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Eurovision Song Contest: Lena Meyer-Landrut & die große Unbekannte

Mit der Startnummer 22 geht die gebürtige Hannoveranerin im heutigen Finale an den Start. Sie wird zudem als eine der Favoriten in Oslo gehandelt. Vor der Finalshow: Welchen Chancen hat sie tatsächlich?

Nun wird es für Lena Meyer-Landrut ernst. Auf der Bühne der großen Telenor-Arena in Oslo tritt sie heute Abend mit ihrem Song „Satellite“ an und möchte die Herzen Europas erobern. Beim Eurovision Song Contest, der ab 20.15 Uhr live in der ARD übertragen wird, soll die „nationale Aufgabe“, die sich Entertainer Stefan Raab zusammen mit seinem Haussender ProSieben und der ARD auferlegt hat, ihre Vollendung finden. Die langen Casting-Wochen rund um «Unser Star für Oslo», das Fiebern im Herzschlagfinale der Sendung im März sowie das über Nacht gedrehte Musikvideo, der große Medienrummel danach, das eigene Album und die nun täglichen Proben samt Präsenz in der abendlichen «TV total»-Spezial-Sendung zusammen mit Raab – all das beschreibt den langen Weg den „unsere“ Lena gegangen ist, vom ersten Casting bis zur Reise nach Oslo und der bewerteten Probe auf der große europäischen Bühne vor den Jurys am gestrigen Abend. Es war sicherlich nicht immer ein leichter Weg, der vor allem auch für das Team rund um Stefan Raab jede Menge Arbeit bedeutet hat, doch nun ist man fast am Ziel angekommen und möchte die Früchte ernten. Da ist es umso erfreulicher, dass Lena Meyer-Landrut gerade unmittelbar vor dem großen Finale zur Höchstform aufläuft. Vielmehr ist sie sogar zum Spaßen aufgelegt. In den Live-Schalten zu «TV total» bewies sie mit ihrer kecken, aufgeweckten Art sogar Comedy-Talent. Zusammen mit Raab gab sie in mehreren Einspielern den Zuschauern von «TV total» exklusiv einen Einblick vom Backstage und von ihrem Alltag. Die Bilder vermitteln vor allem eines deutlich: Die Stimmung innerhalb der deutschen Delegation in Oslo ist prächtig, alle Beteiligten sind gut gelaunt in Harmonie und bester Dinge für das große Finale am Samstagabend. Sie haben Spaß an ihrer Aufgabe.

Spaß haben aber auch die Norweger an Lena Meyer-Landrut gefunden. Denn die feiern sie tatsächlich schon als Siegerin des Eurovision Song Contest. Überall wo man im Lande nachfragt, wird Lena als Favoritin gehandelt. Der norwegische Interpret Didrik Solli-Tangen hat ihr einen Geburtstagskuchen gebacken und der Sieger aus dem letzten Jahr Alexander Rybak umgarnt die Hannoveranerin, was in mehreren Sequenzen während der Oslo-Spezial-Woche von «TV total» zu sehen war. Apropos: Während dieser Sendungen hörte man nur allzu oft folgenden Dialog: Wer ist euer Favorit? – Germany. Sei es der englische Teilnehmer Josh Dubovie, die irische Grand-Prix-Legende Johnny Logan oder auch zahlreiche Delegierte bei Empfängen im Rathaus oder beim Botschafter, Lena Meyer-Landrut stand stets ganz oben auf der Liste. Nimmt man dann noch die Prognosen der Buchmacher hinzu, die Lena auch nach den beiden Halbfinals hoch handeln, dann müsste „unsere“ Lena eigentlich zumindest mit einem Spitzenplatz beim europäischen Wettbewerb nach Deutschland zurückkehren. Auch Google hat sich angeschickt eine Prognose abzugeben, in der Lena Meyer-Landrut – wie sollte es anders sein – ganz oben steht. Doch auf all diese Prognosen zu vertrauen, ist insofern gefährlich, da sich die Experten vor Ort in Oslo kaum in Sicherheit wähnen, wenn sie ihre Tipps abgeben.

Denn der Eurovision Song Contest spielt nach seinen eigenen Regeln. Dass auf die Expertenmeinung nicht immer viel zu geben ist, haben die Halbfinals gezeigt, in denen sichere Favoriten der selbst ernannten Grand-Prix-Experten plötzlich ausgeschieden sind und für Überraschungen sorgten. Kam der holländische Beitrag beispielsweise hierzulande und vor allem in der rheinländischen Kultur sehr gut an, so konnten die Osteuropäer damit so gar nichts anfangen. Ergo: Die Niederlande ist nicht im Finale vertreten. Die große Unbekannte namens Zuschauerstimme sorgte für Verwunderung im Teilnehmerumfeld, waren die Textzeilen "Sha la li, Sha la la" allseits bekannt. Oft wurde auch gemunkelt, dass gerade die Osteuropäer gerne zusammenhalten. Auch dieser Trend bestätigte sich in diesem Jahr nicht. Dass weniger osteuropäische Staaten vertreten sind als Nationen aus Westeuropa, muss auch nicht unbedingt etwas bedeuten. Lenas Konkurrenten-Feld besteht aus einer kaukasischen und einer postsowjetischen Fraktion zwischen denen neben unserem Oslo-Kandidaten einige wenige westeuropäische Teilnehmer noch antreten. Auch der Grand Prix erfahrene Jan Feddersen sprach das anstehende Wettsingen mehrerer Teilnehmer aus dem Kaukasus an. Darunter wird vor allem Aserbaidschan mit Safura bei den Buchmachern ähnlich hoch gepokert wie die deutsche Kandidatin. Sie gilt als die ärgste Konkurrentin für Lena Meyer-Landrut. Die Wettbüros erwarten somit einen Zweikampf von Safura mit Lena. Keine Frage: Eine gute Nummer hat Aserbaidschan im Gepäck. Aber auch andere Nationen wie Island, Armenien, die Türkei oder Irland tauchen in den Gazetten als mögliche Favoriten auf. Dann gibt es da noch die Geheimfavoriten wie Griechenland, Weißrussland oder Belgien.

Auf einen belgischen Sieg von Tom Dice tippte auch Jan Feddersen in «TV total», was sicherlich Anlass für Überraschung bietet, und bremste gleichzeitig auch die allgemeine Lena-Siegeseuphorie: „Wir werden Neunter“, legte sich der Experte fest. Immerhin: Das Ziel Top 10, das Stefan Raab selbst ausgegeben hat, würde damit erreicht. Oder wie es Hape Kerkeling, der in der deutschen Jury von der Hamburger Reeperbahn in St. Pauli die Punktevergabe für Deutschland am Eurovision-Abend übernehmen wird, ausdrückt: „Unter dem Top 3 wäre fantastisch, unter dem Top 5 wäre spitze, unter den Top Ten ist sehr gut und alles darunter wäre einfach Schiebung.“ Möglicherweise ist der Nicht-Gewinn des Sangeswettbewerbs dann sogar ein Gewinn für Lenas Karriere. Würde sie gewinnen, was aufgrund des Medieninteresses beinahe schon als Erwartungshaltung gilt, könnte der Zenit ihres Erfolgs schon recht früh erreicht sein. Darüberhinaus: Lena möchte gar keine Favoritin sein. „Jeder kann gewinnen“, sagt sie ganz locker. Aber was ist eigentlich mit den restlichen Teilnehmern der „Top Four“? Die französische WM-Hymne kann weit oben oder weit unten landen, ähnliche Schwankungen sieht man bei der Pop-Nummer der Briten und von Spanien hört man ebenso wenig wie von Norwegen selbst, das sehr bescheiden im Bezug auf seinen Kandidaten auftritt. Wer ist nun also der Favorit in Oslo? Das Finale in der norwegischen Hauptstadt wird in jedem Fall ein kaukasisches Wettsingen mit sich bringen, ebenso wie ein Konzert von sieben Staaten aus der ehemaligen Sowjetunion und dazwischen singen einige Westeuropäer. Mittendrin ist Lena, die nach Armeniens Eva Rivas beginnt, nach ihr singt die Portugiesin Filipa Azevedo.

Die genannten Faktoren versprechen einen spannenden Abend beim Eurovision Song Contest, an dem es dann auch auf die Tagesform, die Performance und Bühnenbild gleichermaßen wie die Stimmung an jenem Tag ansich ankommen wird. Am meisten jedoch kommt es auch auf die Zuschauerschaft an. 120 Millionen werden vor den Bildschirmen sitzen. Sie alle sind stimmberechtigt. Doch sie entscheiden nicht allein. Der Eurovision Song Contest folgt nämlich strikten Regeln der European Broadcasting Union (EBC), nach deren Überarbeitung auch eine Punkteschiebung ausgeschlossen werden soll. Die Startnummern der einzelnen Länder wurden ausgelost, Lena ist beispielsweise als 22. Kandidatin am heutigen Abend am Start. Nicht erst wenn alle 25 Teilnehmer ihre Songs vorgetragen haben, können die Zuschauer anrufen, sondern schon direkt mit dem ersten Auftritt auf der Bühne der Telenor-Arena. Die Finalwertungen der anschließenden Abstimmung jedes Landes setzen sich jeweils zur Hälfte aus Wertungen des Publikums und einer Jury zusammen. Die Jury besteht in jedem Teilnehmerland aus fünf Experten. Jury und Fernsehzuschauer der teilnehmenden Länder dürfen jedoch nicht für ihr eigenes Land abstimmen. Der Kandidat, der innerhalb eines Landes die meisten Stimmen bekommt, erhält zwölf Punkte, der Zweitplatzierte wird mit zehn und der Drittplatzierte mit acht Punkten belohnt. Die Interpreten auf den sieben folgenden Rängen erhalten abnehmend sieben bis einen Punkt. Neun und elf Punkte werden nicht vergeben. Aus Televoting-Ergebnissen und Jurywertungen jedes einzelnen Landes setzt sich dann das Gesamtergebnis für jeden Teilnehmer zusammen, bei Punktgleichheit hat das Zuschauervoting Vorrang. Ein auf den ersten Blick nicht ganz einfacher Modus, doch gerade die Installierung der Jury in den neuen Regeln der EBC sollen unabhängige Abstimmungen garantieren.

Übrigens: Nicht wundern braucht man sich als Zuschauer, wenn Hape Kerkeling als Moderator der deutschen Jury nur die ersten drei Plätze verliest. Um Zeit zu sparen werden die restlichen Plätze wie schon im letzten Jahr nicht verlesen. Die Vergabe der Länderpunkte bleibt nichtsdestotrotz ein unberechenbarer Faktor, da gerade die Zuschauermassen als Voter die große Variable bei der Milchmädchenrechnung vieler Experten sind. Letztlich liegt es also am europäischen Publikum, das über das Abschneiden von Lena Meyer-Landrut und all der anderen Kandidaten richten darf. Das Hauptaugenmerk der Jurys indes wird vor allem auf der Songinterpretation und der Darbietung gelegen haben und da sind wir guter Dinge, da „unsere“ Lena gestern eine gute Tagesform erwischt hatte, die ihren „Satellite“ vielleicht auf die vorderen Plätze kreisen lässt. Die Unberechenbarkeit dieses Wettbewerbs muss man jedoch im Hinterkopf behalten, liebäugelt man schon mit einem sicheren Sieg für Lena. Denn über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Was den Ländern in Europa schmeckt, werden wir am heutigen Abend erfahren. Doch ist es gerade diese Ungewissheit über den Ausgang des europäischen Sangeswettbewerbs, die den Contest über Jahrzehnte am Leben gehalten hat. Drücken wir also Lena Meyer-Landrut bei hrem Rendevouz mit der großen Unbekannten im heutigen Finale beide Daumen!
29.05.2010 08:12 Uhr Kurz-URL: qmde.de/42270
Jürgen Kirsch

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Eurovision Song Contest Lena Meyer-Landrut Unser Star für Oslo Stefan Raab

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