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Sonntagsfragen an Tim Greve
Im Quotenmeter.de-Interview spricht Tim Greve, ehemals Producer von «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» und Herstellungsleiter von «Bianca» über die Zukunft von Ermittlerformaten und Courtshows am Nachmittag. Wie schätzt er die Gefahr der Übersättigung solcher Formate ein und welche Chancen gibt er «Staatsanwalt Posch ermittelt»?
Herr Greve, für alle, die Sie jetzt noch nicht kennen. Sie waren lange Zeit als Producer von «GZSZ» tätig und haben auch bei «Bianca» mitgewirkt. Nun haben Sie sich selbstständig gemacht und beraten Produktionsfirmen.
Ganz genau. Viereinhalb Jahre lang war ich bei Grundy tätig und habe dort für «GZSZ» gearbeitet, war parallel auch Herstellungsleiter von «Bianca». Bei «Bianca» standen wir vor der Aufgabe erstmals 42 Minuten Sendematerial an einem Tag zu produzieren. An der kompletten Systematik war ich beteiligt. Und genau das ist auch jetzt mein Hauptthema: Ich berate Produzenten, wie Sie Formate mit hoher Qualität effizient herstellen können. Das ist auch ein entscheidendes Thema in der Zukunft, denn ich bin überzeugt, dass sich der Erfolg von täglichen Serien – sei es Telenovela, Soap oder Ermittler-Doku - fortsetzen wird. Aber die Schere geht immer weiter auseinander: Weniger Budget, mehr Anforderungen, aber zugleich auch die Scheu vor Quotenrisiken bei neuen Formaten.
Wir sehen ja in der Primetime, wie schwer es ist, eine neue deutsche Serie zu starten. Genau in diesem Bereich arbeite ich für einige Kunden.
Was ist ihr Eindruck – wie geht es den Produktionsfirmen momentan?
Grundsätzlich muss man zwischen den Firmen unterscheiden, die inzwischen eine gewisse Größe erreicht haben, auch weil sie möglicherweise konzerngebunden sind, und den mittelständischen Produktionsfirmen. Den großen Firmen geht es momentan ganz gut – sofern sie über viele Genres hinweg produzieren, sei es der große Spagat zwischen großer Fernsehunterhaltung wie Shows und Movies und Daytimeprogrammen. Die Produzenten, die zu segmentiert haben, die sozusagen alles auf ein Bein stellen, haben momentan durchaus Probleme – wenn sie überhaupt einen Auftrag haben.
In wie fern ist es für Produktionsfirmen ein Problem, dass man im fiktionalen Bereich eigentlich nur noch dauerhaft auf Daytime-Formate setzen kann, weil deutsche Serien in der Primetime bei den privaten Stationen nicht funktionieren?
Die Quoten von «Verrückt nach Clara» kennen wir alle. Die absolute Quote der ersten Sendung war natürlich enttäuschend, aber ich denke, dass das Format einfach einen etwas längeren Atem braucht. Zumindest wäre es der Serie zu wünschen, dass die Zahlen noch steigen. «Post Mortem» war von der Qualität extrem hochwertig – ich finde es von der Kommunikation her schwierig, dass die Sendung oft als deutsches «CSI» dasteht. Aber ich denke nicht, dass das Format in der Tat ein deutscher Ableger dessen ist. Und die Premieren-Quote hat gezeigt, dass die Zuschauer die Sendung hervorragend angenommen haben.
Also zwei Serienstarts hatten wir jetzt bei den Privaten und RTL zeigt auch am Montag um 21.15 Uhr deutsche Serien. «Im Namen des Gesetzes» läuft dort nicht so stark, wie man es sich sicherlich wünscht. Ich bin gespannt darauf, wie es mit der Serie weitergeht, bin aber überzeugt, dass RTL auf diesem Slot weiterhin deutsche Ware zeigen wird.
Was die Daytime betrifft: Da ist es die große Frage, ob es wirklich fiktionale Formate sein werden, die in der Zukunft erfolgreich sind. Ich tippe fast eher auf Hybrid-Formate.
Also Scripted-Reality oder Real-Life-Formate…
Im Prinzip Formate, die nicht von Schauspielern geführt werden, sondern in denen echte Menschen dem Zuschauer gewisse Umstände Nahe bringen. Deswegen bin ich der Überzeugung, dass gerade solche Sendungen eine große Zukunft haben. Aber sicherlich hat auch Light Fiktion eine Perspektive. Solche Formate haben es leider allgemein schwer, weil auf diesen Programmplätzen nur sehr wenig Geld zur Verfügung steht. So müssen wir es schaffen, mit knappem Budget eine möglichst hohe Qualität herzustellen. Ob die Sender dieses Risiko langfristig überhaupt weiterhin eingehen – da bin ich mir unsicher, zu wünschen wäre es. Zumindest RTL macht dies nun und schickt «Staatsanwalt Posch ermittelt» an den Start.
Wenn wir uns aber nun an das erste Halbjahr 2006 erinnern. Da lief «Lenßen & Partner» bei Sat.1 hervorragend, «K11» holte sehr hohe Reichweiten und auch «Niedrig & Kuhnt» ist eine feste Größe. Während am Nachmittag also Billig-Sendungen funktionieren, schauen die Werberelevanten am Abend nur millionenteure US-Serien. Was ist denn nun angesagt? Geld oder Sparprogramm?
Starke Charaktere und emotionale Geschichten sind wichtig. Ob diese jetzt in einer US-Serie in der Primetime oder in Fiktion Light Formaten stattfinden, ist nicht so wichtig. Aber es ist klar, dass am Nachmittag keine Big-Budget-Produktionen zu sehen sein können – dazu fehlt einfach das Geld. Ich glaube aber auch, dass der Zuschauer sich in der Daytime auch gar nicht konzipierten, fiktionalen Erzählsträngen hingeben möchte. Tagsüber möchte man sich eher das Leben anschauen, abends sieht man lieber das Leben der anderen, was also alles möglich sein könnte. Letztlich will der Zuschauer aber beides sehen. Und genau aus diesem Grund finde ich die Idee mit den Light Fiktion-Formaten eigentlich sehr spannend, aber sie birgt auch gewisse Gefahren. Ich glaube fest an den Erfolg solcher Produktionen, aber nur, wenn man den Spagat schafft, dass die Erzählweise für das Publikum am Tag nicht zu anspruchsvoll wird – es darf also nicht so sein, dass man sich richtig konzentrieren muss, damit man mitkommt – und die Serie muss eine gewisse Realitätsnähe vorweisen.
Es geht also gar nicht um teuer oder billig, sondern nur darum, ob der Zuschauer sich in den erzählten Geschichten wieder findet oder nicht. Das ist der wichtigste Eckpunkt, den solche Formate beachten müssen.
Ganz davon abgesehen: Glauben Sie an einen Erfolg von «Staatsanwalt Posch ermittelt»?
Ja, glaube ich.
Sat.1 hat drei Ermittlerformate, RTL nimmt eines ins Programm auf und auch RTL II hat angekündigt, mit «KTI» eine Ermittler-Doku zu zeigen. Droht da eine Übersättigung?
«Posch ermittelt» hat zum einen eine Chance, weil die Figur des Staatsanwalts bereits bekannt ist und der Fokus dieser Serie wirklich auf dem Staatsanwalt liegt. Formate haben immer dann parallel eine Chance, wenn jede Sendung ihre Eigenheiten hat und sich die Sendungen deutlich voneinander abheben. Und das schafft «Staatsanwalt Posch». Aber Sie haben irgendwo schon auch Recht: Grundsätzlich besteht diese Gefahr bei den Ermittlersendungen genauso wie bei den Koch- und Ess-Shows derzeit.
Wo sehen Sie die Courtshows im Jahr 2008?
Gerichtssendungen werden nach wie vor ein Bestandteil im deutschen Fernsehen sein. Sat.1 ist mit seinen zwei Formaten sehr erfolgreich. Lediglich RTL schwächelt derzeit mit «Jugendgericht» und «Familiengericht». Auf den gesamten Fernsehmarkt bezogen werden solche Shows auch künftig gute Zahlen holen können, ich denke aber schon, dass es dort eine gewisse Marktbereinigung geben wird und nur die besten Formate überleben. Ich glaube, dass wir im Herbst 2007 einige Gerichtsshows weniger sehen als es momentan der Fall ist.
Geben Sie mir Recht, wenn ich sage, dass wahrscheinlich eine neue Talkshow auftauchen wird?
Ja, glaube ich auch. Die Talkshow wird ihre Wiedergeburt erleben.
Wie stark kämpfen denn die Produktionsfirmen wie filmpool aktuell darum, dass Sie ihre Sendeplätze – auch nach einem Auslaufen von Gerichtsshows – behalten können, nur eben mit anderen Formaten?
Das ist das kleine 1x1 eines Produzenten. Man muss nicht nur das bestehende Format pflegen und weiterentwickeln, sondern auch an möglichen Nachfolgeformaten arbeiten.
Seit Jahren ist die Rede davon, dass Gameshows ihr Revival erleben werden. In Deutschland ist man davon aber noch weiter entfernt.
Solche Shows können bei weiterer Digitalisierung recht wichtig werden. Ich sehe RTL Passion, aber auch den Comedy Kanal wirklich gerne. Möglicherweise wird man auf ähnlichen Kanälen demnächst auch wieder mehr spielen. Gameshows, wie es sie früher gab, wird es wohl auch in naher Zukunft nicht geben.
Wie lautet Ihre Empfehlung? Was ist am Nachmittag stark im Kommen, mal abgesehen von Ermittlerformaten.
Bei den Menschen zu sein. Da ist es egal, ob es ein Ermittlerformat ist oder ein Real-Life-Format. Die Sendung muss mit den Bedürfnissen und dem Erlebten der Zuschauer zu tun haben. Wenn dieser Fakt gegeben ist, hat die Serie eine Chance auf Erfolg.
Ein Paradebeispiel wäre hierfür «We are Family»?!
Genau, ein großartiges Format. Grundsätzlich bin ich aber überzeugt, dass Fiktion Light Formate den Zuschauern und den Senderverantwortlichen in der kommenden Zeit viel Spaß bereiten werden. Einen Fehler dürfen die Macher hierbei aber nicht machen: Sie dürfen nicht versuchen, so wie eine Primetime-Serie auszusehen. Genau das würde nämlich nicht klappen. Die Leute wollen am Tag etwas anderes sehen als am Abend.
Im zweiten Teil des Interviews spricht Tim Greve mit uns über Soaps und Telenovelas in Deutschland und warnt davor, gerade bei Telenovelas die Glaubwürdigkeit zu verspielen, wenn man eben diese wieder und wieder verlängert.
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