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Jahresrückblick 2006 mit Thomas Kausch

Traditionell am Jahresende: Sat.1-Informationsdirektor Thomas Kausch blickt mit Manuel Weis auf das vergangene Jahr zurück. Im ersten Teil widmeten sich die beiden den Themen Fußball-WM, Karikaturenstreit, Gammelfleisch und vielem mehr.

Herr Kausch, das Jahr 2006 begann mit einer Katastrophe in Bayern. Der Eishalleneinsturz von Bad Reichenhall forderte zahlreiche Opfer, vor allem Familien waren davon betroffen. Wie sicher sind denn unsere Gebäude, vor allem auch in Zukunft, da ja immer extremere Wetterbedingungen zu erwarten sind. Wurde bzw. wird da vielleicht am falschen Ende gespart?
Das müsste natürlich überprüft werden. Der TÜV ist da Anfang des Jahres ja auch tätig geworden. Damals wurde schnell darauf hingewiesen, dass alles in Ordnung sei. Eine flächendeckende Untersuchung hat man damals nicht für nötig gehalten. Das halte ich doch für ein wenig fahrlässig. Man hätte da durchaus mal genauer nachhaken können.

Solche Bilder wie die aus Bad Reichenhall braucht niemand mehr, man weiß ja noch nicht, wie hart der Winter dieses Jahr wird. Am 27. Januar starb dann Johannes Rau – ein großartiger Staatsmann, der ein sehr beeindruckendes Leben hatte.
Absolut. Er war unheimlich bürgernah, deswegen wurde er auch „Bürger-Präsident“ genannt. Das kann man vielleicht am plastischsten an seiner Leidenschaft für Skat festmachen. Ich habe ihn auch kennen gelernt und ihn als lebensnahen Menschen empfunden. Sein Tod ist in jedem Fall ein großer Verlust für Deutschland.

Sein Nachfolger Horst Köhler machte 2006 andere Schlagzeilen. Er war unbequem, unterschrieb zwei Gesetze nicht und meldete sich auch sonst zu Wort. War es ein gutes Jahr für ihn?
Ich habe keine Probleme damit, wenn sich eine zusätzliche Instanz einschaltet und auch unbequem ist, dann muss das nicht grundsätzlich schädlich sein. Richard von Weizsäcker war auch unbequem und ist als ein großer Präsident in die Geschichte eingegangen. Er hat zwar vielleicht ein etwas edler anmutendes Charisma als Horst Köhler, aber in der Sache war er genau so unbequem.

Kommen wir zum Karikaturenstreit. Bilder, die den Propheten Mohammed zeigten, lösten eine Welle der Empörung unter den Moslems aus. Was folgte waren nicht nur Proteste sondern auch Kritik an den Journalisten, die die Bilder veröffentlicht hatten. Darf man so etwas als Journalist?
Ich finde, die weitere Geschichte im Laufe des Jahres hat gezeigt, dass die Bilder richtigerweise veröffentlicht wurden. Die Absetzung der „Idomeneo“-Oper in der Berlin verdeutlichte, zu welchen Konsequenzen vorauseilender Gehorsam führen kann. Die Lösung der sicherlich vorhandenen Probleme zwischen der islamischen und westlichen Welt kann nicht darin liegen, dass wir hier unsere Werte – und dazu zählt vor allen Dingen auch die Meinungsfreiheit – aufgeben.

Das Jahr 2006 hat aber auch gezeigt, was passieren kann, wenn man vermeintlich schlecht über den Propheten Mohammed spricht. Der Papst hat diesbezüglich ein mittelalterliches Zitat verwendet, was zur Folge hatte, dass nicht nur Deutschland-Flaggen in der islamischen Welt brannten, sondern sogar sein Türkei-Besuch auf der Kippe stand.
Es sind nicht die Weltreligionen an sich, die weit auseinander sind, das hat Benedikts Besuch in der Türkei dann auch gezeigt. Vielmehr sind es einzelne Fanatiker, die sich so etwas zu nutze machen. Diese Verbrennungen von Fahnen und anderen Gegenständen sind doch in der Regel organisiert und kein spontaner Wutausbruch.

Trotzdem: Eine Lösung des Problems ist wohl vorerst nicht in Sicht.
Die ist nicht in Sicht, richtig. Das wird eines der ganz großen weltpolitischen Probleme in der Zukunft bleiben.

Kommen wir zu einem erfreulichen Ereignis. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Die war ja nicht erst im Juni ein großes Thema, sondern bereits davor. Die Torwart-Frage hat uns beschäftigt. Am Ende entschied sich Jürgen Klinsmann für Jens Lehmann und gegen Oliver Kahn. Eine richtige Entscheidung?
Ich finde es gut, dass der Lehmann das gemacht hat. Oliver Kahn war ewig lange im Tor und es war gut, dass das Duell in einem offenen Wettbewerb ausgetragen wurde. Hätte es Kahn machen sollen, nur weil er es die Jahre vorher schon gemacht hat?

Sie haben sicherlich auch Prognosen abgegeben. Was haben Sie der Mannschaft zugetraut?
Im Herzen habe ich sie als Weltmeister gesehen. Realistisch gedacht war aber eher das Achtelfinale das Ziel bei mir.

Wo und wie hat Thomas Kausch die WM-Spiele gesehen?
Wir wohnen glücklicherweise nur ein paar Straßen entfernt von dem Schlosshotel, in dem die Nationalmannschaft untergebracht war und waren so immer in unmittelbarer Berührung. Der gesamte Bereich wurde übrigens von der Polizei kontrolliert und abgesperrt – man konnte aber trotzdem immer bis direkt vors Hotel gehen – das fand ich toll. Ich bin also sehr oft mit meiner zehnjährigen Tochter, die absolut fußballverrückt ist, vor das Hotel gepilgert und habe unseren Helden den nötigen Respekt erwiesen.

Einige Spiele fanden nachmittags statt. Nicht wenige Deutsche konnte diese nicht sehen, weil sie arbeiten mussten. Durften die Redakteure bei Ihnen in der Redaktion gucken?
All denjenigen, denen wir es irgendwie möglich machen konnten, haben wir erlaubt das Spiel zu verfolgen. Sie konnten das direkt in der Redaktion machen – wir sind beim Fernsehen und deswegen stehen hier auch ein paar Geräte herum. Wir haben uns aber auch regelmäßig nachmittags in der Kneipe um die Ecke getroffen und haben zusammen geschaut. Ohnehin war das das Tolle, ich glaube die Wenigsten haben die WM alleine bei sich zu Hause verfolgt.

Die Stimmung während der WM-Zeit wird für mich unvergessen bleiben. Konnten die Deutschen diese positive Grundhaltung auch beibehalten?
Im Grunde genommen ja. Die verblüffende Erkenntnis, dass auch wir Deutschen locker sein und Spaß haben können und mehr leisten können als bisher gedacht, die ist über den Tag hinaus gerettet worden. Dass wir heute natürlich keine Freudentänze mehr auf der Straße des 17. Juni fabrizieren, ist eigentlich klar.

Ein erster Dämpfer kam schon kurz nach der WM. Jürgen Klinsmann gab bekannt, sein Amt als Bundestrainer nicht weiterführen zu wollen. War auch das eine richtige Entscheidung?
Ich glaube, dass es eine gute Entscheidung war. Klinsmann ist ein sehr amerikanisch denkender Projektmanager. Die Nationalmannschaft war eben ein zeitlich begrenztes Projekt mit einem ganz konkreten Ziel. Darauf hat er hin gearbeitet und das mit Erfolg. Jogi Löw hat seine Arbeit mit Erfolg fortgesetzt und er war es ja auch, der zuvor schon der Stratege und Taktiker im Hintergrund war.

Wir hatten aber auch Glück während der WM – es verlief alles reibungslos. Dennoch: In Berlin raste ein Auto auf die Fanmeile zu, konnte aber noch gestoppt werden. Und – wie man später erfuhr – hatten Attentäter Anschläge mit Kofferbomben auf Züge geplant…
Wenn man bedenkt, wie viele Menschenmassen in diesen Tagen unterwegs waren, dann sollte man diesen einen Vorfall mit dem Auto in Berlin nicht zu hoch hängen. Es war alles zu jeder Zeit gut unter Kontrolle. Ein Auto ist im Prinzip immer eine Waffe und theoretisch könnte damit jeder irgendwo Amok fahren.
Die Kofferbomber-Geschichte ist natürlich eine andere. Da muss man sich aber verdeutlichen, dass natürlich auch Deutschland nicht sicher ist vor derartigen Anschlägen. Der Innenminister hat dies immer wieder betont.

Befürchten Sie, dass Sie bald über Terroranschläge in Deutschland berichten müssen?
Befürchten ist das falsche Wort. Es ist aber nicht auszuschließen.

Eine denkwürdige Bekanntheit hat die Berliner Rütli-Schule errungen. Lehrer hatten sich mit einem Hilfeschrei an die Öffentlichkeit gewandt, weil die Zustände dort nicht mehr tragbar waren. Entbrannt ist dadurch auch eine erneute Diskussion um richtige Integration. Herr Kausch, ist es überhaupt möglich, an Schulen mit derart hohem Ausländeranteil ein vernünftiges Lernklima zu schaffen oder ist es möglicherweise gar nicht so schlecht, wenn diese Jugendlichen unter sich sind?
Weder noch. Wir haben die Zuwanderer hier in Deutschland und wir brauchen sie auch. Natürlich muss es unsere Aufgabe sein, für eine bessere Integration zu sorgen. In der Schule müssen die Lehrer meiner Meinung nach einfach besser ausgebildet werden, um auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Gerade kürzlich ist eine Untersuchung herausgekommen, dass immer mehr Lehrer unter dem Burn-Out-Syndrom und den immer aggressiver werdenden Schülern leiden.

Einerseits denke ich eigentlich, dass es viel zu pauschal ist, einfach zu sagen, die Schüler werden immer gewalttätiger. Wenn wir auf der anderen Seite aber die Amokläufer und deren Trittbrettfahrer sehen, dann ist dieses Problem wohl kaum von der Hand zu weisen. Die Lehrer müssen also besser auf diese Realität vorbereitet werden. Einfach nur Biologie und Erdkunde studiert zu haben, reicht heutzutage nicht mehr – der pädagogische Aspekt und auch der Management-Aspekt sollten wesentlich stärker beachtet werden.

Können Sie verstehen, dass es Probleme gibt, überhaupt noch Hauptschullehrer zu finden?
Natürlich ist das schwer. Das ist ja kein attraktiver Job, weil man sich täglich mit Problemen auseinandersetzen muss. Ein ähnliches Problem gibt es auch bei Berufsschullehrern. Aber auch hier muss bei der Ausbildung angesetzt werden. Wir brauchen mehr solche Typen wie den Direktor, der dann an die Rütli-Schule berufen wurde und am ersten Tag mit Motorrad und Lederjacke vorfuhr. Dieser hat mit den Jungs an der Schule dann sowohl Box- als auch Tanzkurse abgehalten. Er ist dort sehr erfolgreich und hat die Rütli-Schule innerhalb von ganz kurzer Zeit gedreht – es gibt jetzt einfach einen neuen Teamgeist.

Man hat zur Zeit das Gefühl, dass die Rechtsradikalen auf dem Vormarsch sind. Es gab den Übergriff auf Emyras M., einen farbigen Mitbürger, es gab aber auch diverse Wahlerfolge für die NPD. Wie kann man diesen Vormarsch stoppen?
Dieses Problem wird es immer geben – das gibt es in anderen europäischen Ländern auch, zum Teil sogar in noch größerem Ausmaß. Wir Deutschen haben natürlich eine ganz andere Verantwortung damit umzugehen. Eine Lösung des Problems könnte es sein, zunächst an wirtschaftlichen Grundlagen anzusetzen, um so die Unzufriedenheit der Menschen auf diese Art und Weise erst gar nicht entstehen zu lassen. Dass diese Politiker natürlich Rattenfänger sind und nichts anderes, ist klar.

Da hat niemand eine wirkliche politische Idee – dennoch können wir nicht einfach vier Jahre lang warten, bis sich diese Menschen selbst als unfähig entlarven. Wir Journalisten müssen konsequent darüber berichten und in diesem Sinne konstruktiv daran arbeiten, die Politik dieser Menschen ad absurdum zu führen.

Rechtsradikale Parteien zielen ja – wie Sie es schon erwähnten – mit Vorliebe auf sozial schwächere ab. Und schon wären wir beim Begriff Unterschicht, den einst Harald Schmidt hervorbrachte, der nun aber auch von Kurt Beck aufgegriffen wurde. Gefällt Ihnen dieser Begriff?
Der Begriff ist nicht gut gewählt, weil er Menschen nochmals ausgrenzt, in dem er ihnen einen Namen gibt. Dass es verschieden vermögende Gesellschaftsschichten gibt ist eine Tatsache, die so schon immer vorhanden ist. Der Mensch an sich ist egoistisch und im Grunde vielleicht nicht immer gut – deswegen werden wir diese Schere sicherlich nicht aus der Welt schaffen können. Das aber nun zu labeln und damit eine Gruppe komplett auszugrenzen ist falsch.

Kommen wir zum Essen. Tim Mälzer hat die Deutschen dazu aufgefordert, mehr auf Qualität zu achten. Das passt zusammen mit den diversen Gammelfleisch-Skandalen im Jahr 2006. Essen Sie eigentlich noch Fleisch?
Ja, allerdings nicht jeden Tag, sondern vielleicht einmal in der Woche. Ich steh’ da mehr auf Fisch. Wir kaufen aber ohnehin eigentlich nur biologische Produkte. Jetzt kommt man da gleich immer in den Verdacht und sagt: „Okay, du kannst dir das auch leisten, wir müssen allerdings mehr auf den Preis achten“. Es müssen natürlich auch günstige Nahrungsmittel gut sein und nicht gammelig. Ganz davon abgesehen denke ich aber schon, dass jeder Verbraucher die Chance hat, qualitativ hochwertige Nahrung zu kaufen, auch wenn er weniger Geld hat. Wir geben sehr viel Geld aus, sehr reichhaltiges Benzin zu kaufen, sparen auf der anderen Seite aber daran, reichhaltige Nahrungsmittel in unseren eigenen Motor zu stecken.

Vielen Dank für's Erste, Herr Kausch. An Silvester blicken wir auf die weiteren Themen des Jahres zurück - unter anderem behandeln wir dann auch die wichtigen Medien-Ereignisse des Jahres 2006.
26.12.2006 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/18019
Manuel Weis

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Kausch

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