Weißt du noch? – Als «Popstars» den Musikmarkt aufmischte
Im Sommer 2008 startete die sechste – und bislang längste Staffel – der Casting-Show. Grund genug, mal genauer auf die «Popstars»-Geschichte zu blicken.
Die Castingshow «Popstars» hat etwas geschafft, was nur wenige andere Sendungen vor ihr erreicht haben: Sie hat zwei Medienbranchen gleichzeitig verändert. Zum Einen hat sie ab dem Jahr 2000 die TV-Macher mit großartigen Quoten verblüfft, zum Anderen schaffte sie es, mit der aus der ersten Staffel entstandenen Band „No Angels“ für mehrere Jahre den Musikmarkt zu dominieren. Heute kann sich die Gruppe trotz des Eurovision-Desasters immer noch als erfolgreichste deutsche Girlband aller Zeiten bezeichnen. «Popstars» war eine Sendung, die den kompletten Fernseh- und Musikmarkt veränderte, denn sie legte als erste deutsche Castingshow den Grundstein für den Erfolg von «Deutschland sucht den Superstar» oder «Star Search».
Wäre «Popstars» nicht gewesen, hätte Deutschland den Boom der Castingshows möglicherweise nie erlebt. Grund genug, einen Blick auf die Geschichte des Formats «Popstars» zu werfen, das Ende August in die mittlerweile siebte Staffel startet. Alles begann im September 2000: Der Sender RTL II, gerade beflügelt durch die sensationellen Einschaltquoten der erst vor einigen Monaten zu Ende gegangenen ersten Staffel von «Big Brother», versucht sich erneut an einem innovativen Format: Eine Castingshow mit dem schlichten Titel «Popstars» geht an den Start und über 4500 Frauen haben sich beworben, um der nächste Musikstar zu werden. Während die Jurymitglieder dieser ersten Staffel farblos bleiben, kann sich Tanzcoach Detlef `D!` Soost mit seiner Art eines amerikanischen Bootcamp-Drillers zum heimlichen Star des Formats entwickeln.
Die Show war zwar erfolgreich, doch die entstandene Band „No Angels“ noch erfolgreicher. Mehrere Nummer 1-Hits, über fünf Millionen verkaufte Platten bis 2003 und jahrelange popkulturelle Bedeutung machten Nadja, Lucy, Sandy, Vanessa und Jessica zu Teenie-Idolen. Und das Konzept, eine erfolgreiche Musikband im Fernsehen zu suchen und sie dadurch gleichzeitig zu vermarkten, war geboren. Doch diese erste Castingshow sollte auch die letzte sein, die Musiker hervorbringt, die erfolgreicher sind als das Fernsehformat selber.
Natürlich setzte RTL II «Popstars» schnell fort: Aus der zweiten Staffel im zweiten Halbjahr 2001 entstand „Bro’Sis“. Band und Sendung waren ebenfalls wieder erfolgreich und im „Personenkarussel Popstars“ blieb nur Soost aus Staffel 1 erhalten, der wegen seiner Popularität auch gleich zum Jurymitglied ernannt wurde. Während der Musikmarkt das ursprüngliche Konzept „Castingshow“ vor dem gigantischen Erfolg der „No Angels“ nicht besonders ernst genommen hatte, erreichte der Sender schon mit Staffel 2 namhafte Künstler und Produzenten, die sich für die Show engagierten: So saß der bekannte Produzent und DJ Alex Christensen im Jahr 2001 in der Jury von «Popstars».
Das Jahr 2003 sollte dann das große Jahr der Castingshows werden: «Deutschland sucht den Superstar» mit Dieter Bohlen erreichte mit teilweise über 12 Millionen Zuschauern am Samstagabend Rekordquoten und die Plattenfirma Sony BMG freute sich über Millionenverkäufe, die niemand zuvor erträumt hätte. Die Single der DSDS-Finalisten „We have a dream“ wurde mit einem nicht nennenswerten Budget produziert, doch die Platte verkaufte sich hunderttausendfach – von solchen Profitmargen kann heute nur noch geträumt werden. Die Sat.1-Castingshow «Star Search» wurde zum TV-Sommerhit des Jahres und ProSieben überlegte sich, wie man auch auf den Erfolgszug Castingshow aufspringen kann. Und was gibt es einfacheres, als eine erfolgreiche Marke zu erkaufen?
Der Sender entschloss sich, die Rechte an «Popstars» von RTL II zu kaufen und tätigte damit seinen wohl besten Deal in den letzten Jahren. Schon im Herbst 2003 strahlte ProSieben die dritte Staffel aus, in der erstmals zwei Bands gleichzeitig gesucht wurden, die gegeneinander konkurrieren sollten. Das Konzept ging auf: Sensationelle Quoten besonders in den Finalshows und durchgehend hohe Marktanteile wurden erreicht. Die entstandenen Gruppen „Overground“ und „Preluders“ konnten allerdings nur kurzzeitig Erfolge feiern. Doch der Sender hatte, was er wollte: Gute Einschaltquoten.
In diesen Monaten wurde in den kritischen Medien oft nach der Relevanz der Castingformate gefragt. Die Shows zur Suche nach dem nächsten Gesangsstar waren zwar meist erfolgreich, doch die entstandenen Künstler(gruppen) hatten teilweise eine so kurze Halbwertszeit, dass sie nach einer erfolgreichen Musiksingle vom Markt verschwanden und nie wieder auftauchten. Die zweite DSDS-Staffel brachte mit Elli einen Gewinner hervor, den niemand mehr kennt und die zweite Auflage von «Star Search» hatte sogar nur noch durchschnittliche Einschaltquoten – nun war also auch der Erfolg der TV-Shows selber angekratzt. Und auch die vierte Staffel von «Popstars», übrigens ohne Soost in der Jury, konnte 2004 nur durchschnittliche Zuschauerzahlen erreichen – die Gewinnerband „Nu Pagadi“ löste sich nach zwei Singles und einem Album auf. Sängerin Kristina Dörfer spielt allerdings seit Dezember 2006 eine Hauptrolle in «Verbotene Liebe».
Nach diesen Misserfolgen reinigte sich der TV- und Musikmarkt vom einstigen Straßenfeger Castingshow automatisch: Die Formate, die ab 2003 angesichts des DSDS-Erfolgs hervorgebracht wurden – sogar in den öffentlich-rechtlichen Sendern – verschwanden so schnell wieder, wie sie gekommen waren und nur noch die erfolgreichsten Vertreter des Genres, sprich «Deutschland sucht den Superstar» und «Popstars», blieben übrig. Doch ProSieben wusste um den Sättigungseffekt der Zuschauer und pausierte das Format. Erst im Jahr 2006 schickte man die fünfte Staffel auf Sendung und startete voll durch: Mit dem Erfolgsproduzenten Dieter Falk, der kantig-kranken Sängerin Nina Hagen und dem Gesicht des Formats namens Detlef Soost war die Jury prominent besetzt.
Und selbst die Senderbosse waren von den gigantischen Einschaltquoten von Anfang an wohl völlig überrascht: In der werberelevanten Gruppe der 14- bis 49-Jährigen wurden regelmäßig Marktanteile von über 20 Prozent erreicht und das Finale schauten bis zu 5,83 Millionen Zuschauer. Diese Staffel wurde zur erfolgreichsten in der Geschichte von «Popstars» – und die entstandene Band „Monrose“ hatte überraschenderweise mehr als nur einen Nummer 1-Hit und bringt heute noch Platten heraus. Zwei Jahre hält sich die Band also schon im Geschäft – für ein Castingprodukt eine Ewigkeit.
Vom unglaublichen Erfolg des Jahres 2006 beflügelt, vergaß ProSieben die bisherigen Gesetze des Genres Castingshow: Die besagen nämlich, dass nach einem erfolgreichen Castingformat eine nicht erfolgreiche Staffel folgt, sollte man der Show keine längere Sendepause geben.
So geschah es 2001 mit der zweiten, 2004 mit der vierten Staffel und so sollte es auch 2007 mit der sechsten Staffel von «Popstars» sein: In allem Übermut programmierte der Sender neue Ausgaben für ein halbes Jahr von Juni bis Dezember 2007 und damit mehr als doppelt so lang wie eine übliche Season. Natürlich ging die Rechnung nicht auf: Die Quoten waren allenfalls durchschnittlich und die entstandene Band „Room 2012“ verlor nicht erst einen kurzen Erfolg, sondern hatte nie einen.
Doch was ist das andere Gesetz der Castingshow? Auf eine nicht erfolgreiche Staffel von «Popstars» folgt eine erfolgreiche. Auf Staffel 2 folgten im Jahr 2003 neue Ausgaben mit Traumquoten und auf Staffel 4 folgte, allerdings mit zwei Jahren Pause, die bislang erfolgreichste Season mit der ebenfalls erfolgreichen Girlband „Monrose“.
Die Frage ist, ob die am 28.August startende siebte Staffel von Popstars diesem Gesetz erneut folgt: Denn diesmal hat ProSieben dem Format keine Pause gegönnt. Andererseits setzt man wieder auf das Erfolgsrezept Girlband und strahlt wieder eine kürzere Season mit nur 16 Folgen aus. Die Weichen sind also gestellt. Ob die Entscheidung, den Skandalrapper Sido in die Jury zu rufen, nicht für viele ein Abschaltgrund ist, wird sich noch zeigen. Eines ist allerdings als Fazit festzuhalten: Das Genre Castingshow hat sich allgemein überholt und ist nicht mehr musikrelevant. Die größten Zeiten dieser Formate sind trotz anhaltender guter Einschaltquoten, besonders von „DSDS“, vorbei, denn sie verfehlen hauptsächlich ihre offensichtliche Intention: Erfolgreiche und gute Musiker hervorzubringen.
16.08.2008 10:45 Uhr
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Jan Schlüter