Uwe Walter, Berater in Sachen Storytelling, sah sich die neue Kerner-Sendung an. Er zeigt auf, was bei der Premiere nicht gut war.
Seit Monaten fiebert die Fernsehwelt auf das große Herbstereignis zu: Wie wird sich das bewährte ZDF Urgestein Johannes Kerner bei Sat.1 bewähren?
Die Glaubhaftigkeit von Kerner ist gefragt
Kerner wirkte von Anfang an nervös, hatte nur wenig Ausstrahlung. Nicht unbegründet, denn Kerner hat durch den Wechsel ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Wer Kerner bei Sat.1 sieht, dem gehen jede Menge Fragen durch den Kopf: Warum hat er das ZDF verlassen? Was ist mit ihm los? Liebt er Talk wirklich? Für welche Themen steht er? Wer ist er wirklich? Diese Second Stories des Zuschauers hätte Kerner auflösen können, indem er seine Geschichte kurz thematisiert hätte. Die große Frage für alle ist, ob Johannes Kerner an seinen ZDF Erfolg anschließen kann. Talkmaster, deren Sendungen ihren eigenen Namen tragen, brauchen 100% Echtheit, damit man sie verehrt.
Überlebensgroße Herausforderung
Schon bald fällt auf: Der Ton ist asynchron – und das während der ganzen Sendung. Ein Albtraum für jeden Fernsehmacher, man versinkt im Boden. So was passiert, weil alle unter unbeschreiblichem Stress und Druck stehen. Ein Start aus dem Stehgreif von null auf brutto 110 Minuten: das ist ein gewaltiger Sprung, den das Team, die Redaktion und auch die Zuschauer mitmachen müssen. Dann der Sendeplatz am Montag, der zu den schwierigsten in der Fernsehwelt gehört. Und ein Sender, der sich gerade mehr als jedes deutsche Unternehmen komplett neu erfinden muss.
Sich orientieren an Fixsternen
Die Sendung strahlt im Moment eine Mischung aus fünf möglichen Erfolgsgenen aus. Ein Vorteil, aber auch ein Nachteil, weil wir eine einständige Sendung erwarten und keinen Klon:
- ZDF-Gen: Teile der ZDF-Sendung sind erhalten geblieben, wie das Late-Night-Desk und die Sitzordnung von links nach rechts. Das wirkt nicht eigenständig genug, sondern zu vorsichtig und kopiert.
- «Galileo»-Gen: Mit illustrativen Deko-Elementen soll der Nutzwert eines Gesprächs verstärkt werden. Das widerspricht aber der eigentlich klaren, nüchternen Clubatmosphäre.
- «Stern TV»-Gen: Der Aufbau des zweiten Gesprächsortes ähnelt «Stern TV», zwei bzw. drei Sessel vor einer Zuschauertribüne, dazu ein Beitrag plus Gespräch
- Verbraucher-Gen: Themenwahl zum Teil wie bei Verbrauchersendungen («Markt», NDR)
- Kerner-Gen
Der Markenkern ist noch unklar
Das Publikum ist bisher nur Bühnenbildbestandteil und nicht in die Sendung integriert. Es gibt eine stark einseitige Betonung von Verbraucher- und Servicethemen, die der eigentlichen Gala- und Studioatmosphäre sowie der eher steifen Anzugträgerschaft des JBK widerspricht. Der persönliche Nutzen für den Zuschauer ist in der ersten Sendung zu gering (ALDI-Arbeitsbedingungen, Stauland Deutschland). Dagegen ist der emotionale Unterhaltungswert der Sendung mehrfach hoch, zum Beispiel bei Mario Barth und Pascal Voggenhuber (Übersinnliches Sprechen mit Toten).
Die Themen sind noch recht dünn
A-Thema: Der Aufmacher war die ALDI-Story (leider oft gehört, wenig überzeugende Protagonistin, die in ihren Emotionen sehr blockiert wirkte). Interessanter schien der ehemalige Betriebsratsvorsitzende zu sein, der jetzt seinen Krieg mit ALDI führt.
B-Thema: Deutschland einig Stauland (interessante These, dass das Bundeskonjunkturprogramm zu Staus führt. Ansonsten wenig Neues und geringer Nutzen.)
C-Thema: Mario Barth
- Berufsbeginn mit 6 Zuschauern in einem Saal,
- Nachvollziehbare Paarproblemchen mit Freundin bei Stimmbandkrankheit und Esoterik-Gesundheitsurlaub,
- neue Comedy-Stadiontour
D-Thema: Lexikon der populären Rechtsirrtümer – Umsetzung spielerisch mit einem bekannten Rechtsanwalt, unter anderem aus «Akte».
E-Thema: Sprechen mit Toten
Noch ist die Sendung ein Themen-Hybrid und lebt von zwei Säulen (Verbraucher- und Unterhaltungsthemen).
Aller Anfang ist schwer
Immerhin, ein Anfang ist gemacht. Doch jetzt gilt es, eine eigenständige Sendung zu formen. Der Auftrag: Fesselnde und unterhaltsame Inhalte, bei denen Johannes B. Kerner in gewohnter Art brillieren kann. Noch ist unklar: Wird die Sendung, eine Magazinsendung, eine Gesprächssendung oder eine Show? Irgendwie ist alles angelegt, aber noch nichts entschieden. Der Zuschauer wird uns zeigen, was er liebt und welchen Weg er mitgeht. Doch letztlich liegt alles daran, ob Johannes Kerner, Sat.1 und das Team zu einer gemeinsamen, klar ausgerichteten Sendung finden. Wir drücken die Daumen und bleiben dran.
Uwe Walter (www.waltermedia.de) berät Medienschaffende im Bereich Storytelling. Zu seinen Kunden gehören Sender, Produktionsfirmen und Verlage genauso wie Redaktionen, Autoren, Regisseure und Schauspieler, die heute Fernsehen, Film und Print prägen.