Call-in-Shows im Fadenkreuz: Von Fairness und Transparenz
Wörter mit „s“ zu finden, dürfte nicht schwer sein. Anders bei 9Live: Der Mitmachsender hat seine ganz eigenen Regeln. Das wissen auch zahlreiche Zuschauer, die das Programm ständig überwachen und schon einige Unregelmäßigkeiten aufklärten.
Ein ganz normaler Tag bei 9Live, Deutschlands selbst ernanntem „Quizsender“. 9Live sendet täglich viele Stunden lang Gewinnspiele – weniger mit dem Ziel, den Anrufern, die auf die richtige Lösung hoffen, das große Geld zu bescheren. Vielmehr sollen die eigenen Kassen klingeln. Und genau das tun sie auch, denn 9Live gehört inzwischen zur ersten Liga der profitablen Fernsehsender, obwohl man tagsüber inzwischen komplett auf Werbespots verzichtet. Reich werden ohne Werbeeinahmen – für viele Fernsehmacher ein Traum.
Doch zurück zu diesem ganz normalen Tag: Bei 9Live wird gerade ein Bild gezeigt. Zu sehen sind ein Skilift, Schnee und viele Skifahrer, die auf Holzbänken vor einem Gebäude in den Alpen sitzen. Der Himmel ist blau. Am unteren Bildschirmrand stehen in großen Lettern „2.000 Euro Sofortgewinn“ und eine Telefonnummer. 50 Cent kostet der Anruf, auch wenn am anderen Ende der Leitung darauf verwiesen wird, dass man diesmal leider kein Glück hatte. Wer es trotzdem zum Moderator ins Studio schafft, darf auf den Gewinn hoffen. Allerdings erweist sich die Beantwortung der Frage „Nennen Sie uns etwas, was Sie auf dem Bild sehen“ durchaus als schwierig. Nur Wörter mit „s“ werden gesucht, genauer gesagt: Nur ein ganz bestimmtes Wort.
Ski, Schnee… So schwer dürfte das eigentlich nicht sein. Die Raterunde zieht sich, niemand weiß die Antwort. „Es ist auf diesem Bild zu sehen“, beteuert der Moderator. Und dann wird Heinz, offenbar ein Dauergewinner, vom „Hot Button“ ausgewählt. Und seine Antwort klingt in der Tat nicht schlecht: „Schlaufen“, sagt er und fügt „an den Skistöcken“ hinzu. „Leider nicht“, muss ihn der Moderator enttäuschen. Eine von vielen falschen Antworten, könnte man meinen. Zwei Kandidaten später wird schließlich aufgelöst: „Schlaufe“ wäre richtig gewesen. Gemeint sei die „Rucksackschlaufe“, wie der Moderator schnell anfügt. Fairness sieht anders aus.
Um die Transparenz kümmern sich andere. Im Internet wurde das Forum „Call-in-TV.de“ gegründet, mehr als 1200 Benutzer haben sich seither angemeldet. Viele von ihnen sind verärgert von den nicht selten dubios wirkenden Vorgehensweisen in den inzwischen unzähligen Call-in-Sendungen der Republik. Ihr Aufgabe: Sie beobachten das Programm von 9Live & Co. und prangern die begangenen Fehler und Kuriositäten oft noch in der gleichen Minute an. Eine effektive Überwachung, wie sich zeigt. Nach langen Diskussionen über das „Schlaufen“-Spiel strahlt 9Live zwei Tage nach der überraschenden Auflösung eine Stellungnahme aus – der Feind liest schließlich mit.
Die Wende: Ein anderer Moderator erklärt, 9Live habe sich nun doch dazu entschieden, Kandidat Heinz das Geld zu überweisen – obwohl er die Mehrzahl von „Schlaufe“ genannt hat. Gesucht habe man eigentlich die Einzahl. Der Gewinn wird trotzdem überwiesen. Doch während der 9Live-Moderator nun für seinen Arbeitgeber nur noch lobende Worte findet, stellt man sich bei „Call-in-TV.de“ weitere Fragen. „Was wäre gewesen, wenn es sich bei dem Kandidaten mit der Antwort 'Schlaufen' nicht um Dauergewinner Heinz gehandelt hätte? Von Heinz hat man ja bekanntlich die Daten, um Ihm im Nachhinein den Gewinn zuzusprechen.“ Und: „Warum behauptet man, es sei bei dem Spiel darum gegangen, Begriffe, die an einer Flipchart ‚abgeklebt’ gewesen seien, zu erraten? Warum erzählt man nicht, dass es darum ging, in einem Bild Begriffe zu finden, die mit dem Anfangsbuchstaben 'S' beginnen?“
Ohnehin: Die gesuchte Rucksackschlaufe wurde offiziell nie gezeigt. Viele Fragen, kaum Antworten. „Warum kann man nicht einfach mal offen und ehrlich zugeben, dass man bei diesem Spiel richtig Mist gebaut hat und sich an dieser Stelle offiziell dafür entschuldigen möchte? Das wäre in unseren Augen mal ‚fair und transparent’“, heißt es auf der Website. Klar, dass das die Verantwortlichen nicht gerne sehen. Erst Mitte Juni musste sich ein Gericht mit dem Internet-Forum befassen, weil die Endemol-Tochter „Callactive“ – verantwortlich für Call-in-Shows bei Viva, Comedy Central und Nick – bei „Call-in-TV.de“ genannte Aussagen nicht länger hinnehmen wollte.
Die Benutzer sollten demnach nicht mehr den Begriff „verwirrte Anrufer“ verwenden dürfen. Betrugsvorwürfe wollte sich Callactive nicht gefallen lassen. Das Gericht stand auf der Seite des Forums und bezeichnete den Begriff als „objektive Beschreibung“. Zudem müsse es möglich sein, ein kritisches Internetangebot am Leben zu erhalten. Ohnehin: Kritischen Unterstellungen sind meist nur kurz auf der Seite zu lesen - Marc Doehler, Betreiber des Forums „Call-in-TV.de“, kümmert sich schnell um deren Verschwinden, um weiteren Ärger zu vermeiden.
Doehler könnten jedoch noch schwere Zeiten bevorstehen, denn auch weiterhin steht eine Callactive-Klage im Raum. Das Unternehmen fordert von Doehler die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von knapp 21.000 Euro, was wohl das Aus des Forums mit sich bringen würde. Doehler habe gegen eine von ihm unterschriebene Unterlassungserklärung verstoßen, weil auch nach der „Einigung“ mit Callactive Artikel erschienen sind, in denen von „Scheinanrufen“ die Rede war. Was Callactive verschweigt: Diese Kommentare wurden von Doehler oft innerhalb weniger Sekunden gelöscht.
Wie geht es nun weiter? „Was den Fortgang der Klage angeht, so sieht es so aus, dass für September 2007 die Verhandlung angesetzt ist. Ich gehe davon aus, dass es gut für uns laufen wird, da das Berliner Landgericht bereits in einem anderen Fall darüber entschieden hat, dass ein Forenbetreiber nur dann für Beiträge Dritter haftet, wenn er davon Kenntnis erlangt, aber nicht gehandelt hat“, so Foren-Betreiber Marc Doehler gegenüber dem Online-Fernsehmagazin Quotenmeter.de. Diese Tatsache sei in seinem Falle nicht gegeben, „da ich die entsprechenden Beiträge ja umgehend aus dem Forum entfernt habe.“ Teilweise seien die Beiträge nur 136 Sekunden online gewesen, betont Doehler.
Bleibt abzuwarten, ob das Gericht die gleiche Auffassung vertritt. Wünschenswert wäre es in jedem Fall, ginge durch eine mögliche Einstellung des Forums doch ein inzwischen sehr wichtig gewordener Überwachungs-Apparat der Call-in-Industrie verloren. Das „Schlaufen“-Spiel ist ein guter Beleg dafür.
22.07.2007 14:32 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/21286
Alexander Krei