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Die Kino-Kritiker: «Das Kabinett des Dr. Parnassus»

Heath Ledgers letzter Film ist ein eigentümliches Fantasy-Märchen mit leichten Storyschwächen.

Die Meldung über den plötzlichen Tod des australischen Schauspielers Heath Ledger im Januar 2008 erschütterte nicht nur dessen Familie und Freunde, sondern auch Fans und Sympathisanten weltweit. Nach so erinnerungswürdigen Auftritten in Filmen wie «10 Dinge, die ich an dir hasse» (1999) oder «Ritter aus Leidenschaft» (2001) empfahl er sich im Alter von gerade einmal 26 Jahren vor allem mit der oscarnominierten Darstellung eines homosexuellen Cowboys im Drama «Brokeback Mountain» (2005) für bedeutendere und anspruchsvollere Rollen. Umso bedauerlicher, dass es Ledger nicht mehr vergönnt war, seine größte Anerkennung selbst mitzuerleben. Für die grandiose Verkörperung des Jokers in Christopher Nolans Batman-Thriller «The Dark Knight» erhielt der Australier postum einen Oscar als bester Nebendarsteller. Zwei Jahre nach Ledgers Tod steht nun mit «Das Kabinett des Dr. Parnassus» der letzte Film in den Startlöchern, der unter seinem Mitwirken entstanden ist. Das skurrile Fantasy-Märchen von Regisseur Terry Gilliam ist dabei ein durchaus würdiger, wenn auch etwas überladener Abschluss einer viel zu früh geendeten Filmkarriere geworden.

Erzählt wird die wundersame Geschichte des mit seinem altmodischen und wenig beliebten Wandertheater umherziehenden Doktor Parnassus (Christopher Plummer), dem einst der Teufel in Gestalt des ominösen Mr. Nick (Tom Waits) Unsterblichkeit gewährte. Als Gegenleistung sicherte Parnassus diesem jedoch die Seele seines Kindes zu, sobald es seinen 16. Geburtstag erreichte. Da jener Moment für Parnassus’ unwissende Tochter immer näher rückt, schlägt Mr. Nick eine Wette vor. Falls es dem Doktor gelingen sollte, fünf Seelen schneller für sich zu gewinnen als der Teufel höchstpersönlich, dürfte er seine Tochter behalten. Fortan versucht der vom Alter gezeichnete Mann verzweifelt dieser schwierigen Aufgabe nachzukommen. Dabei trifft er auf den mysteriösen Tony (Heath Ledger), von dem er sich bald die dringend benötigte Hilfe verspricht.

Die Produktionen des Regisseurs und früheren Monty-Python-Mitglieds Terry Gilliam standen mehr als einmal unter einem schlechten Stern. Neben den katastrophalen Komplikationen, welche die Arbeit an dem Film «The Man Who Killed Don Quixote» im Jahre 2000 zum Erliegen brachten, hatte Gilliam immer wieder enorme Schwierigkeiten, das nötige Geld für seine Werke aufzutreiben. Und das auch noch nach so ansehnlichen Erfolgen wie «König der Fischer» (1991), «12 Monkeys» (1995) und «Fear and Loathing in Las Vegas» (1998). Als mit Heath Ledger noch während der Dreharbeiten zu «Das Kabinett des Dr. Parnassus» einer der Hauptdarsteller verstarb, stand auch dieses Projekt kurz vor dem Aus. Nach vorläufigem Abbruch der Dreharbeiten entschloss sich Gilliam letzten Endes jedoch dazu, das Drehbuch umzuschreiben, um seinen Film doch noch fertigstellen zu können. Die Änderungen ermöglichten es auch, Ledgers Figur in den noch ausstehenden Szenen von anderen Darstellern verkörpern zu lassen. Keine geringeren als Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell erklärten sich dazu bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Die Gastauftritte funktionieren dabei trotz ihrer Kürze erstaunlich gut und lockern den Film dank der Spielfreude der drei talentierten Mimen immer wieder unterhaltsam auf. Hätte man den Besetzungscoup im Vorfeld jedoch geheim gehalten, wäre der Effekt sicher noch um einiges interessanter ausgefallen.

Auch wenn sich die jeweiligen, neu besetzten Szenen stimmig in das Gesamtbild einfügen, weisen sie doch stets indirekt darauf hin, dass man eigentlich Heath Ledger vor sich haben sollte. Zusammen mit dem an mehreren Stellen thematisierten Tod ist es daher nur sehr schwer, die Tatsache auszublenden, dass es sich bei dem Gezeigten um Ledgers letzte Arbeit handelt. Und so steigert sich die ohnehin schon recht melancholische Grundstimmung des Films durch eine sehr eigenwillige tragische Note, die sich über die gesamte Länge des Werks bemerkbar macht. Dass es Ledger erneut gelungen ist, eine äußerst einnehmende Performance abzuliefern, lindert diesen Eindruck auch nicht gerade. Dabei hatte er aufgrund seiner Rolle jedoch dieses Mal nicht die Möglichkeit, eine alles andere überstrahlende Glanzleistung wie in «The Dark Knight» zu vollbringen, steht die Figur des Tony doch auch nicht derart im Mittelpunkt des Geschehens wie die des psychopathischen Superschurken Joker in besagtem Batman-Film. «Das Kabinett des Dr. Parnassus» ist vielmehr ein Zusammenspiel eines durchweg überzeugenden Schauspielerensembles. Insbesondere den älteren Eisen Christopher Plummer («12 Monkeys», «A Beautiful Mind») und Tom Waits («Bram Stoker’s Dracula», «Coffee & Cigarettes») gelingt es, in der Darbietung ihres ewig währenden Duells und der gegenseitigen Hassliebe einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Nicht zuletzt den Darstellern ist es zu verdanken, dass der Zuschauer über die Laufzeit von rund zwei Stunden gewillt ist, dem Geschehen auf der Leinwand zu folgen. Denn die vielschichtige Handlung nimmt mitunter doch recht abstruse Züge an, die aufgrund ihrer schweren Nachvollziehbarkeit nicht jedermanns Sache sein dürften. Terry Gilliam hat einmal mehr seiner überbordenden Fantasie freien Lauf gelassen und denkt nicht einmal im Traum daran, die märchenhaften und abgedrehten Geschehnisse groß zu erklären. In der von ihm geschaffenen Welt sind die Dinge einfach so, wie sie sind und wer dies akzeptiert, kann zweifellos auch Gefallen daran finden. Wie so oft bei Terry-Gilliam-Filmen wird dem Kinobesucher in Folge der etwas konfusen und verworrenen Story auf jeden Fall auch einiges an Denkarbeit sowie eigener Interpretation abverlangt. Und das obwohl der Regisseur selbst betonte, dass sein neuestes Werk nach den notgedrungenen Drehbuchänderungen nun gar weniger komplex und subtil daherkommt als ursprünglich geplant.

Auch auf visueller Ebene trägt «Das Kabinett des Dr. Parnassus» eindeutig die Handschrift des exzentrischen Filmemachers. Bei den gewohnt ungewöhnlichen Kamerawinkeln und Perspektiven fühlen sich Fans von «Brazil» oder «12 Monkeys» von der ersten Minute an wohl. Zusammen mit der exzellenten Ausstattung trägt die eigenwillige Bildsprache ganz entscheidend zur dichten surrealen Atmosphäre des Films bei. Sein ganzes kreatives Potenzial kann er jedoch hauptsächlich in den ideenreich und ausgefallen gestalteten Fantasiewelten entfalten. Dabei dürften die dort massiv zum Einsatz kommenden Computereffekte die Gemüter der Zuschauer spalten. Einerseits können sie ihre Herkunft aus dem Rechner keineswegs verleugnen. Andererseits passt ihr unwirklicher und übertriebener Look aber durchaus zum Gesamtbild des Films, auch wenn die entworfenen Landschaften hier und da ein wenig zu steril wirken.

Vor allem angesichts der tragischen Vorfälle während des Produktionsprozesses ist «Das Kabinett des Dr. Parnassus» ein wahrlich interessantes Märchen geworden, das durch seine unglaublich fantasievolle Inszenierung eine ganz eigene Faszination ausüben kann. Leider trübt der etwas verwirrende Handlungsverlauf das Sehvergnügen ein wenig. Lässt man sich jedoch auf das skurrile Geschehen ein, bekommt man ein visuell berauschendes Abenteuer der etwas anderen Art präsentiert, das gekonnt die Balance zwischen tragischen und heiteren Momenten hält und dabei einmal mehr unter Beweis stellt, welch großer Verlust der Tod Heath Ledgers für die Filmwelt ist.

«Das Kabinett des Dr. Parnassus» ist seit 7. Januar in vielen deutschen Kinos zu sehen.
07.01.2010 09:44 Uhr Kurz-URL: qmde.de/39440
Markus Trutt

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Heath Ledger

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