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Die Wahrheit über das Syndication-Märchen

100 Episoden gelten als die magische Grenze, um eine Serie in die Syndication verkaufen zu können. Kann man sich auf dieses Fortsetzungskriterium wirklich verlassen?

Statistisch gesehen fühlen sich rund 60 Prozent der Berufstätigen regelmäßig gestresst. Unter Serienjunkies wird diese Rate in den nächsten Wochen höher liegen. Unter den Berufsserienjunkies wesentlich höher.

In der übernächsten Woche schaut alle Fernsehwelt auf die großen Networks der Vereinigten Staaten. Dann geben CBS, ABC, FOX, NBC und The CW auf den großen Upfronts-Präsentationen ihr Programm für die nächste TV-Saison bekannt. Welche Serien werden verlängert, welche abgesetzt? Welche PIloten haben es zur Serienreife geschafft und was für Überraschungen haben die Sender sonst noch parat? Muss ProSieben miterleben, wie mit «FlashForward» erneut eine große Serie des Mystery Montags nach nur einer Staffel eingestampft wird? Serienfans und internationale Abnehmer bangen und hoffen gleichermaßen und das treibt mitunter recht seltsame Blüten.

Rückblick ins Jahr 2005. Die vierte Staffel von «Star Trek: Enterprise» lief gerade auf UPN und trotz viel Fan- und Kritikerlob für die eingeschlagenen Kursänderungen in der neuen Staffel drohte es angesichts miserabler Quoten die letzte zu werden. Dann geschah etwas höchst eigenartiges: UPN verkündete, die Staffelbestellung um zwei Episoden von 24 auf 22 zu kürzen. Und obwohl das ein klares Zeichen dafür war, dass UPN mit den Einschaltquoten überhaupt nicht zufrieden war, brach unter den Fans plötzlich Partystimmung aus. Oder zumindest überschwänglicher Optimismus. Damit kam «Enterprise» nämlich auf insgesamt 98 Episoden, zwei weniger als die magische 100, die doch für den Verkauf der Syndication-Rechte nötig war. Und so einen Deal würde sich UPN wohl kaum entgehen lassen?

Der Verkauf von Senderechten in die Syndication bedeutet, die Ausstrahlungsrechte an viele kleine Sendestationen weiterzureichen. Die Networks können alte Folgen in ihren Programmen kaum verwerten und so wird dann noch einmal Geld in die Kassen gespült. In der Syndication werden die Serien dann oft in täglicher Ausstrahlung wiederholt. Damit das Programm nicht alle paar Wochen ausgetauscht werden muss, sind lange Serien also von Vorteil, daher die 100-Episoden-Regel, die jedes Jahr auf's Neue als einer der Strohhalme herhält, an die sich Serienfans klammern. «Heroes» ist so ein Fall. 77 Episoden hat die Serie auf dem Buckel, mit einer weiteren 23-Episodenstaffel wäre die dreistellige Marke erreicht. Allerdings muss man schon sehr verzweifelt sein, um an eine volle fünfte Staffel zu glauben.

Aber gibt es diese Grenze denn überhaupt oder ist das alles nur Einbildung? Die meisten abgesetzten Serien haben sehr geringe Episodenzahlen, denn da kommen die ganzen kapitalen Flops zusammen, die oft nach der dreizehnten Episode nicht mehr weiterproduziert wurden. Je höher man in den Episodenzahlen geht, desto weniger Serien, die damit abgesetzt wurden, müsste man finden. Wenn es aber die 100-Episoden-Regel gibt, wäre sie hier zu entdecken, denn dann müsste die Zahl der abgesetzten Serien mit knapp weniger als 100 Episoden ungewöhnlich niedrig und die mit gut hundert Episoden außergewöhnlich hoch sein. Zieht man die Absetzungen der letzten Upfronts heran, sieht man, dass dem nicht so ist:



Zum Vergleich hab ich in blassrot eingezeichnet, was für ein Kurvenverlauf mit obiger Überlegung zu erwarten gewesen wäre. Paradoxerweise sammeln sich offenbar sogar die Serien, die knapp unterhalb der 100 eingestellt wurden. «My Name is Earl» gehört mit 96 Episoden dazu, «Medium» mit 95 - wurde dann allerdings von CBS fortgeführt - und «Everybody Hates Chris» mit 88. Sie alle hätten selbst mit einer weiteren Halbstaffel die 100 geknackt. Es gibt übrigens genügend Beispiele für Serien mit bedeutend weniger Episoden, die in der Syndication zum Erfolg wurden. So kam es überhaupt erst zur «Battlestar Galactica»-Neuauflage durch den anhaltenden Kult der Originalserie in der Syndication. Und die kam zusammen mit ihrem ungeliebten Spinoff «Galactica 1980» gerade einmal auf 31 Folgen.

Auch die erste «Star Trek»-Serie hat mit 79 Episoden seinen Kult in der Syndication fortgelebt und so erst die Existenzgrundlage seiner späteren Spinoffs geschaffen, unter anderem eben «Enterprise». Das wurde nach der 98. Episode zum Schrecken vieler Fans übrigens abgesetzt.

Oft steckt mehr hinter den Zahlen des TV-Geschäfts als man auf den ersten Blick sieht. Oder weniger. Statistisch gesehen nimmt sie unter die Lupe.
07.05.2010 08:26 Uhr Kurz-URL: qmde.de/41819
Stefan Tewes

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Statistisch gesehen

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