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Showrunner-Talkrunde beklagt Network-Doppelmoral

Autoren von «Lost», «House» und «Sopranos» über die Sex- und Gewalt-Doppelmoral, Autorenstreik, Zuschauerschwund, Emmys und Sitcomdepression.

Das US-Magazin The Hollywood Reporter versammelte für eine Diskussionsrunde fünf der wichtigsten amerikanischen Showrunner. Bryan Fuller (ABCs «Pushing Daisies», davor «Sopranos»), David Shore (Fox' «House»), Damon Lindelof (ABCs «Lost»), Matthew Weiner (AMC «Mad Men») und Craig Thomas (CBS' «How I Met Your Mother») sprachen über den allgemeinen Zuschauerschwund bei den Networks, vermeintlich größere Freizügigkeit im Kabelfernsehen, den Emmy-Award, Sitcoms und natürlich den Wandel des Geschäfts seit dem Streik.

Der Autorenstreik habe klare Spuren hinterlassen und in einigen Äußerungen der Showrunnern spürt man noch Bitterkeit. „Wir haben 100 Tage damit verbracht Schilder zu tragen, um den Leuten klarzumachen, dass wir ausgebeutet werden“, klagt «Lost»-Autor Damon Lindelof, „und dann kehren wir am Valentinstag an die Arbeit zurück und versuchen so zu tun, als sei nichts gewesen.“ Er vergleicht das mit einer Liebesbeziehung nach einer Phase des Streits samt Trennung und anschließender Versöhnung. „Ich dagegen habe nie aufgehört mit den Executives zu schlafen“, scherzt Sitcom-Schreiber Craig Thomas auf diese Metapher. Bryan Fuller, der für ABC «Pushing Daisies» (Bild) leitet, beklagt vor allem die engeren Budgets nach dem Streik: „Ich glaube die Studios meinen, ein Teil das Geldes, das sie während des Streiks verloren haben, muss nun aus den Kassen unserer Shows abgezweigt werden.“ Und das obwohl die Studios während des Streiks behauptet hätten, sie würden dadurch gar kein Geld verlieren, erinnert sich «Dr. House»-Showrunner David Shore.

Dass der aktuelle Zuschauerschwund bei den Serien eine Folge des Streiks sei und damit die Autoren Budgetkürzungen selbst zu verantworten hätten, wollen die natürlich nicht gelten lassen. „Das Zuschauerverhalten hatte sich schon verändert, bevor der Streik überhaupt ein Thema war“, wirft Fuller auf diese Frage ein. Lindelof und Matthew Weiner, der für den Kabelsender AMC «Mad Men» verantwortet, glauben daran, dass die Leute auch nach längerer Pause weiter ihre Lieblinsserien schauen. Weiner nennt «Die Sopranos» als Beispiel, an denen er ebenfalls lange gearbeitet hat. Die Show sei 18 Monate nicht gelaufen, „dann kommt sie zurück und die Leute wollen es sehen.“ Lindelof glaubt auch nicht, dass «Grey’s Anatomy»-Fans plötzlich anfangen Schach zu spielen statt fernzusehen, bloß weil ihre Serie für 100 Tage nicht weiter ging. Er vermutet, dass einfach mehr digital aufgezeichnet und später geschaut wird. Weiner denkt in eine ähnliche Richtung. Zuschauer würden auf anderen Wegen ihre Programme sehen – oder stattdessen Videospiele spielen. Außerdem, so Lindelof, seien ungeskriptete Showformate wie «American Idol» nicht vom Streik betroffen worden, wohl aber auch vom Zuschauerschwund.




Daraus stellte sich der Runde die Frage, ob es bei sinkenden Zuschauern und Budgets im Network-Bereich nicht besser sei, wie Weiner bei Kabelsendern zu arbeiten, deren Positionen immer besser werden. Doch dieses Lob auf das Kabelfernsehen will Matthew Weiner nach seinen Erfahrungen nicht so stehen lassen. „Ich bin dorthin gegangen, weil man mir kreative Freiheit versprochen hat.“ Doch gerade wenn es dabei um Freizügigkeit mit Sprache, Gewalt und Sexualität ginge, seien die Maßstäbe völlig unterschiedlich und schwer berechenbar. Zu den kürzlich erhöhten Bußgeldern der FFC, einer US Behörde vergleichbar mit einer Mischung aus unserer FSK und den Landesmedienanstalten, hat der Network erfahrene Lindelof einiges zu sagen: „In der ersten Staffel war «Lost» eine 20.00 Uhr Show und wir zeigten wie Naveen Andrews (Sayid) Josh Holloway (Sawyer) foltert, indem er Bambussprossen unter seine Fingernägel rammt und allerlei andere Grausamkeiten begeht. Aber ein Wort wie „Arschloch“ darf dabei nicht gesagt werden“. Versuche das Wort „shit“ unterzubringen seien ihnen sogar verwehrt worden, als sie die Hälfte des Wortes mit Geräuschen übertönen wollten. Den «Heroes» habe man das Wort jedoch gestattet.

Auch Weiner hat mit dieser Doppelmoral Erfahrungen. Bei Showtimes «Dexter» erlaube man „einen Serienkiller, der jeden an der Tür mit Plastikfolie begrüßt. Doch das Rauchen in meiner Show ist plötzlich viel anstößiger, obwohl wir alle damit aufgewachsen sind, dass es einfach eine historische Realität ist. «House»-Showrunner Shore erinnert sich an einen Fall, wo ein Klinikpatient masturbieren sollte und ihnen kein Euphemismus einfiel, der bei den Zensoren dafür durchgehen würde. Sie mussten erst eine Rundmail schreiben, in der sie nach harmlosen Umschreibungen für weibliche Selbstbefriedigung fragten. In «Pushing Daisies» wurde Bryan Fullers-Autoren sogar ein Klaps auf den Po eines Neugeborenen verboten, weil das „pädophile Assoziation“ wecken könnte. „Wir mussten die ganze Szene raus schneiden. Es war ein Plastikbaby!“ Nur «Boston Legal» käme mit allem davon, beschwert sich Lindelof: „Die dürfen vor der Kamera sogar Sex mit Kühen zeigen.“

Zum Thema Sitcoms befragt, bedauern die fünf Showrunner, dass das Genre derzeit seine „Große Depression“ erlebe. Lindelof: „Es gibt nur zwölf Stunden Primetime pro Woche, das belegt werden muss. Wenn das also die gesamt Sendefläche ist, glaube ich hat Reality-Fernsehen die Sitcoms getötet.” Außerdem liefen Sitcoms international oft schlecht. Weiner erinnert daran, dass zum Beispiel «Seinfeld» in Deutschland samstagnachts lief und nie Zuschauer fand. Er und Lindelof schieben das aber ironisch auf die deutsche Mentalität und scherzen: „Bestell nie koscheres Essen bei Lufthansa, nicht wahr?“

Bei den Emmys erwarten die fünf dieses Jahr vor allem in der Drama-Kategorie interessante Neuzugänge, weil weder «24» noch «Die Sopranos» (Bild) dieses Jahr eine Chance hätten. Problematisch finden sie aber die Kategoriewahl für die immer häufigeren Dramedys wie «Desperate Housewifes» und «Pushing Daisies», das in der Rubrik Comedy antritt. Die oft aufwändigen Einstünder seien dort Sitcoms mit nur drei Kulissen gegenüber unfair im Vorteil. Besonders mögen die Showrunner die Emmy-Verleihung aber dafür, dass dort – anders als bei den Oscars – sehr oft den Autoren gedankt werde. Shore: „Es ist schön, dass wir gewürdigt werden.“
05.06.2008 15:33 Uhr Kurz-URL: qmde.de/27711
Daniel Deitermann  •  Quelle: The Hollywood Reporter

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Tags

US-Fernsehen

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