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«Schlüter sieht's»: Die Upfronts-Analyse

Welche Sender und neuen Serien konnten überzeugen, wo gab es Überraschungen?

Der große Upfront-Sturm ist vorbei, und wieder einmal hat er die Fernsehlandschaft in den USA mächtig durcheinander gewirbelt. Es gab zahlreiche überraschende Sendeplatzwechsel für populäre Serien und viele interessante neu angekündigte Serienprojekte, die im Herbst auf Zuschauerfang gehen werden.

Die erste der vier Pressekonferenzen aller großen US-Networks hielt NBC ab, das zahlreiche neue Drama-Serien vorstellte. Insgesamt wurden acht neue Projekte angekündigt – dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass NBC im vergangenen Herbst mit der «Jay Leno Show» um 22.00 Uhr fünf Sendeplätze belegte, die eigentlich für Serien vorgesehen sind. Nach dem großen Flop rund um Leno füllt NBC diese Plätze wieder mit neuen Programmen auf. Am Montagabend greift das Network mit den beiden größten Neustarts an: «The Event» ist ein episch angelegtes Verschwörungsdrama, das die Fans der eingestellten Sendungen «24» und «Lost» einfangen soll. Im Video-Trailer macht die Serie definitiv einen sehr guten Eindruck. Danach schickt NBC «Chase» ins Rennen, eine Produktion von Kino-Gigant Jerry Bruckheimer («Pirates of the Carribbean»). In der Serie jagen US-Marshalls Schwerverbrecher in einem tödlichen Katz-und-Maus-Spiel; jeder Folge liegt ein einzelner Fall zugrunde. Im Trailer überrascht das Programm positiv und könnte dem angestaubten Crime-Genre deutlich Frischluft verschaffen. Das dritte erwähnenswerte Projekt von NBC ist «Undercovers» am Mittwochabend: Es ist der neue Serienhit von J.J. Abrams («Lost», «Fringe») und dreht sich um zwei ehemalige Spionageagenten, die für einen heißen Fall zurück in den Dienst beordert werden. Im Trailer stellt sich die Serie als Mischung zwischen actiongeladener Spionage-Thriller und privater Beziehungskomödie dar, denn die beiden Agenten sind verheiratet. Besonders stark ist, dass die Serie an verschiedensten Orten in der Welt spielen soll – die Undercover-Agenten sind überall im Einsatz. Schließlich macht sich noch ein neues Comedy-Projekt richtig stark in der Preview: «Outsourced» läuft im Anschluss an den Quotenhit «The Office» und handelt von einem Callcenter, das von den USA nach Indien verlegt wird. Der junge Chef der Abteilung muss den neuen indischen Arbeitskräften die amerikanische Lebensweise näher bringen und sie zu professionellen Hotline-Mitarbeitern ausbilden. Dass bei diesem Kulturkampf zwangsweise vieles schief gehen muss, dürfte klar sein.

Das wohl überzeugendste neue Line-Up hat der Sender FOX. Interessant ist, dass er seine erfolgreichsten Serien «House» und «Glee» montags und dienstags vor den neuen Programmen laufen lässt, damit diese ein gutes Lead-In und Chancen auf höhere Quoten haben. Viele andere Broadcaster haben sich diesen Schritt nicht getraut, weil sie erfolgreiche Serienabende nicht antasten wollten. Am Montag nach «House» geht «Lonestar» auf Sendung, das sich um einen intriganten Mann dreht, der in Texas ein Doppelleben führt und mit zwei Frauen verheiratet ist. Die Serie ist als Soap hinter den Kulissen des Ölgeschäfts ausgelegt und hat einen sehr eigenen Anspruch – normalerweise erwartet man solche originären Plots eher bei Pay-TV-Sendern wie HBO. Aber auch die weiteren Serien wie «Ride-Along» und «Running Wilde», die dienstags nach «Glee» ein ähnliches Publikum ansprechen werden, überzeugen in ersten Videos. Und schließlich könnte die Cop-Serie «The Good Guys», die freitags läuft, ziemlich spaßig werden. In diesem Programm machen zwei ungleiche Polizisten die Straßen unsicher und wenden alle Methoden an, um Verbrecher dingfest zu machen. Eine Preview-Folge hat FOX schon kürzlich gezeigt, bevor es im Herbst richtig losgeht – ähnlich ist man letztes Jahr beim neuen Erfolg «Glee» verfahren. Den größten Trumpf hat FOX jedoch für die Midseason in der Hinterhand: Die Steven-Spielberg-Serie «Terranova», von der bisher nur ein Teaserbild und wenig inhaltliche Details existieren, soll Sci-Fi-Grenzen sprengen.

Wenig überzeugen konnte ABC mit seinen Ankündigungen. Im Gegensatz zu FOX benutzt man seine stärksten Serien nicht als Lead-In für neue Programme, sondern wirft diese ins kalte Quotenwasser. So beginnen der Dienstag, Donnerstag und Freitag um 20.00 Uhr mit neuen Formaten; die kompletten Programmblöcke um «Grey’s Anatomy» und «Private Practice» sowie der komplette Sonntag und Montag bleiben unberührt. Damit geht ABC ein enormes Risiko – dessen ist sich das Network wohl bewusst, denn zur Sicherheit hat man viele Midseason-Serien bestellt, die schnell starten könnten, falls eines der neuen Projekte floppt. Ein interessantes ist die neue Donnerstags-Serie «My Generation», die im Dokumentarstil gedreht ist. Das Programm dreht die Zeit um zehn Jahre zurück und zeigt einige High-School-Absolventen bei ihrem Sprung ins wahre Leben im Jahr 2000. Gleichzeitig zeigt die Serie natürlich auch, wie es diesen Menschen zehn Jahre später ergangen ist – und ob sie sich ihre Träume erfüllt haben. Die anderen neuen Serien konnten in ersten Video-Trailern allerdings weniger begeistern. «Body of Proof» scheint ein klassisches Krankenhaus-Drama zu werden, «Detroit 1-8-7» eine normale Krimi-Serie (diesmal allerdings im Dokumentations-Stil) und «The Whole Truth» eine traditionelle Anwalts-Serie. ABC könnte also dann der Nutznießer der neuen TV-Saison werden, wenn die Zuschauer die ungewöhnlichen Formate, die in keine Genre-Schublade passen, von den anderen Networks nicht annehmen wollen.

CBS überraschte wohl am meisten mit den zahlreichen Absetzungen vieler bekannter Serien im Vorfeld. Sehr interessant ist, dass das Network seine höchst erfolgreiche Sitcom-Kombination am Montagabend sprengt und «Two and a Half Men» sowie «The Big Bang Theory» künftig auf zwei Tage aufteilt. Denn beide Serie dienen künftig als Lead-In für neue Sitcoms. Charlie Harper wird künftig vor einer neuen Serie von Chuck Lorre ausgestrahlt, dem Erfinder beider oben genannter Quotenhits. Dieses neue Programm namens «Mike & Molly» geht am Montagabend auf Zuschauerfang und handelt von einem übergewichtigen Päärchen, das sich bei einer Selbsthilfegruppe kennen gelernt hat. «Big Bang Theory» läuft künftig donnerstags um 20.00 Uhr – CBS verschiebt also seinen Comedy-Block von Mittwoch auf Donnerstag und startet damit einen Frontalangriff auf NBC, das gleichzeitig ebenfalls Comedy sendet und nicht allzu gute Quoten damit einfährt. An diesem Tag ist bei CBS künftig auch das neue Format «Bleep My Dad Says» zu sehen, das von einem Twitter-Account abstammt, in dem ein junger Mann die Weisheiten seines 45 Jahre älteren Vaters twittert. Dieser Vater wird in der Serie von «Star Trek»-König William Shatner gespielt. CBS überrascht ansonsten weniger mit neuen Formaten, von denen die meisten im Vorfeld schon bekannt waren, sondern eher mit Programmverschiebungen. Zwei der drei «CSI»-Serien wechseln den Sendeplatz, nur das Original darf weiterhin auf seinem alten Platz bleiben. Am Freitag greift man – wie angekündigt – voll an: Mit drei gescripteten Drama-Programmen, darunter «Medium», «CSI: NY» und das neue «Blue Bloods», sollen besonders die jungen Zuschauer zurückkehren.

Generell ist auffällig, dass die Sender den Freitag als neuen Schlachtplatz um die Zielgruppe ausgegeben haben und damit dem Trend entgegensteuern, diesen TV-Tag zu einem zweiten Samstag verkommen zu lassen, wo die jungen Zuschauer fernbleiben. Weiterhin gibt es zahlreiche neue Serienstarts, die eine ungewöhnliche Prämisse haben und sich nicht in ein Genre-Raster stecken lassen - es ist endlich Zeit für neues Fernsehen. Besonders NBC (das vom Loser der letzten Jahre zum großen Gewinner avancieren könnte) und FOX überraschen mit vielen zahlreichen Programmen, die sehr interessante und unkonventionelle Storys haben. ABC hat eher das Gegenteil getan und setzt auf bekannte Genre-Kost. Und CBS geht seinen Erfolgsweg weiter, programmiert die größten Hits vor spannenden Neustarts. Der Kampf um den Zuschauer ist eröffnet – ab dem 01. September.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
20.05.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/42080
Jan Schlüter

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