutsches Pendant aufweisen kann. Und in manchen Kinos wird während der Vorführung das Filmgeschehen auf einer Bühne vor (oder hinter) der Leinwand nachgespielt. Die örtlichen Gebräuche sind auch vom Kinobetreiber abhängig: Manche gestatten beispielsweise das Werfen von Toast als Antwort auf die Textzeile „A Toast!”, anderen geht das Wohl der Reinigungskräfte dann letztlich doch vor die getreue Verfolgung dieses verrückten Kults. Das Mittanzen beim «Time Warp» und das Tragen ausgefallener Kostüme ist derweil überall ein Muss.
Sollte einer dieser Filme demnächst in Ihrer Nähe laufen, ist ein Besuch dringend empfohlen, denn die Dynamik solcher Kinoevents ist unvergleichlich und ein Erlebnis für sich. Da spielt die Qualität des eigentlichen Films schon eine untergeordnete Rolle, selbst wenn manche der genannten Beispiele ohne Begleitgeräusche ebenfalls sehr unterhaltsam sind.