Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 89: Die vielleicht größte und dreisteste Werbeshow des deutschen Fernsehens.
Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Beweises dafür, dass kein noch so legendärer Klassiker vor einer Schändung sicher ist, wenn nur genügend Geld auf dem Tisch liegt.
«Die Post geht ab!» wurde am 09. Mai 1993 bei RTL geboren und entstand zu einer Zeit, als das System der bisherigen vierstelligen Postleitzahlen aufgrund des Zutritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik nicht mehr ausreichte und auf die heute üblichen fünf Ziffern ausgeweitet wurde. Sowohl die deutsche Bevölkerung als auch die heimische Wirtschaft standen diesem notwendigen Schritt skeptisch gegenüber, waren doch damit viele organisatorische Aufwände verbunden. Daher sah sich die Post gezwungen, eine breit angelegte Imagekampagne für das neue System ins Leben zu rufen. Darin fungierte die fünffingerige Zeichentrick-Hand Rolf als offizielles Maskottchen, das auf Plakaten und in TV-Spots den Slogan „Fünf ist Trümpf“ verbreitete. Parallel dazu strebte das Unternehmen eine weitere, umfangreiche Kooperation mit einem großen Fernsehsender an und hielt dafür Ausschau nach einem passenden Format, in dem man die Sympathien für die neuen Postleitzahlen steigern konnte.
Da kam es nicht ungelegen, dass der beliebte Moderator Rudi Carrell vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu RTL wechseln wollte und man in seiner neuen Heimat ohnehin auf der Suche nach einer geeigneten Showidee für ihn war. Dieser ging wiederum mit dem Vorschlag hausieren, seinen legendären ARD-Klassiker «Am laufenden Band» aus den 70er Jahren wiederbeleben zu wollen und stand dafür ebenfalls im Gespräch mit dem WDR. Weil diese Gespräche zu keiner Einigung führten, kamen letztlich Carrell, RTL und die Post doch noch zusammen und setzten das Remake gemeinsam um – nun aber unter dem Namen «Die Post geht ab!», weil die ursprünglich verantwortliche Anstalt Radio Bremen die Verwendung des originalen Titels untersagte. Inhaltlich gab es hingegen kaum Änderungen, denn erneut steuerte jede Ausgabe auf das Finalspiel hin, in dem ein Kandidat oder eine Kandidatin alle Preise gewann, die er oder sie sich von einem vorbeifahrenden Laufband merken konnte. Auf dem Weg zur Schlussrunde kämpften wieder vier Kandidatenpaare in wechselnden Spielen gegeneinander, in denen es um Geschicklichkeit, leichte Kombinationsgabe und die richtige Einschätzung des Teammitglieds ging. Beispielsweise galt es, ein gesehenes Theaterstück rückwärts nachzuerzählen, anhand von Kinderbildern Prominente zu erraten oder möglichst viele Würste mit einer Maschine zu füllen. Dazwischen gab es – wie so oft bei Rudi Carrell – kurze Gesangsnummern, Überraschungsgäste und gespielte Witze.
All das fand in einer Kulisse statt, die der Fußgängerzone einer kleinen Stadt glich, in der es natürlich auch eine Postfiliale gab. Obendrein wurden die neuen Postleitzahlen immer wieder mehr oder weniger elegant in den Ablauf eingeflochten. So gewann etwa das Paar, das nach einer Runde ausschied, eine Reise in den Ort, den es zuvor blind aus dem neuen Postleitzahlenbuch heraustippte. Oder, Rudi Carrell befragte „spontan“ das Publikum im Studio, ob es schon die eigenen neuen Zahlen kennen würde. Ferner wurden in jeder Ausgabe Preise im Wert von einer Million Mark an diejenigen Zuschauer verlost, die eine spezielle Karte aus dem Postleitzahlenbuch eingeschickt hatten. Entsprechend war der Briefträger Stefan Transfeld einer seiner wiederkehrenden Assistenten – neben der Abiturientin Carmen Evert und dem Komiker Les Bubb. Kurz, das Ergebnis war zwar zugleich eine schamlose Dauerwerbesendung und eine dreiste Kopie, aber insgesamt äußerst brav und harmlos.
Das war beabsichtigt. Die Produktion sollte saubere und harmlose Familienunterhaltung für alle Altersgruppen bieten, was nicht nur der Post für ihre Imagekampagne wichtig war, sondern auch dem Sender RTL. Immerhin hatte man kurz zuvor medienwirksam angekündigt, sämtliche Sexfilmchen endgültig aus dem Programm werfen zu wollen. Angesichts dieser angestrebten Selbstreinigung war es dann wenig erfreulich, dass ausgerechnet zum Start die Süddeutsche Zeitung den Auszug aus einem Gesprächsprotokoll veröffentlichte, in dem Carrell mit abfälligen und sexistischen Bemerkungen über die junge, blonde SZ-Reporterin Michaela Haas zitiert wird. Demnach soll er ebenso gesagt haben, nach der Aufzeichnung seiner Show stets nur noch „bumsen“ zu wollen. Der Entertainer tat seine Äußerungen später als harmlose „Blödelein“ ab.
Einen vergleichbar großen Renner wie das Original wurde die Neuauflage nicht. Zwar schalteten die Premiere am Sonntagabend zur besten Sendezeit über sieben Millionen Menschen ein, doch die weiteren Ausgaben in den nachfolgenden Wochen erreichten oft nur noch Sehbeteiligungen unterhalb von vier Millionen Zuschauern. Inwieweit die negativen Schlagzeilen, das angestaubte Konzept oder die penetrante Werbung dafür verantwortlich waren, lässt sich nur schwer voneinander trennen. Da die Quoten nur mäßig blieben und die Post nach der erfolgten Einführung der Postleitzahlen an keiner weiteren Zusammenarbeit mehr interessiert war, gab es nach der ersten Staffel keine Fortsetzung der Reihe mehr.
«Die Post geht ab!» wurde am 11. Juli 1993 beerdigt und erreichte ein Alter von zehn Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Rudi Carrell, der nach diesem Misserfolg mit «Rudis Urlaubsshow» und «Rudis Hundeshow» zunächst noch banalere Formate präsentierte, bevor er schließlich mit
«7 Tage, 7 Köpfe» seinen letzten Hit vor seinem Tode landen konnte. Zwischenzeitlich führte er außerdem durch die altbackene Internet-Reihe
«Rudis Suchmaschine», sammelte Spenden in der
«Prominenten Playback Show» und entwickelte Mike Krügers Witze-Parade
«Kennen Sie den?» . Übrigens, das Prinzip von «Am laufenden Band» wurde im Dezember 2014 von der ARD noch einmal reanimiert. Diesmal allerdings unter der Leitung von Jörg Pilawa.
Möge die Show in Frieden ruhen!
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann Harald Schmidts WM-Show.