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Die größten TV-Ereignisse aller Zeiten: Wimbledon 1985

Im nächsten Teil der Quotenmeter.de-Reihe über die größten Fernsehereignisse geht es auf den grünen Rasen im Südwesten Londons, als im Jahr 1985 ein 17-Jähriger namens Boris Becker als erster Deutscher das Tennisturnier von Wimbledon gewann und ein ganzes Land in Euphorie versetzte.

Spiel, Satz und Sieg


Die Bausteine für die große Tenniskarriere Boris Beckers werden schon in seiner frühen Jugend gelegt. Sein Vater Karl-Heinz Becker gründete und baute im Jahr 1964 in seinem Wohnort Leimen bei Heidelberg den Tennis-Club Blau-Weiß Leimen, in dem der junge Becker das Spiel schon in seinen ersten Jahren lernt. 1984, mit 16 Jahren, wird Becker professioneller Tennisspieler und erreicht in seinem ersten Jahr auf der Tour gleich seinen ersten Titel in München. Im Juni 1985 kann er in Queens, London sein erstes größeres Tennisturnier gewinnen. Schon zu diesem Zeitpunkt muss erahnt werden, dass Becker ein Überraschungserfolg beim kommenden Wimbledon Grand Slam gelingen könnte.

Gestärkt durch den Sieg in Queens erhält Becker als ungesetzter Spieler die Chance, in Wimbledon 1985 anzutreten. Das Teilnehmerfeld ist allerdings so beeindruckend wie schwer: Zu den gesetzten Spielern gehören Namen wie John McEnroe, Ivan Lendl, Jimmy Connors, Stefan Edberg und Mats Wilander. In der ersten Runde des Turniers verliert Becker seinen allerersten Satz gegen den US-Amerikaner Hank Pfister mit 6:4. Doch in den kommenden drei Sätzen kann Becker sein Potenzial abrufen und gewinnt das Spiel, zieht in die nächste Runde ein. Dort gewinnt er gegen Matt Anger locker in drei Sätzen.

Die dritte Runde soll über Beckers Zukunft entscheiden: Mit Joakim Nyström spielt er gegen den an Nr. 7 gesetzten Spieler – also den formell siebtbesten Teilnehmer des Turniers. Becker steht im vierten Satz am Rande einer Niederlage, als Nyström zuvor den zweiten Satz im Tiebreak und den dritten souverän mit 6:1 gewonnen hat. Doch gerade die psychologische Stärke Beckers ist es, die ihn von anderen Spielern schon zu diesem Zeitpunkt unterscheidet. Er gewinnt den vierten Satz knapp und erkämpft sich einen Sieg im letzten Satz mit 9:7 Spielen am Schluss – nach einem zwischenzeitlichen Matchball für Nyström. Gestärkt aus diesem für die gesamte Karriere wichtigen Sieg bezwingt er danach auch den an Nr. 16 gesetzten Timothy Mayotte in fünf Sätzen. Nun scheint Becker durch das Turnier zu schweben: Im Viertel- und Halbfinale kommt er in jeweils vier Sätzen weiter und steht nun im Finale gegen den an Nr. 8 gesetzten Südafrikaner Kevin Curren, welcher während des Turniers die großen Tennisnamen Jimmy Connors und John McEnroe, den Vorjahressieger, ausgeschaltet hat.

Die Favoritenkarte ist also klar verteilt, als es am 08. Juli 1985 zu dem Duell Becker-Curren kommt. Doch von Anfang an überrascht der junge Deutsche mit einem dominanten Spiel sowohl seinen Gegner als auch die Millionen von Zuschauern vor den Fernsehbildschirmen. Das Match ist von Feindseligkeit geprägt, Becker provoziert immer wieder. Nach erstem Satzgewinn kämpft sich Curren zurück in das Match und gewinnt den zweiten Satz im Tiebreak. Doch das für seinen Gegner unglaublich anstrengende Spiel von Becker mit perfektem Serve-and-Volley-Spiel, kräftigen Aufschlägen und Schnelligkeit setzt sich schließlich durch. Er gewinnt das Turnier symbolisch mit einem Aufschlags-Ass und markiert den wichtigsten Sieg seiner Karriere. Millionen von Zuschauern feiern den 17-jährigen Außenseiter, der als jüngster Spieler, erster Deutscher und als erster ungesetzter Spieler überhaupt das prestigeträchtige Wimbledon-Turnier gewinnt.

Deutschland – einig Tennisland


Als Boris Becker am 07. Juli 1985 um 18.26 Uhr den Matchball gegen Kevin Curren verwandelte, hatte Deutschland einen neuen Sportlermythos gefunden. Bisher eher eine Randsportart, wird Tennis nun zum geliebten Volkssport – Unmengen von Tennisplätzen-, -hallen und –vereinen schießen im ganzen Land aus dem Boden und von nun an sitzen bei Beckers Spielen Millionen von Menschen vor den Fernsehern und fiebern mit. Die späteren deutschen Spitzenspieler Michael Stich und Steffi Graf tun ihr übriges, um die deutsche Tenniseuphorie endgültig zu entfachen und jeden im Fernsehen übertragenen Grand Slam zum großen Sportevent werden zu lassen.

Das finale Wimbledon-Match im Jahre 1985, mit dem alles anfing, sahen in Deutschland elf Millionen Zuschauer. Als Becker, Graf und Co. in der Tennis-Weltspitze etabliert waren, versammelten sich oft über 15 Millionen Menschen vor den Bildschirmen – und sie wurden nicht enttäuscht, denn deutsche Tennisprofis mischten viele Jahre lang in der Weltspitze mit. In den USA brachte das Endspiel 5,69 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 17 Prozent, obwohl kein US-Amerikaner im Endspiel stand. Bis heute konnte diese Marke kein Wimbledon-Finale mehr erreichen. Viele Jahre lang war Tennis die beliebteste Sportart Deutschlands hinter dem Fußball. Die Fernsehübertragungen waren in den 90ern sogar so begehrt, dass die Pay-TV-Plattform Premiere sich u.a. für das Wimbledon-Turnier die Rechte sicherte. Die fehlenden Erfolgserlebnisse in jüngerer Zeit bei deutschen Spielern haben den Tennissport – zumindest auf den Bildschirmen – wieder zu einer Randsportart verkommen lassen. Das DSF und Eurosport zeigen mittlerweile die meisten Turniere im frei empfangbaren Fernsehen. Es braucht wieder einen neuen Mythos. Einen wie Becker, der das ganze Land wieder in die Euphorie rund um den gelben Filzball versetzen kann.
27.01.2010 09:36 Uhr Kurz-URL: qmde.de/39839
Jan Schlüter

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Wimbledon

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