Die Kritiker: «Miss Sophie – Same Procedure as Every Year»

Zum Jahresende erzählt Amazon Prime die Vorgeschichte von «Dinner for One». Daran kann man nur scheitern? Mitnichten!

Darsteller

Alicia von Rittberg
Kostja Ullmann
Moritz Bleibtreu
Frederick Lau
Jakob Matschenz
Christian Schechinger
Man muss sich erst einmal trauen, einem der festbetoniertesten Rituale der deutschen Fernsehkultur zu nahe zu kommen. «Dinner for One» ist kein Sketch mehr, sondern Jahresendzustand, eine Art kollektiver Reflex zwischen Sektkorken und Silvesterknallerei. Wer daraus eine Serie macht, riskiert viel: nämlich Nostalgiker, Gewohnheitswächter, empörte Feuilleton-Geister zu vergrätzen. «Miss Sophie – Same Procedure as Every Year» geht dieses Risiko erstaunlich unbekümmert ein – und gewinnt gerade daraus seinen Charme.

Denn diese Amazon-Prime-Serie will gar nicht erklären, warum wir alle Jahr für Jahr über denselben Sturz über den Tigerkopf lachen. Sie will auch nicht entzaubern oder ironisch brechen. Stattdessen stellt sie eine viel simplere, fast naive Frage: Wer war diese Frau eigentlich, bevor sie zur Ikone wurde? Und was muss passiert sein, damit aus einem lebendigen Leben ein Ritual aus Porzellan, Sherry und Geistergästen wird?

Die Antwort fällt angenehm verspielt aus. Die Serie erzählt Miss Sophie als junge Frau im England des frühen 20. Jahrhunderts, verarmt, aber nicht verzagt, gesellschaftlich eingehegt, aber geistig beweglich. Alicia von Rittberg spielt sie mit genau der richtigen Mischung aus Haltung und Zweifel. Das ist keine historische Heldin mit Ausrufezeichen, sondern eine Figur, die sich tastend durch Konventionen bewegt – und gerade dadurch interessant wird. Man merkt: Diese Miss Sophie ist noch nicht fertig, noch nicht zur Statue erstarrt. Sie irrt, plant, verheddert sich. Und das ist vielleicht der klügste Zugriff der Serie.

Das Setting – ein marodes Landhaus, fünf eingeladene Herren, ein Mord – wirkt auf dem Papier wie ein Genrebaukasten aus Krimi, Komödie und Kostümfilm. Doch «Miss Sophie» interessiert sich weniger für die Mechanik des Whodunits als für das soziale Gefüge dahinter. Wer sitzt hier warum am Tisch? Wer wird eingeladen, wer ausgeschlossen? Und welche Geschichten erzählt man sich, um Ordnung in ein Leben zu bringen, das aus den Fugen geraten ist?

Dabei erlaubt sich die Serie einen Tonfall, der wohltuend altmodisch wirkt, ohne staubig zu sein. Der Humor ist selten laut, oft beiläufig, manchmal sogar nur angedeutet. Pointen entstehen aus Blicken, aus Pausen, aus dem leichten Verschieben von Erwartungen. Das erinnert weniger an zeitgenössische Serienkomik als an jene britische Erzählhaltung, die weiß, dass man Witz nicht erklären muss, um ihn wirken zu lassen.

Kostja Ullmann als Butler James ist dabei mehr als nur das Augenzwinkern Richtung Original. Seine Figur trägt eine leise Melancholie in sich, eine Zurückhaltung, die nicht bloß Dienerrolle, sondern emotionale Schutzstrategie ist. Die Beziehung zwischen James und Sophie bleibt bewusst ambivalent, ein Spiel aus Nähe und Distanz. Dass hier etwas nicht gesagt wird, gehört zum Konzept – und vielleicht auch zur späteren Einsamkeit der alten Miss Sophie.

Natürlich ist nicht alles gleich elegant. Einige Nebenfiguren sind stärker Typ als Charakter, manche Wendung lässt sich kommen sehen. Der Mordfall selbst wirkt stellenweise eher wie erzählerischer Anlass denn als zwingendes Zentrum. Aber das stört kaum, weil die Serie ihre eigene Unaufgeregtheit behauptet. Sie hetzt nicht, sie erklärt nicht zu viel, sie vertraut darauf, dass Atmosphäre und Figuren tragen.

Am Ende ist diese Serie damit weniger Prequel als Perspektivwechsel. Sie fügt dem Ritual keine Pointe hinzu, sondern eine Vorgeschichte, die man nicht kennen muss, um sie zu mögen, die aber überraschend gut funktioniert, wenn man sich darauf einlässt. «Miss Sophie – Same Procedure as Every Year» ist leicht, klug, manchmal verspielt, manchmal melancholisch. Eine Serie, die nicht fragt, warum wir Traditionen brauchen, sondern zeigt, wie sie entstehen: aus Entscheidungen, aus Verlusten, aus dem Wunsch, etwas festzuhalten, wenn alles andere verrutscht. Und vielleicht schaut man danach «Dinner for One» wieder wie jedes Jahr – lacht an denselben Stellen, kennt jeden Schritt. Aber irgendwo schwingt dann ein Gedanke mit: Dass hinter diesem Ritual einmal ein Leben stand. Und genau das ist mehr, als man von einer solchen Idee erwarten durfte.

Die Serie «Miss Sophie – Same Procedure as Every Year» ist im Streaming-Angebot von Amazon Prime zu finden.
24.12.2025 11:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/167575
Oliver Alexander

super
schade


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Dinner for One Miss Sophie

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