Tränen und Dänen lügen nicht. Trailer dafür umso mehr. Szenen, die im Film nicht vorkommen, unbedeutende Hauptfiguren und vertauschte Genres: So lange es Leute anlockt, erlaubt sich die Werbung einfach alles.
Kennen Sie das? Sie sehen einen Trailer, der bestimmte Erwartungen in Ihnen weckt, und dann sitzen Sie im Kino. Und Sie denken sich: „Also, irgendwie habe ich mir etwas spannenderes erhofft“ oder „Nein, den Film habe ich mir lustiger vorgestellt“. Gerne bezeichnen wir die feinen Herren im Marketing deswegen als Lügner. Aber das sind sie nur bedingt. Sie machen einfach bloß ihren Job und preisen ein Produkt an. Wenn wir uns anhand der Werbung mehr versprechen, als der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung raten, dann ist es fast schon mehr unsere Schuld, als die vom Herren, der den Trailer geschnitten hat. Schließlich wissen wir alle, dass die Burger beim Fast-Food-Riesen zur goldenen Schwalbe nie so schön drapiert werden, wie auf den Aushängeschildern, und das Autos bereits nach einem Tag in der Realität niemals so sauber glänzen, wie nach einer Fahrt quer durch die Wüste im Fernsehspot.
Manchmal aber lügen Trailer sehr wohl. Das sind keine Werbeversprechen, die da auf uns losgelassen werden, das sind faustdicke und dreiste Lügen. Da entpuppt sich die frivole Sexkomödie im Kino plötzlich als einfühlsames Jugenddrama oder der brutale Horrorthriller als schlecht durchdachte, langatmige Parabel auf das Leben… mit drei blutigen Szenen, die im Trailer durch schnelle Schnitte und spannende Musik vollkommen ausgeschlachtet wurden.
Momentan macht ein absolutes Paradebeispiel für eine derartige Trailerlüge das Internet unsicher. Der für mich entscheidende Unterschied zu den meisten anderen Mogelpackungen in Trailerform: Ich weiß, dass es eine Lüge ist. Sie dürfen mich an dieser Stelle gleichermaßen beneiden und bemitleiden. Es ist schön, dass meine Erwartungen an diesem Film nicht durch den Trailer in die Irre geführt werden. Aber es tut manchmal weh, mit anzusehen, wie ein Schaf nach dem anderen diesem Trailer folgt. Obwohl die Fanforen vor lauter Warnungen nur so wimmeln.
Die Rede ist vom Trailer zu Disneys im Winter startenden Märchenfilm «Rapunzel - Neu verföhnt». Allein schon der deutsche Untertitel ist Teil des strategischen Fehlmarketings Disneys, erweckt er doch Assoziationen mit postmodernen, ironisch gebrochenen Märchenkomödien. Und der Trailer ist da nicht anders: Er stellt die Titelfigur in den Hintergrund, enthält jede Menge Slapstick und dank Pinks «Trouble» als Musikuntermalung ruft er eher Erinnerungen an «Shrek» hervor, als an klassische Disney-Trickfilme. Wer sich allerdings mit der Produktionsgeschichte des Films beschäftigt, erhält ein gänzlich anderes Bild des in den USA «Tangled» betitelten Animationsstreifens. Ja, zwischenzeitlich war er als «Shrek»-artige Märchenparodie konzipiert, doch das ist mittlerweile rund ein halbes Jahrzehnt her. Längst steuerte man in den Disneystudios wieder zurück. Stattdessen möchte man mit diesem Film wieder ein mit Abenteuer, Witz und Romantik gewürztes Märchenmusical auf die Kinoleinwand bringen. «Aladdin» oder «Arielle, die Meerjungfrau» geben die Richtung an. Natürlich kann niemand bereits jetzt garantieren, dass auch die Qualität dieser Filme erreicht wird, dass deren Stimmung anvisiert wird, ist aber Fakt. Und was die Qualität angeht, dürften die Stimmen von Insidern, die Teile des Films bereits begutachteten, ebenfalls freudig stimmen.
Wieso aber bemüht sich Disney, «Rapunzel - Neu verföhnt» als etwas vollkommen anderes zu verkaufen? Weshalb riskiert man desaströse Reaktionen in seinen treuen Fanforen? Drei Worte: «Küss den Frosch». Der letztjährige Animationsfilms war eine klassische, typische Disneyproduktion. Und nahm weltweit keine 300 Millionen Dollar ein. Diese Grenze wird «Für immer Shrek» in wenigen Tagen überschreiten. «Shrek der Dritte» kratzte an der 800-Millionen-Dollar-Grenze. «Madagascar 2» brachte den Dreamworks Animation Studios über 600 Millionen Dollar ein. Animierte Komödien mit postmoderner Frechheit sind Erfolgsgaranten an der Kinokasse. Aus dem Abschneiden von «Küss den Frosch» hingegen schließt Disney, dass Märchenfilme schlecht ankommen. Also versucht man den Umstand, dass man auf gewohnte Disney-Weise ein Märchen adaptierte, bestmöglich zu vertuschen. So wird im Trailer die männliche Hauptfigur, ein kecker Dieb namens Flynn Rider, in den Fokus gerückt, während Rapunzel gerade Mal einen Satz sagen darf und in den USA sogar aus dem Titel verbannt wird, da irgendein Marketingexperte behauptete, dass sich Filme, deren Titel Mädchen referieren, schlecht verkaufen. Von «Alice im Wunderland» hat dieser Kerl wohl noch nie gehört.
Die treuen Disneyfans sind dem Studio in der aktuellen Marketingphase vollkommen egal. Erstens bringen die eh weniger Geld ein, als eine Horde begeisterter Kinder, zweitens geht man im Konzern wohl davon aus, dass sie sich den neusten Animationsfilm aus diesem Hause eh ansehen werden, ganz gleich, wie die Trailer so wirken. Und die kleinen Mädchen, die werden durch das ganze Rapunzel-Merchandising angelockt. Langhaarige Barbiepuppen und märchenhafte Türmchen, ahoi! Doch diese bockigen Jungs, die alles, was rosa ist oder ein Frauengesicht vorne draufgedruckt hat, mädchenhaft und somit uninteressant finden… Und diese störrischen Teenager, die Trickfilme, die nicht zum reinen Lachfest verkommen, blöd finden… Die müssen geködert werden. Schon wird eine Trailerlüge zusammengezimmert, in der Hoffnung so das Startwochenende aufzubessern. Über die so beeinflusste Mundpropaganda, die nach Kinostart bestimmt polarisierend sein wird, kann man ein anderes Mal nachdenken.
Ob diese Marketingentscheidung klug ist? Erinnerungen an M. Night Shyamalans «The Village» werden wach. Dieser Film dürfte bislang das Schreckensbeispiel für Trailerlügen sein, immerhin tötete er fast im Alleingang die Karriere des zuvor beliebten Regisseurs und Autors. «The Village» wurde als Monster-Horrorthriller verkauft, obwohl er eine nachdenkliche, poetische Romanze inklusive kritischer Politparabel war. Ersteres verkauft sich allerdings leichter und besser - so lange, bis sich die große Masse am Startwochenende den Film ansieht, und dann vollkommen enttäuscht und verprellt aller Welt erzählt, wie schlecht dieser Pseudo-Horrorstreifen denn sei.
Deshalb dürften solche Trailerlügen eigentlich nur dann abgezogen werden, wenn es zum Film passt. Wie etwa beim Robin-Williams-Vehikel «World's Greatest Dad», eine provokante, tiefschwarze Komödie, deren Trailer ihn als freundlich-amüsanten Familienfilm verkaufte. Das war Teil der Provokation, hier gingen Marketing und Produkt Hand in Hand. Und dann gibt’s da ja noch «Inglourious Basterds». Quentin Tarantinos Meisterwerk wurde im ersten Trailer als Nazi-Abschlacht-Massaker mit einem freche Sprüche schlagenden Brad Pitt verkauft. Tatsächlich aber war «Inglourious Basterds» gar nicht so brutal, Brad Pitt hatte eine untergeordnete Rolle und statt Non-Stop-Action gab es anspruchsvolle Dialoge. Irgendwie war es Teil des Konzepts, dass «Inglourious Basterds» intelligenter ist, als man erwarten würde, zum Teil war der Trailer eine gezielte, am Kommerz orientierte Irreführung. Im Gegensatz zu «The Village» ging sie auf: «Inglourious Basterds» lief auch nach dem Startwochenende überaus erfolgreich, bereits zu Beginn fand das eigentliche Zielpublikum den Weg ins Kino und auch die vom Trailer angelockten Zuschauer waren einigen Marktforschungen nach überaus glücklich mit dem Film. Sie erwarteten Blut und leichte Unterhaltung und wurden mit gehobenem Kino verwöhnt.
Klar, dass Hollywood wegen «Inglourious Basterds» Fälle wie «The Village» vergisst. Bloß stellen Tarantino-Filme in jeglicher Hinsicht eine obskure Ausnahme von der Regel dar. Bleibt nur zu hoffen, dass bald ein ehrlicher Trailer zu «Rapunzel - Neu verföhnt» veröffentlicht wird. Ansonsten wird dieses mit Vorschusslorbeeren bedachte Märchen katastrophal untergehen. Und das wäre schade.