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Die Kino-Kritiker: «Das weiße Band»
Mit «Das weiße Band» ist das neue, mit der Goldenen Palme von Cannes prämierte Drama von Michael Haneke auch endlich bundesweit in unseren Kinos zu sehen.
Die explizite Darstellung physischer Gewalt in Filmen ist heutzutage Gang und Gebe. Insbesondere im Horror- und im Thrillergenre scheinen sich die Regisseure in der Inszenierung exzessiver Gewaltorgien zu Unterhaltungszwecken stets gegenseitig übertreffen zu wollen. Dabei werden natürlich auch immer wieder kritische Stimmen laut, die sowohl von Zuschauern und Filmrezensenten als auch von Kontrollbehörden und Filmemachern selbst ausgehen. Unter all diesen schallt jedoch wohl keine so deutlich und eindrucksvoll heraus wie die des österreichischen Regisseurs Michael Haneke. Die zunehmend sinkende Hemmschwelle im Umgang mit Gewalt(darstellungen) anprangernd, demonstrierte der Autorenfilmer in Werken wie «Funny Games» (1997) oder «Die Klavierspielerin» (2001) wirkungsvoll Alternativen zur filmischen Auseinandersetzung mit solch einem heiklen Thema. So spielt sich die Gewalt bei Haneke vorwiegend auf psychologischer Ebene ab. Sie wird lediglich implizit angedeutet oder tritt nur akustisch, außerhalb der dem Zuschauer dargebotenen Einstellungen, in Erscheinung. Auch sein neues Drama „Das weiße Band“ bleibt diesem Prinzip treu und erreicht dabei erneut eine Intensität, die ihresgleichen sucht.
Die Handlung setzt im Sommer 1913 ein. In einem kleinen protestantischen Ort in Norddeutschland scheint die Dorfgemeinschaft unter der Autorität des Gutsherren (Ulrich Tukur) und der geistigen Führung des Pastors (Burghart Klaußner) ein friedliches und zufriedenes Leben zu führen. Beginnend mit einem Reitunfall des Dorfarztes (Rainer Bock), kommt es jedoch bald zu einer Reihe tragischer und rätselhafter Vorfälle. Dabei offenbaren sich nach und nach auch die Probleme und das gegenseitige Misstrauen unter den restlichen Bewohnern, deren wachsende Spannungen sich jederzeit zu entladen drohen.
Mit akribischer Genauigkeit und nüchternem Realismus zeichnet Michael Haneke in „Das weiße Band“ das äußerst authentische Bild einer Dorfgemeinschaft unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die bestimmt ist durch den streng geregelten formalen Umgang miteinander, die eiserne Wahrung christlicher Werte sowie das kühle, auf bloßen Gehorsam ausgerichtete Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Dabei gibt schon der Einstieg des Films dessen Ton und Tempo vor. Nach der schlicht gehaltenen Einblendung der Titel, die, wie der Rest des Films, ohne jegliche, außerhalb der Handlung verortete musikalische Untermalung auskommt, löst sich die erste Szene nur ganz allmählich vom Schwarz der Leinwand. Begleitet wird sie dabei von der rückblickend aus dem Off erzählenden Stimme eines älteren Mannes, der sich erst später als der damalige Lehrer des Dorfes zu erkennen gibt. Auch der Rest des Films folgt einer ruhigen und größtenteils altmodischen Inszenierung, die mit ihren kunstvollen Schwarz-Weiß-Bildern und langen Einstellungen der den gesamten Film dominierenden beklemmenden Atmosphäre sehr zuträglich ist. So fällt es dem Zuschauer nicht schwer sich von dem Geist der damaligen Zeit vollkommen einnehmen zu lassen.
Haneke gelingt es auch dank der fast durchweg grandios agierenden Schauspieler und der von ihnen vorgetragenen und vom österreichischen Filmemacher selbst verfassten brillanten Dialoge, die verstörenden Einzelschicksale derart eindringlich festzuhalten, dass es an manchen Stellen für den Zuschauer nur schwer erträglich ist. Gleichzeitig kommt dadurch aber auch trotz der betont gemächlichen Machart und einer Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden keine Langeweile auf. Dabei sind es vor allem die in ihrer Erziehung mit Züchtigung und Unterdrückung konfrontierten Kinder, die immer wieder in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Kinder, die schon 20 Jahre später zu der Generation gehören sollten, welche die Etablierung des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hauptsächlich mittrug. Das bewusst offen gehaltene Ende des Films mag nicht jedem gefallen, doch ist es gerade eine solche Unabgeschlossenheit, die dem Zuschauer zusätzlichen Interpretationsraum bietet und so zur weiteren Reflexion über das Gesehene anregt.
Mit seinem ersten deutschsprachigen Film nach zwölf Jahren entwirft Michael Haneke ein ebenso vielschichtiges wie bemerkenswertes Porträt einer Zeit, die von inneren Spannungen und einem Drang nach Veränderung geprägt war. Verdientermaßen gab es dafür bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme, die Auszeichnung für den besten Spielfilm des Festivals. Darüber hinaus hat «Das weiße Band» nun auch ernsthafte Chancen auf eine Nominierung für die im nächsten Jahr stattfindende Oscar-Verleihung, wurde die österreichisch-deutsch-französisch-italienische Koproduktion doch als deutscher Bewerber um einen Academy Award in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ eingereicht. Zu wünschen wäre dem ungewöhnlichen und aufwühlenden Drama eine Aufnahme in die Liste der Nominierten allemal.
«Das weiße Band» ist seit dem 15. Oktober 2009 in den deutschen Kinos zu sehen.
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• Das weiße Band
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