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«Schlüter sieht's»: Jackson unsterblich?

Der King of Pop ist tot. Warum hat dieses Thema die Medien in aller Welt so unvorhergesehen in Atem gehalten?

Michael Jackson ist tot – das hat mittlerweile fast jeder Mensch auf der Erde mitbekommen, der auch nur einen Fernseher oder eine Zeitung in Reichweite hat. Es wird so viel berichtet, dass einige Stimmen schon zur Mäßigung rufen. Die eigentliche Frage aber ist doch: Warum wurde Jacksons Tod in der vergangenen und in dieser Woche zum alles beherrschenden Medienthema? Die Antwort ist eigentlich so simpel wie kompliziert: Der „King of Pop“ hat sich im Laufe seiner Karriere von einem gefeierten Ausnahmesänger zu einer vergötterten Ikone, zu einem Star mit Supernova-Status gewandelt; in einer Form, wie es die Welt zuvor noch nie erlebt hatte. Während die Tanzvideos aus dem ersten Mega-Erfolgsalbum „Off the Wall“ einen adoleszenten, menschlichen und charmanten Michael Jackson zeigten, begann die Stilisierung zur Kunstfigur „Michael Jackson“ schon mit dem monumentalen „Thriller“-Video.

Immer mehr wurde Jackson – teilweise auch selbst induziert – zu einer Karikatur seiner selbst. Mit dem legendären Tanzschritt namens Moonwalk stellte er einmal mehr seine scheinbar übermenschlichen Künste unter Beweis; das verstörende und gleichzeitig geniale Video zu „Smooth Criminal“ ikonisierte Jacksons Performance noch intensiver. Der Megastar wurde schon früh als „lebende Legende“ tituliert (Grammy Awards 1993) und seine anhaltende Popularität ließen ihn weiter in Star-Sphären steigen, die nie jemand zuvor erreicht hatte.

Mit dem Album „HIStory“ (1995) und der begleitenden Marketing-Kampagne entfremdete sich Jackson schließlich für viele vollends von der Realität: Ein mehrminütiges, in Kinos und TV gespieltes Millionen-Video, das Jackson als Anführer einer riesigen Armee zeigt und schließlich eine haushohe Stalin-ähnliche Militärstatue seiner selbst enthüllt, bereitet auf das neue Album vor. Sogar in Wirklichkeit werden neun Jackson-Statuen – zehn Meter hoch und 2100 kg schwer – in europäischen Städten aufgestellt, u.a. in Berlin und London. Und im „Earth Song“ sowie den Live-Performances dieses Liedes wie bei «Wetten, dass..?» 1995 verkörpert Jackson eine Art Jesus-Prediger für eine bessere Welt. All das kann auch als eigene Parodie auf den Superstar-Status von Jackson verstanden werden, doch der Großteil der Welt nimmt die neuerlichen, vermeintlich narzisstischen Entwicklungen des Popstars nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis: Jackson hatte sich von der Realität verabschiedet; ist zur Kunstfigur geworden.

Und genau hier wird deutlich, warum wir alle Michael Jacksons Tod so unfassbar und überraschend fanden – und warum die Medien deshalb so exzessiv darüber berichten: Michael Jackson war für die Meisten kein Mensch, kein normales und humanes Wesen mehr. Er hatte sich enthumanisiert, selbst zu einer Stilikone, zu einem Monster, zu einem Alien, zu einem Gott entwickelt – was immer man denken mag. Aber schon in seiner noch erfolgreichen Karriere war er kein Mensch mehr gewesen, mit dem man sich in irgendeiner Art und Weise identifizieren konnte (normalerweise ein großer Baustein des Erfolgs vieler Künstler).

Wie kann so jemand sterben? Wie kann eine Kunstfigur sterben? Jackson hat die Welt und die Medien deshalb so erschüttert, weil der Tod ihn wieder zum Menschen gemacht hat. Obwohl er also von den Menschen geschieden ist, wurde er in unseren Köpfen plötzlich wieder zu einem von uns. Und dass der Tod dieses Mannes für viele so erschütternd kam, war eben der Tatsache geschuldet, dass wir Jackson, vielleicht auch nur unbewusst, nicht mehr als Menschen wahrgenommen haben. Dass so ein „Anderer“, so jemand sterben kann, schien unmöglich – auf den Punkt gebracht: Es ist der Tod eines Unsterblichen. Mit den Nachrichten nehmen wir den Sänger nun nach langer Zeit wieder als menschliches Wesen wahr. Dies erklärt auch jene Emotion, die viele nun mit seinem Tod und mit der Person Michael Jackson erstmals überhaupt empfinden: Das urmenschliche Gefühl des Mitleids.

Michael Jackson war jemand, der Entertainment und damit die Gesellschaft verändert hat – gleichzeitig veränderte sie ihn. Nun, wo er in seinem Tod die Ehre erfährt, mit der er als vorrangig außergewöhnlicher und sehr talentierter Musiker, Tänzer und Entertainer in Erinnerung bleiben wird, lebt Michael Jackson ironischerweise als menschliche Legende weiter. In unseren Köpfen und wahrscheinlich Jahrzehnte lang.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt ein paar neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Freitag nur auf Quotenmeter.de.

Kontakt zum Autor
03.07.2009 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/35905
Jan Schlüter

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Schlüter siehts

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