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Serienlexikon: «Twin Peaks»

Wer ermordete Laura Palmer? Das war die zentrale Frage der Kultserie «Twin Peaks», die neben der titelgebenden Kleinstadt auch Millionen amerikanischer Fernsehzuschauer rätseln ließ.



1992 erschufen Regie-Legende David Lynch («Mulholland Drive», «Blue Velvet») und sein oft vergessener Co-Autor und Produzent Mark Frost einen Serienkosmos, der in seiner Absurdität und düsteren Faszination bis heute unerreicht bleibt. «Twin Peaks» ist nicht nur eine amerikanische Kleinstadt nahe der kanadischen Grenze, die durch den Mord an der jungen Ballkönigin Laura Palmer erschüttert wurde, sondern auch der Geburtsort der modernen Mysteryserie.



Nachdem die örtliche Polizei die in Plastik gewickelte Leiche der High-School-Schülerin Laura gefunden hat, wird FBI Agent Agent Dale Cooper (Kyle McLachlan, heute Bree-Eheman Orson in «Desperate Housewives») auf den Fall angesetzt. Der kaffeesüchtige und instinktstarke Genussmensch arbeitet sich mit dem Sheriff und seinen Leuten durch die komplexen kriminellen Verstrickungen vieler Kleinstadtbewohner, um so letztlich dem Mörder auf die Spur zu kommen. Im grotesken Figureninventar der Serie begegnen sie unter anderem einer einäugigen, manischen Hausfrau, die die geräuschlose Vorhangschiene erfinden will und der „Log-Lady“, die stets einen Holzscheit wie ein Baby in ihren Armen wiegt und mit ihm spricht.



Die Bedeutsamkeit der gerade mal zwei Staffeln mit insgesamt nur 30 Folgen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die schrägen Charaktere, der bizarre, ironisch überhöhte Kleinstadtcharme und der oft dunkle Humor inspirierten die Fernsehlandschaft nachhaltig. Vor allem David E. Kelly griff davon viel in «Picket Fences» auf und auch seine heutigen Figuren tragen in ihren absurden Momenten noch viel davon in sich. Die verrückt anmutenden Ermittlungsmethoden von Cooper, der Träumen von Riesen und tanzenden Zwergen ganz selbstverständlich als Hinweisen folgt, finden sich auch besonders im kanadischen Serienhit «Ein Mountie in Chicago» wieder.







Rationale Polizeiarbeit gab es in «Twin Peaks» wenig. Da wurde auch schon mal meditativ und mit verbundenen Augen auf Flaschen geworfen, die für verschiedene Verdächtige standen, um so den weiteren Ermittlungsfokus abzustecken. Das war in jenem Mordfall aber gar nicht mal unangebracht – denn die Einheimischen spüren selbst stark genug, dass in den Wäldern um den kleinen Ort herum unheimliche Kräfte am Werk sind, die nichts Rationales an sich haben. Geschickt hielten Lynch und Frost dabei Mystery-Elemente in der Schwebe, ohne je ganz ins Übernatürliche abzugleiten.



Die Kritiker waren begeistert: Dass postmoderne Erzählkunst in so klarer Ausprägung jemals den TV-Massenmarkt ansprechen könnte, hatte zuvor wohl niemand für möglich gehalten. Das Spiel mit komplexen Elementen wie Spiegelidentitäten, Realitätsbrechung, Metafiktion und Mehrfachkodierung gelang beispielhaft. Vor allem aber lobten die Feuilletons die collagenhafte Komposition der Serienwelt: Viele Anlehnungen an den Stil der 50er Jahre vermischten sich mit klassischen Kriminalgenremotiven wie der Femme Fatale und großen, bewusst kitschigen Seifenopernelementen.



Mit seinen übernatürlichen Anklängen bereitete «Twin Peaks» auch deutlich den Weg für «Akte X» und dem daraus entstandenen Mystery-Boom der Neunziger. «Akte X»-Star David Duchovny hatte vor seiner Rolle als Agent Mulder sogar schon einen Part in der zweiten «Twin Peaks»-Staffel: Als Drogenfahnder mit einer schrägen Vorliebe für Frauenkleider half er Dale Cooper bei den Ermittlungen. Auch Miguel Ferrer legte in «Twin Peaks» schon einen Grundstein für seinen später bevorzugten Rollentyp. Lange bevor er zum Abteilungschef Garret Macy in «Crossing Jordan» wurde, durfte er schon als zynischer Forensiker Albert mit Agent Cooper am Mordfall arbeiten. Ähnliches gilt für Don S. Davis: in «Twin Peaks» ist er ein Army-Major, der Geheimnisse kennt und an Außerirdische glaubt; in «Stargate SG-1» schickt er als General Hammond später 160 Folgen lang geheime Spezialkommandos in außerirdische Welten.



Seine größte Bedeutung hat «Twin Peaks» aber ganz klar in seiner Vorreiterrolle für die heutigen Serials erlangt. Als eine der ersten wöchentlichen Serien abseits des Seifenopernmarktes gab es hier eine vorausgeplante, fortlaufende Handlung; ein großes Mysterium, dem Folge für Folge ein Stück näher gekommen wurde. Ohne die Pionierarbeit von «Twin Peaks» auf dem Gebiet der Konzeptserien wäre ein «Lost» oder «24» heute kaum denkbar. Ähnlich wie in «24» oder «Murder One» hat «Twin Peaks» auch schon den festen Zeitrahmen pro Folge eingeführt. Eine Folge entsprach in der Kleinstadt genau einem Tag der Handlung. Kiefer Sutherland war übrigens 1992 schon als FBI Agent im Prequel-Kinofilm «Twin Peaks – Fire Walk With Me» zu sehen, der die letzten Tage im verstörenden Leben Laura Palmers zeigte.



Dass die Zeit damals noch nicht ganz reif für Konzeptserien dieser Art war, zeigte nach anfänglich grandiosem Erfolg in den Staaten das unrühmliche Ende sowohl in den USA als auch in Deutschland. In Amerika drängte der Sender ABC in der zweiten Staffel darauf, endlich einen Mörder zu präsentieren. Das geschah dann in der Staffelmitte und wie nicht anders zu erwarten sackte das Interesse danach deutlich ab – zumal ABC auch nicht locker ließ immer weiter in der Dramaturgie der Show herumzupfuschen, bis schließlich wenig vom besonderen Flair und gleichsam den Stammsehern übrig war. In der deutschen Erstausstrahlung kam es gar nicht so weit. RTL strahlte die Serie freitags um 21:15 aus - ein traditionell schwieriger Sendeplatz für eine fortlaufende Serie. Den Todesstoß versetzte aber Konkurrent Sat.1, der auf der Starttafel seines Videotextes den Mörder verriet. Die Zuschauerzahlen brachen rapide ein und die Serie wurde abgesetzt. Der heute fast vergessene Skandal gehört zu den unrühmlichsten Augenblicken in der Konkurrenzgeschichte der beiden Sender.
05.07.2008 10:05 Uhr Kurz-URL: qmde.de/28333
Daniel Deitermann

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Twin Peaks

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