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«Schlüter sieht's»: Gebt dem Zuschauer eine Stimme!

Internet und TV können gemeinsam neue Möglichkeiten erschließen. Eine Kolumne über die Probleme des Passiv-Mediums Fernsehen.

Der Diskurs über das zukünftige Leitmedium der Wissensgesellschaft wird immer stärker, je mehr sich das Internet in breiten Teilen der Gesellschaft etabliert. Ist es nun wirklich das World Wide Web, das zukünftig Information, Unterhaltung und den Alltag bestimmt, oder hat auch das Fernsehen noch einen Platz als wichtiges Medium im vernetzten Zeitalter? Je nach Umfrage und Aussage könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Fernsehen beim Nutzungsverhalten der jüngeren Generationen nur noch eine Nebenrolle spiele oder ohnehin schon totgesagt sei.

In einer kürzlich von der University of California veröffentlichen repräsentativen Studie wurde herausgefunden, dass die 14- bis 49-jährigen US-Bürger im Schnitt 182 Minuten pro Tag fernsehen – bei den über 50-Jährigen sind es fast 100 Minuten mehr. Für deutsche TV-Nutzer hat die GfK bei den 14- bis 49-Jährigen exakt denselben Nutzungswert von 182 Minuten täglich ermittelt. Als Aussage wirken diese nackten Zahlen eindrucksvoller: Die Zielgruppe sieht täglich durchschnittlich über drei Stunden fern und verbringt damit einen erheblichen Teil ihrer Freizeit vor der Flimmerkiste. Und dieses Medium soll bei der jungen Generation vom Internet verdrängt werden?

In einigen Teilen der Gesellschaft wird es dies tatsächlich, auch wenn die groben Zahlen zunächst etwas anderes suggerieren. Die aktuelle Analyse "Die Fernsehwelt im Wandel" der Unternehmensberatung OC&C untersuchte die Bedeutung des Fernsehens vor dem Hintergrund zunehmender Mobilität und des Internet-Angebotes. Diejenigen Deutschen, die vernetzt sind und das Internet nutzen (das sind immer noch nur zwei Drittel der Gesellschaft), verbringen täglich 148 Minuten vor dem Fernseher und 138 Minuten im Netz. Je jünger die Zielgruppe wird, desto dominanter wird das World Wide Web: Bei den 14- bis 19-Jährigen, also der als „Generation Z“ bezeichneten Menschen, die schon in ihrer Kindheit vorurteilsfrei mit dem Internet aufgewachsen sind, wird das TV nur noch 93 Minuten und das Netz 123 Minuten pro Tag genutzt. Diese jungen Menschen sind die Erwachsenen der Zukunft und damit wahrscheinlich die ersten, die das Internet dem TV deutlich vorziehen. Die OC&C-Studie kommt daher zu einem eindeutigen Fazit: Die Fernsehstationen müssen ihr Geschäftsmodell ändern, um die junge Zielgruppe nachhaltig und wieder relevant, auch als Werbekunden, zu erreichen.

Die Chance liegt für die Fernsehwirtschaft in einer gemeinsamen Zukunft mit dem Internet. Eine weitere neue Studie von Interone belegt, dass mehr als die Hälfte der 20- bis 39-Jährigen das Internet nutzt, während der Fernseher läuft. Eine klarere Aussage für eine wortwörtlich „vernetzte“ Zukunft zwischen WWW und TV kann es nicht geben. Die Fernsehstationen müssen beispielsweise Web-TV als Zukunftschance erkennen und nutzerfreundliche, leicht bedienbare Portale für die jungen Onliner anbieten. Schon heute bauen TV-Hersteller Apps in ihre Geräte ein, die es erlauben, über das Fernsehen Nachrichten der Tagesschau, Sportnews oder auch Youtube-Videos anzuschauen.

Die Verzahnung muss aber konvergent erfolgen und nicht parallel: Die Zukunft liegt in einem Fernsehprogramm, das – wie im Internet – Partizipation des Zuschauers erlaubt, der aus der Rolle des passiven Konsumenten austritt und zum aktiv Beteiligten wird. Der Fernsehsender GIGA hat dieses Konzept in der Anfangszeit des Internet realisiert und seine Internet-Community in die Gestaltung des Programms mit einbezogen. Auch Fernsehsender müssen darauf achten, dass sie die jungen Netzaktiven nicht verlieren: Diese wollen eine Stimme haben, sie präsentieren sich im Netz und bilden die Meinung der Web-Generation ab. Sie sind die Internet-Stars, die kreativ und engagiert Programm machen, das sich oft mehr Menschen auf YouTube und Co. anschauen als die «Oliver Pocher Show» am Freitagabend Reichweite einfährt. Kurz gesagt: Es bildet sich eine Art von Parallelgesellschaft heraus, die das Fernsehen höchstens noch als sekundäres Medium wahrnimmt. Und diese Internet-Generation wird von Jahr zu Jahr immer größer und werbewirtschaftlich dominanter.

Das antiquierte Fernsehen, das den jungen Zuschauern ein Programm oktroyiert, das an ihren Interessen vorbeisendet und sie als unmündige Passiv-Konsumenten darstellt, kann also diese zunehmende internetaffine Zielgruppe zwangsweise nicht mehr erreichen, weil es ihre Vorstellung von Partizipation und Gestaltungsmöglichkeit nicht umsetzt. Ansätze zur Überwindung dieses Dilemmas gibt es viele: In Zusammenarbeit mit den Geräteherstellern müssten Apps entwickelt werden, die während des TV-Programms die Möglichkeit zum Mitmachen realisieren – beispielsweise könnten die Zuschauer dann direkt Fragen an einen Interviewgast stellen oder abstimmen, welche Clips oder Inhalte einer Sendung als nächstes gezeigt werden. In Quizshows könnten die Zuschauer während der Frage Hintergrundinfos abrufen oder selbst auf die richtige Antwort tippen bzw. als Joker mitspielen. Sie würden sich aktiv in Diskussionsrunden einschalten und eigene, neue Standpunkte abseits der etablierten Meinungen vertreten. Während eine Band bei einem Musiksender auftritt, könnte man sich parallel auf dem Fernseher das offizielle Song-Video und weitere Infos anschauen oder darüber abstimmen. Bei Castingshows könnte live über Gewinner geredet oder gevotet werden – nicht nur über das Ausscheiden des Kandidaten, sondern auch über die Songauswahl oder die Performance des Kandidaten (sozusagen als zweite Jury).

Es gibt viele kleinere Ansätze, die solche hier genannten Ideen schon umsetzen – überraschenderweise besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen (z.B. in «Hart aber fair» oder während der Bundestagswahl mit Kavkas «Wahl im Web»). Im Privatfernsehen aber hat sich der Partizipationsgedanke weitestgehend bisher nicht gezeigt. Die Möglichkeiten für neues, aktiv mitgestaltbares Fernsehen sind unbegrenzt. Leider denken wir und besonders die TV-Stationen noch in zu festgelegten und strikten Konturen, um den Sinn und die Möglichkeiten umfassend zu erkennen. Fest steht: Der Umgang mit dem Zuschauer muss sich ändern, bevor es zu spät ist.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
08.07.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/43086
Jan Schlüter

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Schlüter sieht's

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