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«Schlüter sieht's»: «Glee», der neue US-Serienhit

In den USA ist die Serie «Glee» schon ein Mega-Erfolg. Bald wird auch Deutschland mit dem Glee-Virus infiziert…

Im für die meisten US-Sender in puncto Neustarts wenig erfolgreichen Fernsehjahr 2009/10, das vornehmlich von Flops geprägt war, sticht ein Überraschungserfolg heraus, der eigentlich verdammt war, zu scheitern: «Glee» nennt sich dieser TV-Hit, den die amerikanische Fernsehnation so beschäftigt wie kein zweites Format. Am Dienstag kehrte «Glee» nach einer viermonatigen Pause mit den restlichen Folgen der ersten Staffel auf die Bildschirme zurück – mit einem Paukenschlag: Über 13,5 Millionen schalteten ein und bescherten der Serie einen neuen Reichweiten- und Marktanteilsrekord. Aber worum geht es in dieser Sendung mit dem komischen Titel überhaupt?

«Glee» könnte als Genremix aus Musical, Comedy und Drama am besten beschrieben werden. Der Titel der Show entstammt dem amerikanischen „Glee Club“, einer Institution, die in vielen US-Schulen zu finden ist: Der „Glee Club“ bezeichnet einen Club voller Schüler, die musizieren und eine eigene Band unter der Leitung eines Lehrers aufstellen. In der Serie passiert genau dies: Der junge Pädagoge Will Schuester engagiert sich für die Revitalisierung des Glee Clubs an seiner Schule und stellt ein Team aus jungen, ambitionierten Teenagern zusammen. Dass sie an ihrer Highschool zu den Losern gehören, stört Schuester wenig – bis die Hänseleien und Konflikte Überhand nehmen. Er schafft es jedoch, den Quarterback des hiesigen Football-Teams als Mitglied des Clubs zu gewinnen und damit dessen Ansehen zumindest vorübergehend zu steigern. Doch weitere Konflikte zwischen der angesagten Schüler-Elite und den singend-jaulenden Losern sind im Laufe der Staffel vorprogrammiert. Noch brisanter werden die Streitigkeiten durch die persönliche Fehde zwischen Schuester und Sue Sylvester, der Trainerin des Cheerleader-Teams, die ihn als Rivalen ansieht.

Dieser Plot schafft die Grundlage für ein Feuerwerk an skurriler Fernsehunterhaltung, von der man als Zuschauer zunächst nicht weiß, was man von ihr halten soll: Beim Betrachten der ersten Folge von «Glee» fragt man sich ob der komödiantischen Situationen oft, ob sie wirklich so gewollt sind oder ob hier einfach nur unfreiwillig abgrundtief schlechtes Fernsehen produziert wurde. Nach einigen Folgen wird dann klar, dass die Serie den Spagat zwischen ernstzunehmendem Drama und komödiantischer Satire so sensationell schafft wie keine Sendung zuvor. Das Format nimmt sich selbst nicht wirklich ernst und parodiert nicht nur die übermäßig kitschig-pittoresken «High School Musical»-Filme, sondern das gesamte Genre der Teenie-Serien. «Glee» ist «High School Musical» auf Kick-Ass-Droge, gesetzt mit einem Schuss ernstzunehmender Dramatik. Jeder, der die Disney-«High School Musicals» verabscheute, sollte bei «Glee» erst recht einschalten.

Im englischen Original steigern sich die Dialoge – besonders in den Konfliktszenen – zu pointierten Höchstleistungen gepaart mit einem bissigen Wortwitz, der seinesgleichen sucht. Dass es bei all der Satire auch um verzweifelte Liebe, narzisstische Star-Allüren, finanzielle Probleme und mehr geht, ist selbstverständlich bei einer Serie, in der auch Jugendliche eine große Rolle spielen. Im Vordergrund stehen neben dem High-School-Alltag aber der Glee Club und die Performances seiner Mitglieder. «Glee» nimmt sich Zeit für Lieder und ist damit einmalig in der TV-Landschaft: Die Gesangseinlagen und Choreographien der Schüler sind meisterhaft auf dem Bildschirm dargestellt und erfordern wochenlanges Training. Dass bisher ausschließlich mehr oder weniger bekannte Songs aus der Pop-, Rock- und Hiphop-Szene gesungen werden, macht «Glee» noch interessanter und zugänglicher. Qualitativ auf höchstem Niveau sind die Songs auch deswegen, weil die Schauspieler explizit nach ihrer Gesangsfähigkeit gecastet wurden. Mit der Hauptdarstellerin Lea Michele hat man eine erfolgreiche Broadway-Schauspielerin gewonnen, die vor der Serie in Musicals ihr Können bewiesen hat. Doch der gesamte Cast weiß ausnahmslos zu überzeugen.

In den USA ist «Glee» also das Phänomen der aktuellen TV-Saison, eine zweite Staffel ist längst beschlossen. Dem ausstrahlenden Network FOX bringt der große Erfolg gleich mehrfache Einnahmemöglichkeiten: Denn noch erfolgreicher als im Fernsehen ist «Glee» in den (digitalen) Plattenregalen. Bis November 2009 wurden die in der TV-Show gesungenen Songs über zwei Millionen Mal bei iTunes heruntergeladen. In den Top 100 hatten die Glee-Sänger im Jahr 2009 ganze 25 Songs – dies schafften zuletzt die Beatles mit 31 Liedern im Jahr 1964. Bisher wurden zwei CD-Compilations veröffentlicht. Und ab Mai gehen die «Glee»-Schauspieler in den USA auf eine Sommer-Tour und performen ihre Songs live auf der Bühne – eine Einnahmequelle für FOX, die bei keiner anderen Show gegeben ist.

Wann also bricht in Deutschland unter den jungen Fans das «Glee»-Fieber aus? Hierzulande werden sich die Zuschauer noch gedulden müssen. Die RTL-Gruppe hat durch einen Deal mit dem US-Sender FOX das Vorkaufsrecht auf die Serie, bisher hat man jedoch noch nicht zugeschlagen. Sicherlich weiß RTL um das Erfolgspotenzial der Musical-Dramedy, doch das programmliche Umfeld passt nicht. «Glee» ist eine Serie, die für einen Sender wie ProSieben geschaffen ist. In den USA wurde das Format anfangs nach «American Idol», der US-Version von «DSDS», gesendet und dort zum Publikumshit. Die Chance, «Glee» im Umfeld der erfolgreichen RTL-Castingshow auszustrahlen, hat RTL verspielt. Ein weiteres Szenario wäre ein Programmplatz bei VOX im Sommer, wenn dort die neue Castingshow «X-Factor» mit großen Erwartungen startet. Das Risiko ist jedoch groß, denn wenn diese floppt, dann wird «Glee» vielleicht ebenfalls zum Misserfolg. Wahrscheinlich ist ein Verkauf der Serie an ProSieben, wo sicherlich großes Interesse besteht. Aber gleich wo die Show am Ende läuft: «Glee» ist sehenswert, weil es so anders, weil es so bitterböse und ergreifend zugleich ist. Selten war eine Serie so stimmig wie diese.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
15.04.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/41345
Jan Schlüter

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