Mit «Das Verlangen» inszeniert Andreas Kleinert einen der letzten Fälle für Batic und Leitmayr – und verlegt den Münchner «Tatort» in einen geschlossenen Theaterkosmos voller Eitelkeit, Sehnsucht und Illusion. Im Gespräch erzählt der Regisseur von der besonderen Melancholie dieses Films, vom Aufeinandertreffen staatlicher Ordnung und künstlerischer Freiheit – und davon, wie sich im Spiel mit Bühne und Realität bereits leise Spuren des großen Abschieds abzeichnen.
Herr Kleinert, „Das Verlangen“ ist der vorletzte Fall für Batic und Leitmayr – was bedeutet es Ihnen persönlich, einen Teil der letzten Fälle zu inszenieren?
An erster Stelle ist es die Freude, zum wiederholten Male mit den beiden Schauspielern in ihren Kommissars-Rollen zusammenzuarbeiten. Außerhalb dieser Charaktere kann man sich ja in anderen Filmen wiederbegegnen.
Der Film spielt mitten im Theatermilieu und beginnt mit einem Tod auf der Bühne. Was hat Sie an dieser Welt der Kunst und Eitelkeiten als Krimischauplatz besonders gereizt?
Das Theater ist eine große Leidenschaft von mir. Alles, was auf und hinter der Bühne geschieht, hat eine große Unabhängigkeit von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, es existiert wie ein außerirdischer Planet. Es gelten hier andere Gesetze. Aber die Kommissare vertreten den Staat und die dort geltenden Gesetze. Das gibt einen spannenden Aufprall zweier Welten. Auch die Frage, was ist wahrhaftig, was ist Wahrheit, was ist gespielt oder erfunden? Spannend für jeden Dialog in diesem Film, was können die Kommissare glauben. Spüren sie den Unterschied?
Theater und Film haben ganz unterschiedliche Rhythmen. Wie haben Sie beim Inszenieren mit diesen Ebenen gespielt – also Bühne, Probe und Realität ineinanderfließen lassen?
Egal, ob als Bühnengeschehen oder das Leben hinter der Bühne muss alles cineastisch erzählt werden. Theater im Film funktioniert nur eingeschränkt, wir wollten aber auch das eigentliche Theaterspiel filmisch erzählen. Auch für die Theaterdialoge muss da eine eigene Tonalität gefunden werden, die zwischen dem filmisch psychologischen Ton und der theatralen Dynamik liegt.
Batic und Leitmayr sind seit über 30 Jahren ein eingespieltes Team. Wie haben Sie die beiden Figuren in diesem Film beobachtet – gibt es bereits Zwischentöne, die auf das kommende Finale verweisen?
Diese Folge betont sehr die Freundschaft der beiden Kommissare, was ich in all meinen Münchener Tatorten so gemacht habe. Hinzu kommen eine gewisse Melancholie und ein stilles Verständnis der Beiden. Bei allen Streitigkeiten und „Besserwissereien“ geht es um gegenseitige Wertschätzung, gerade auch gegenüber Kalli, der den Staffelstab übernehmen wird.
Können Sie verraten, ob Sie beim Dreh schon Szenen oder emotionale Akzente gesetzt haben, die in direkter Verbindung zum Abschiedsfall 2026 stehen?
Es gibt zwei Szenen, die auf den Abschied anspielen.
Der Film ist stark atmosphärisch, arbeitet mit Schnee, Dunkelheit und Bühnenlicht. Wie haben Sie und Kameramann Johann Feindt visuell die besondere Stimmung von „Das Verlangen“ geschaffen?
Gutes Bühnenlicht muss nicht gutes Filmlicht sein. Stilisierungen auf der Bühne müssen nicht gute Stilsierungen im Film sein. Obwohl es auch auf der Bühne eher zum Filmlicht tendiert, sollte man den Unterschied zu den anderen Szenen, unabhängig von der Bühne, deutlich bemerken können. Was wir aber immer in unseren Filmen anstreben ist, jeglichen Naturalismus zu vermeiden.
Die Geschichte spielt in einem geschlossenen Mikrokosmos mit Ensemble, Intrigen und verborgenen Leidenschaften. Welche filmischen Mittel nutzen Sie, um diese Enge und zugleich den Sog des Theaters spürbar zu machen?
Das ist eine Frage der gestalteten Ausstattung, der Auflösung der Bilder in besonderen Einstellungen und des Umgangs mit dem Sound im Theater.
In der Besetzung finden sich viele profilierte Theaterschauspielerinnen wie Ursina Lardi oder Anna Stieblich. Wie haben Sie mit ihnen gearbeitet, um die Grenze zwischen Spiel und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen?
Mit vielen von ihnen habe ich schon öfter gearbeitet und glücklicherweise sind auch viele Entdeckungen dabei. Alle sind auch Theaterschauspieler/innen, teilweise direkt vom Residenztheater. Schauspieler/innen, die Schauspieler/innen spielen sind eine besondere Herausforderung. Es sind einfach besondere Wesen, die man auch in ihrer Magie zeigen will. Dazu kommt die präzise Arbeit im Umgang mit Theatertexten im Film. Spiel und Regie lieben künstlerische Abenteuer!
Der Film heißt „Das Verlangen“ – ein sehr emotionaler Titel. Wie spiegelt sich dieses Motiv in Ihrer Inszenierung wider, jenseits des eigentlichen Kriminalfalls?
Die Zeitlosigkeit von Tschechows Theaterstücken trifft sich hier mit der erzählten gegenwärtigen Geschichte: Das Verlangen ist wie die Sehnsucht ein sehr universelles, archaisches Gefühl und schwebt durch alle Figuren.
Sie haben bereits mit dem Münchner Team bei „Die ewige Welle“ und „Flash“ gearbeitet. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl über die Jahre verändert?
„Freies Land“ kommt noch dazu, unser erster gemeinsamer Tatort. Von Mal zu Mal wird es immer direkter, familiärer und ehrlicher.
Wenn Sie auf die Zukunft von Batic und Leitmayr blicken: Was wünschen Sie sich für ihren Abschied – ein stilles Ende, ein großes Drama oder vielleicht etwas ganz Unerwartetes?
Das Unerwartete ist erstmal das Beste, was man ihnen wünschen kann. Als Edgar Selge und Michaela May ihren letzten «Polizeiruf» in München drehten, hatte ich die Ehre, ihr Regisseur zu sein. Was ich mir damals vorgenommen habe, scheint mir auch für Miros und Udos Abschied zu gelten: Sie nicht nur in ihrer Funktion zu verabschieden, sondern als Menschen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit, wie Freunden, denen man das Beste wünscht für den Weg. Mit einer guten Prise Humor, der so sehr zu ihnen gehört. Es sollte der Anstoß von Erinnerungen an die beiden Helden sein, in denen man sich wohlfühlt und sie gerne ins Bewusstsein wieder hochholt.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Der «Tatort» mit dem Titel „Das Verlangen“ wird am Donnerstag, den 2. Weihnachtsfeiertag, um 20.15 Uhr ausgestrahlt.
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