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«Schlüter sieht's»: Scherbenhaufen Sat.1

Guido Bolten muss den Sat.1-Chefposten räumen. Ein Rück- und Ausblick: Was wird aus Pocher und Kerner?

Dass Sat.1 sich so schnell von seinem Chef Guido Bolten trennt, der nur etwas mehr als ein Jahr im Amt war, hat die Medienbranche am Mittwoch mit Überraschung aufgenommen. Zwar war seit einigen Wochen bekannt, dass die Sat.1-Chefredakteurin aufgrund der bisher schlechten Quoten des „neuen Sat.1“ möglicherweise ihren Posten räumen muss, aber Bolten selbst stand als Senderchef zumindest öffentlich nicht zur Disposition. Es gab weder Gerüchte noch Aussagen anderer Bosse der German Free TV Group, welche dem Sender übergeordnet ist, die auf eine Entlassung hindeuteten.

Im Gegenteil wurde eher mit einem langfristigen Engagement Boltens gerechnet, der eine verloren geglaubte Philosophie ins Privatfernsehen zumindest ansatzweise zurückbrachte. Er wollte Sat.1 wieder als Marke etablieren und schaffte es mit teuren Millionendeals, die TV-Stars Johannes B. Kerner und Oliver Pocher anzuheuern. Sat.1 sollte nicht mehr für günstiges Trash-Programm stehen, sondern für Premium-Fernsehen – wortwörtlich auf Kosten der Wirtschaftlichkeit, denn teures Programm braucht gute Quoten. Die hatte Bolten allerdings nie.

Die Liste der prominenten Flops ist lang: Johannes B. Kerners neue Show lief unter allen Erwartungen und holte anfangs am Montag solch desaströse Quoten, die selbst eine Wiederholung von «Barbara Salesch» wohl nicht hätte unterbieten können. Auch Pochers Comedy am Freitag ist bisher ein Quotenflop. Angesichts der hohen Kosten der Show ist dies also eine weitere Baustelle, die Bolten zu verantworten hat. Die von Sabine Christiansen und Stefan Aust moderierten Polit-Talkshows vor der Bundestagswahl waren ein Marktanteilsdesaster. Die neue Telenovela «Eine wie keine» schafft es auch in der fünften Woche nicht auf akzeptable Zuschauerzahlen und verbucht im Gegenteil Negativ-Rekorde – die Quoten der folgenden Vorabendformate fielen durch die neue Programmierung ebenfalls. Und die großen Freitags-Shows wie «Die beste Idee Deutschlands» oder das Live-Spektakel «Yes we can Dance» gehörten zu den größten Flops des Jahres 2009.

Niemand kann sagen, dass Bolten es nicht versucht hätte. Niemand hätte erahnen können, dass sonstige TV-Lieblinge wie Kerner und Pocher so eklatant beim Sat.1-Publikum durchfallen. Boltens neues Primetime-Programm war teuer produziert, erreichte jedoch genauso schlechte oder oft schlechtere Quoten als die vorherigen Formate auf den Sendeplätzen, die teils sogar aus Wiederholungen bestanden. Dass Bolten nun also gehen muss, ist wirtschaftlich keine Überraschung. Damit kappen Sat.1 und die German Free TV Group allerdings auch indirekt die Philosophie, mit gutem und teurem Programm auch wieder gute Zuschauerzahlen erreichen zu wollen.

Im Interview mit Quotenmeter.de sagte einst Constantin-Geschäftsführer Otto Steiner: „Der neue Geschäftsführer Guido Bolten scheint sich von vielen alten Marken lösen zu wollen und der Sat.1-Primetime so ein vollkommen neues Gesicht zu geben.“ Bolten wurde nicht die Zeit gelassen, seinen Plan zu verwirklichen. Immerhin hat er es geschafft, Sat.1 als Marke mit Sendergesichtern wie Kerner und Pocher in den Köpfen vieler Zuschauer zu verankern. Dass der Prozess der Erneuerung allerdings seine Zeit dauert, um erfolgreich zu sein, ist logisch. Geduld ist allerdings das Element im aktienkursbestimmten Fernsehgeschäft, das niemand hat. Da machte Bolten letztlich keine Ausnahme.

Zunächst übernimmt Andreas Bartl, auch Chef der German Free TV Group, den Chefposten von Sat.1. Der neue Geschäftsführer findet nun mehr Baustellen vor als vor Boltens Antritt. Denn die teuren TV-Stars Pocher und Kerner müssen bald gute Quoten einfahren. Kein Aktionär wird sich lange ansehen, wie die Moderatoren drei Jahre lang laut Vertrag bezahlt werden und fast niemand ihre Sendungen schaut.

Faktisch heißt dies: Die Shows von Pocher und Kerner stehen nun, da es einen neuen Senderchef gibt, auf dem Prüfstand. Die Medienbrache weiß, dass Guido Bolten persönlich die beiden TV-Gesichter zu Sat.1 gebracht hat; er war die Vertrauensperson, mit der Pocher und Kerner ihre Verträge unterzeichnet haben. Dass es nun also zu einer erneuten administrativen Umstrukturierung auf den Managerposten kommt, dürften die Moderatoren sicherlich nicht mit Freude aufgenommen haben. Als Ex-Sat.1-Chef Martin Hoffmann im Jahre 2003 den Sender verlassen hat, gab auch Harald Schmidt seine erfolgreiche Late-Night-Show in Sat.1 ab. Es gab damals Spekulationen, dass die Entlassung Hofmanns mit der „Kreativpause“ Schmidts eng zusammenhing, weil dieser sich von einem neuen Geschäftsführer nichts diktieren lassen wollte und mit Hoffmann befreundet war.

Andreas Bartl, der das Amt anscheinend nur kommissarisch leiten will, bevor ein eigener Senderchef gefunden wird, wird womöglich keine großen Programmanpassungen vornehmen, sodass mit vielen neuen Formaten aus dem Hause Sat.1, wie es zuletzt bei Bolten der Fall war, vorerst nicht zu rechnen ist. Diese dankenswerte Aufgabe bleibt dem künftigen Sat.1-Chef überlassen, der erneut einen programmlichen Scherbenhaufen vorfindet. Wir wissen nun: Nicht viel mehr als ein Jahr wird er Zeit haben, den magischen Kitt zu finden, um diese Scherben wieder zusammenzukleben.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.
14.01.2010 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/39573
Jan Schlüter

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Schlüter siehts

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