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«Abgehört» mit Werner Reinke

Er ist eine Radiolegende. Vor mehr als 30 Jahren hat Werner Reinke die "Hitparade International" bei hr3 moderiert. Heutzutage macht er jeden Samstagvormittag die Show "hr3 extra am Samstag". In unserer Rubrik "Abgehört" sprach Werner Reinke über 30 Jahre Radio.



Herr Reinke, es ist sicherlich nicht verkehrt, wenn man Sie als „Radio-Urgestein“ bezeichnet. Sie haben vor mehr als dreißig Jahren die legendäre „Hitparade International“ moderiert und sind auch heute noch bei hr3 auf Sendung. Was vermissen Sie heute im Radio, wenn Sie auf die letzten drei Jahrzehnte zurückblicken?

Wenn ich etwas vermisse, dann ist es das kreative Chaos beim Herstellen einer Sendung. Früher wußte ich häufig am Anfang der Sendung noch nicht, wie sie zu Ende gehen wird. Ich habe einfach „drauflosgesendet“. Das hatte allerdings auch Nachteile. Heute ist meine Sendung durchgeplant, und um 9.03 Uhr weiß ich genau, wie sie um 11.55 Uhr aussehen wird. Das ist für den Moderator weniger spannend, kommt aber entschieden souveräner rüber.



Noch heute hat die vor einigen Jahren eingestellte „Hitparade International“, die sie bis 1989 insgesamt 777 Mal präsentierten, viele Fans. Was war Ihrer Meinung nach das „Geheimrezept“ dieser Sendung?

Die Transparenz und Verläßlichkeit des Sendeschemas - jeder konnte nachvollziehen, warum an welcher Stelle welcher Programmpunkt kam - und das Chaotische am Moderator, der, wenn er gut drauf war, schon mal durchdrehte, aber durchaus auch seine melancholischen Anwandlungen hatte. Daß ich das alles so machen durfte, dafür bin ich meinem Freund, Mentor und Chef Hanns Verres ewig dankbar.



Hat ein solches Format heutzutage keine Chance mehr auf dem Radiomarkt – oder was ist der Grund dafür, dass sich der Hessische Rundfunk dafür entschied, dieses Markenzeichen aus dem Programm zu nehmen?

Es ist nicht nur der Hessische Rundfunk, der das Hitparadenformat in dieser Form gestrichen hat. Ich habe nie mit meiner Meinung hinter dem Berg gehalten, daß die Abschaffung der Hitparade International ein Fehler war. Eine Hitparade ist die ideale „Einstiegsdroge“, mit der ein Sender den Hörernachwuchs für lange Zeit an sich binden kann. Einer der Gründe für deren Abschaffung in hr3 war wohl das Reglement.



Eine Postkarten-Hitparade war nicht mehr zeitgemäß, und eine Internet-SMS-Anruf-Hitparade ist sehr schwer verläßlich zu kontrollieren. Eine der Stärken der alten Hitparade International war auch die Ehrlichkeit in der Auswertung. Wir haben so gut wie alle Betrugsversuche, die gelegentlich aus der Hörerschaft kamen, aufdecken können. Produzent Hagen Wittig hat das bis zur Perfektion getrieben.



Auch Sie sind an Abschiede gewöhnt, denn 1989 verließen Sie den hr auf eigenen Wunsch, wie Sie sagten. Gab es Momente, in denen Sie diese Entscheidung bereut haben?

Oh ja, bereits wenige Monate danach, als die Mauer fiel. Da wäre ich gern mit dem HR zu den Ex-DDR-Hörern gefahren, um ihnen Dank abzustatten für ihre Treue in all den Jahren. Das habe ich dann mit kleineren, bescheideneren Mitteln bei ein paar Privat-Disco-Veranstaltungen machen

können.



Zum dreißigsten Geburtstag von hr3 waren Sie schließlich wieder bei hr3 zu hören. Wie lange hat man damals gebraucht, um Sie dafür zu überreden?

Zunächst etwas länger, denn ursprünglich sollte ich ein kurzes "Wie war das damals?"- Interview geben, von dem meines Erachtens keiner so richtig was gehabt hätte: Der Sender nicht, die Hörer nicht, der Moderator nicht. Als dann allerdings hr3s Rüdiger Edelmann den Vorschlag machte, die „Mittags-Discotheke“ viermal hintereinander wieder aufleben zu lassen, war ich Feuer und Flamme. Und danach auf Dauer wieder einzusteigen, dafür dauerte die Überredung nur Sekundenbruchteile.



Im Ernst: Die überwältigenden Reaktionen aus der Hörerschaft auf die „Mittags-Discotheken“ konnten weder dem HR noch mir egal sein. Wir kamen sehr schnell zu dem Ergebnis, daß man die Fortsetzung einfach den Hörern schuldig war.



Inzwischen sind Sie mit ihrer Sendung „hr3 extra am Samstag“ nicht mehr aus dem Programm der Popwelle wegzudenken. Woher kommen die Ideen für die wöchentliche Show? Wie entsteht also eine typische Ausgabe von „extra am Samstag“?

Die ganze Vorarbeit macht mein „Mastermind“ Lidia Antonini. Sie besorgt die Themen, sie liefert die Interviewteile, sie hat die Ideen, aus denen dann eine bunte unterhaltsame Mischung wird. Mein Anteil ist klein: Am Tag vor der Sendung bespreche ich mit Lidia den Durchlauf, produziere die „Voiceovers“, also die Übersetzungen der englischsprachigen Interviewteile, und steuere die „Pop History“ bei.



Immer wieder werden Sie in „hr3 extra am Samstag“ allerdings „nur“ zum Co-Moderator, weil schon zahlreiche Stars – darunter Paul Anka, Meat Loaf oder zuletzt Joe Cocker – die Sendung präsentieren durften. Doch wie bringt man denn einen Mann wie Joe Cocker dazu, eine dreistündige Show im deutschen Radio moderieren zu wollen?

Hier war aller Anfang schwer. Die ersten Sendungen (mit Wolfgang Niedecken, Chris Norman und dann Paul Anka) mussten erstmal ordentlich laufen. Danach sprach sich in der Musikbranche langsam herum, daß es diese Möglichkeit gibt. Kim Wilde zum Beispiel hat viel Spaß daran gehabt, und innerhalb ihrer Plattenfirma, der EMI, war man für das Thema sensibilisiert. Als Joe Cocker - ebenfalls EMI - dann ein 3-Stunden-Zeitfenster während seines Deutschlandaufenthalts offen hatte, trug man ihm die Idee vor, und er nahm sie gern auf.



Welcher Gast-Moderator wird Ihnen immer in Erinnerung bleiben - und warum?

Eigentlich alle, denn jeder für sich hat eine sehr spezielle Sendung gemacht. Meat Loaf war herrlich verrückt und gab Vollgas wie immer, Roger Cicero servierte Musik mit Stoffserviette und abgespreiztem Kleinfinger, Kim Wilde opferte sich trotz schwerster Erkältung, aber vielleicht waren es doch die beiden, die einen Kreis schlossen: Paul Ankas Plattenhülle hing an meiner Schlafzimmerwand, als ich 13 oder 14 Jahre alt war, und er war sooooo unerreichbar damals.



Und Joe Cocker habe ich bestaunt, seit er den Beatles-Song „With A Little Help From My Friends“ so unvergleichlich gecovert hat. Daß diese Herren mal meine Sendung moderieren, daß Paul Anka mir erzählt, wie er „My Way“ für Frank Sinatra getextet hat, daß Joe Cocker schildert, wie es zu seiner Coverversion kam und wie er sie gemacht hat: Das wird mir sicher Zeit meines Lebens in Erinnerung bleiben.



Gerade mit solchen Spezialsendungen kann sich hr3 gut von der privaten Konkurrenz abgrenzen. Daher zwei Fragen: Sollte dem typischen Format-Radio nicht viel häufiger ein Ende gesetzt werden? Wo sehen Sie hr3 – auch im Vergleich zur Konkurrenz - in den nächsten Jahren?

Um diese Frage einigermaßen erschöpfend zu beantworten, bräuchte ich 50 Seiten. Nur so viel: Im iPod-Zeitalter wird sich das Formatradio heutigen Zuschnitts schneller überleben, als sich mancher das träumen läßt. Ich bin aber zuversichtlich - und ich habe auch Anhaltspunkte dafür -, daß in der Chefetage des Hessischen Rundfunks das Umdenken bereits begonnen hat.



Wer in Zukunft im terrestrisch-satellitengestützt-internet-podcast-WLAN-Radio-Dschungel überleben will, der wird kein „Ich auch“-Radio mehr machen können. Er wird unverwechselbar sein müssen in einem globalen Radiomarkt. Kurz gesagt: er muß „Nur ich“-Radio machen.



Wie sehr muss sich ein öffentlich-rechtliches Radio denn allgemein dem Trend – und somit auch den privaten Mitbewerbern - anpassen?

Jeder öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland legt heutzutage einen schwierigen Spagat hin: Man muß sich im Wettbewerb behaupten, und man tritt an gegen marketingstrategische Privat-Institute, die mehr zufällig in der Radiobranche gelandet sind. Und da der Durschschnittshörer nun mal gern Reisen und hohe Geldbeträge gewinnt, kann es ohne diese Gewinnspielchen wohl nicht gehen, wenn man sich nicht unterbuttern lassen will.



Auf der anderen Seite ist jeder leidenschafltliche Rundfunkmitarbeiter daran interessiert, dem Hörer gutes Radio, also Kino im Kopf, anzubieten. Unterhaltung, Bildung, Erziehung, Information. Und viele meiner Kollegen betreiben nach wie vor ihren Beruf mit Leidenschaft. Daher meine Sowohl-als-auch-Antwort: Dem Trend und den Mitbewerbern so viel wie eben nötig anpassen, aber so wenig wie möglich!

Siehe jeweiliges Rundfunkgesetz...



Noch eine kurze Frage zum Schluss, in der es nicht um das große Radio-Feld geht: In den 90ern waren Sie Stadionsprecher der Frankfurt Galaxy, nun wird die NFL Europa eingestellt und auch das Football-Team aufgelöst.. Hat Sie diese Nachricht betroffen gemacht?

Die Nachricht hat mich mitten im Namibia-Urlaub ereilt, und ich konnte sie zunächst nicht glauben. Keine Galaxy mehr. Für immer! Es war wohl - neben dem Radio - der schönste Job meines Lebens: Von der Pike auf eine Profi-Sportart in Deutschland etablieren mit Mitteln der Unterhaltung, die das Unternehmen CCS in Frankfurt zusammen mit mir behutsam genutzt haben, um letzlich das Verständnis für den Sport zu wecken. Ich habe selten so viel Spaß gehabt wie unter den Galaxy-Fans.



Der Schock sitzt auch bei mir tief. Aber die Gründe für die Auflösung der Liga runden unser Interview auf merkwürdige Weise ab: Auch hier entschieden letztlich die nackten Marketing-Zahlen, die Leidenschaft der deutschen Fans ist zweitrangig. Jammerschade!



Herr Reinke, wir bedanken uns recht herzlich für das Interview.
20.07.2007 14:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/21254
Manuel Weis

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Reinke

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