Ob das Geschehen vor der Leinwand, auf der Leinwand oder hinter den Kulissen: Unser Filmkolumnist richtet sein waches Auge auf die Filmkultur und lässt uns wissen, was er von den Ereignissen rund ums Kino hält.
Ende Januar wurde bekannt, was schon lange zu befürchten galt, aber niemand wirklich glauben wollte: Die Walt Disney Company schloss die Miramax-Studios, das führende Independent-Label der 90er Jahre.
Seinen Anfang nahmen die Miramax-Studios als Vertrieb von nicht-amerikanischer Filmen mit Arthouse-Charakter sowie unabhängiger US-Produktionen, zumeist mit sehr kontroversen Themen. Mit der Zeit begann das 1979 von Bob & Harvey Weinstein gegründete und nach ihren Eltern benannte Label damit, selbst Spielfilme zu produzieren. Erstes größeres Medieninteresse erweckte Miramax mit mehreren Streitereien mit der MPAA (dem US-Äquivalent der FSK) sowie der Dokumentation «Der Fall Randall Adams» über einen zu Tode verurteilten Gefängnisinsassen, dessen Fall aufgrund des Films neu aufgerollt wurde. Infolge dieser neu aufgenommenen Untersuchungen wurde seine Unschuld bewiesen und es kam zur Revision des Justizirrtums durch Freispruch. Durch Arthouse-Kassenschlager wie «Mein linker Fuß», «Crying Game» oder «Das Piano» und unerwartet erfolgreiche Kultfilme wie Steven Soderberghs «Sex, Lügen und Video», Quentin Tarantinos «Reservoir Dogs» und «Pulp Fiction» und Kevin Smiths «Clerks» manifestierte sich Miramax’ Rolle im Independent-Bereich zunehmend.
Miramax’ Erfolgsgeschichte erhielt 1993 durch die Übernahme seitens des Disney-Konzerns einen Vorwärtsschub. Der Disney-Konzern sicherte sich die Vertriebsrechte an sämtlichen Miramax-Projekten um sich in bislang vom Konzern unberührte Marktnischen voranzutasten und seine Rechtepakete für Fernsehsender durch das breitere Angebot attraktiver zu gestalten. Um das Erfolgsmodell Miramax weiter zu fördern, behielten die Weinsteins ihre freie Entscheidungsgewalt und erhielten jährlich eine große Finanzspritze vom Mutterkonzern, die zur freien Verfügung für eigene Produktionen und den Rechtekauf an fremden Kinofilmen genutzt werden durfte.
Nach dieser ungewöhnlichen Vereinigung eines Familienkonzerns und eines äußerst eigenwilligen Independentlabels brachte Miramax solch unterschiedliche Filme wie Brandon Lees letzten Film «The Crow», Woody Allens «Geliebte Aphrodite», Robert Rodriguez’ und Quentin Tarantinos «From Dusk Till Dawn», «Trainspotting», die italienische Produktion «Il postino - Der Postmann» und das Oscar-prämierte Drama «Good Will Hunting» in die Kinos. Miramax wurde zum Vorbild vieler anderer Arthouse-orientierter Tochterstudios großer Filmkonzerne (darunter Fox Searchlight) und schwing sich zu einem ernsthaften Spieler im alljährlichen Oscar-Rennen empor. Nach dem Überraschungssieg von «Der englische Patient» in der Hauptkategorie der Academy Awards wurden die von Harvey Weinstein geführten Oscar-Kampagnen zunehmend aggressiver und die Miramax-Studios suchten immer gezielter Oscar-taugliche Projekte aus. Das Geschäft mit dem Preissegen wurde für das Independentstudio immer bedeutsamer und gipfelte 1999 in einem heiß diskutierten Oscar-Regen für «Shakespeare in Love» der unter anderem «Der Soldat James Ryan» in der Kategorie “Bester Film” ausstach. Auch kommerziell stieg Miramax weiter auf. Nicht nur, dass man anhand von Filmen wie «Pulp Fiction» lernte, wie Non-Mainstreamfilme einem weiten Publikum nahe gebracht werden können, mit den über das Tochterstudio Dimension Films vertriebenen Produktionen wie der «Scream»-Trilogie, den Horrorparodien des «Scary Movie»-Franchises oder der unter dem Miramax-Namen veröffentlichten High-School-Komödie «Eine wie keine» brachte man auch immer massentauglichere Filme ins Kino.
Nach der Jahrtausendwende begann es zwischen den Weinsteins und dem damaligen Disney-Vorsitzenden Michael Eisner heftig zu kriseln. Mit Michael Eisner und Harvey Weinstein gerieten zwei große Egos aneinander und ein Kritikpunkt jagte den nächsten. Eisner war mit den Weinsteins unzufrieden, weil Disney aufgrund der Miramax-Filme «Der Priester» und «Dogma» von erzkonservativen, katholischen Vereinigungen boykottiert wurde und weil Harvey Weinstein in seinem Oscarrausch immer weiter ausufernde Budgets genehmigte, um mit gewaltigen Drama-Epen noch mehr Preise abzuräumen. «Unterwegs nach Cold Mountain» beispielsweise erhielt ein Budget von über 80 Millionen Dollar und Martin Scorseses «Gangs of New York» kratzte beinahe an der 100-Millionen-Dollar-Marke, ohne am Ende auch nur einen einzigen Oscar zu gewinnen. Außerdem war man nicht mit den von Bob Weinstein produzierten B-Movies für das “Dimension Film“-Label zufrieden, da Filme wie «Dracula 2000» oder die «Hellraiser»-Reihe weder viel Geld, noch Prestige einbrachten. Die Weinsteins wiederum waren erbost darüber, das Michael Eisner ein langjährig behütetes Projekt der Weinsteins aufgrund vermeintlicher Unrentabilität blockte: Eine «Der Herr der Ringe»-Verfilmung von Peter Jackson.
Zum öffentlichen Bruch kam es dann im Jahr 2004, als Eisner den Weinsteins verbat Michael Moores «Fahrenheit 9/11», für dessen Produktion sich die Brüder sehr engagierten, unter dem Miramax-Label zu veröffentlichen. Die Weinsteins suchten einen unabhängigen Verleih für die filmische Kritik an George W. Bush und verließen im September 2005 die Miramax-Studios, weil der Frieden zwischen ihnen und Eisner trotz solcher Erfolge wie «Sin City» oder «Kill Bill» nicht wieder hergestellt werden konnte.
Mit ihrer Abfindung gründeten die Weinsteins ein neues Studio, welches allerdings dank zahlreicher Fehlinvestitionen früh an den Rand des Ruins gesteuert wurde, obwohl einstige Miramax-Zöglinge wie Kevin Smith, Quentin Tarantino und Robert Rodriguez aus Treue zu den Weinsteins den Weg zur The Weinstein Company gingen, statt für die von Disney weitergeführten Miramax-Studios zu arbeiten. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten mussten die Weinsteins beispielsweise die Blu-ray-Rechte am von ihnen koproduzierten «Inglourious Basterds» verkaufen. Miramax geriet indes früh aus dem Fokus der neuen Disney-Geschäftsführung, nachdem Eisner unter anderem wegen seiner schlechten Politik mit Geschäftspartnern wie den Weinsteins oder den Pixar-Studios entlassen wurde. Obwohl Miramax weiter bei den Oscars repräsentiert war («Die Queen», «No Country for Old Men» und «There Will Be Blood») und einige solide Erfolge produzierte, kürzte man den Studios immer weiter die finanziellen Möglichkeiten. Die Zeit des rentablen Independentkinos sei vorbei, behauptete die Geschäftsführung. Währenddessen gewann Fox Searchlights «Slumdog Millionär» acht Oscars.
Letzten Monat war dann endgültig Schluss, die Miramax-Studios wurden geschlossen und der Markenname steht zusammen mit dem gesamten Filmarchiv für 700 Millionen Dollar zum Verkauf. Das zu keinem Hollywood-Mayor gehörende Studio Summit Entertainment, die Firma hinter «Twilight», zeigt Interesse. Geld genug dürfte man ja haben. Und, Disney, halte dich fest, Erfahrung mit Erfolg hat dieses Independent-Studio auch. Und sobald es lernt, mit Filmen umzugehen, die auch den Arthouse-Geist versprühen, dann beißt ihr euch sonstwo hin. Selbst Schuld!