Podstars: «Crime History»

Der junge Podcast reist in die düstere Unterwelt der 1920er-Jahre und rekonstruiert historische Kriminalfälle aus Berlin und Brandenburg mit atmosphärischer Präzision.

Mit «Crime History» hat der rbb einen True-Crime-Podcast auf den Markt gebracht, der sich angenehm vom üblichen Genre-Einerlei abhebt. Statt aktueller Fälle oder prominenter Kriminalprozesse widmet sich das Format historischen Verbrechen aus Berlin und Brandenburg – vor allem aus den 1920er-Jahren, einer Epoche voller sozialer Extreme, politischer Umbrüche und urbaner Abgründe. Moderiert von Janna Falkenstein und Florian Prokop, verbindet die Reihe packende Kriminalgeschichten mit historischen Hintergründen und atmosphärischer Archivrecherche, sodass man sich mitten hineinversetzt fühlt in die rauen, chaotischen Jahre der frühen Weimarer Republik.

Der Podcast greift auf eine Epoche zurück, in der Berlin zwar glitzerte, vibrierte und Kunstgeschichte schrieb, gleichzeitig aber eine Brutstätte für Gewalt, Armut, Prostitution, politisches Chaos und organisierte Kriminalität war. Genau dieses Spannungsfeld nutzt «Crime History», um Geschichten zu erzählen, in denen alltägliche Not, moralischer Verfall und sozialer Druck genauso präsent sind wie Kokainrausch, Varieté-Glamour oder die beginnende Star-Kultur. Dabei geht es nie nur um den spektakulären Kriminalfall an sich – im Mittelpunkt steht das gesellschaftliche Klima, das solche Verbrechen erst möglich machte.

Die Hosts rekonstruieren die Taten detailreich, aber ohne Voyeurismus. Sie erklären, wie Polizei und Rechtsmedizin damals arbeiteten, welche Spurenverfahren in den 1920ern erstmals eingesetzt wurden und welche rechtlichen Rahmenbedingungen galten. Denn vieles, was heute selbstverständlich wirkt – DNA-Analysen, standardisierte Obduktionen, kriminalpsychologische Profile –, steckte damals noch in den Kinderschuhen. «Crime History» zeigt dadurch, wie mühsam, kreativ und manchmal improvisiert kriminalistische Arbeit vor 100 Jahren war. Gerade diese Mischung aus historischem Flair und akkurater journalistischer Recherche macht den Reiz des Formats aus.

Zugleich entfaltet der Podcast eine Galerie an Figuren, die man so schnell nicht vergisst: Hochstapler mit messerscharfem Charme, Tänzerinnen auf dem Weg nach oben – und unten –, brutale Serienmörder, clevere Einbrecher, verlorene Kriegsheimkehrer, gescheiterte Existenzen und zwielichtige Nachtgestalten, die sich durch die Clubs, Gassen und Bahnhöfe einer Stadt bewegen, die niemals schläft. Diese Menschen wirken oft beinahe literarisch, doch jeder von ihnen hat wirklich gelebt, jede Tat ist historisch belegt.

Neben den großen Hauptfolgen liefert «Crime History» immer wieder Bonus-Episoden, in denen die Hosts einzelne Aspekte vertiefen – etwa die Rolle der Rechtsmedizin, den Umgang mit der Todesstrafe oder die drogengetränkte Feierkultur der „Goldenen Zwanziger“. Diese Hintergrundstücke verleihen dem Podcast zusätzliche Tiefe und zeigen, wie eng Kriminalität, Zeitgeist und soziale Realität miteinander verwoben sind.

Dass «Crime History» erst seit kurzer Zeit auf dem Markt ist, merkt man kaum: Die Machart ist professionell, der Ton ausgewogen, die Dramaturgie präzise. rbb gelingt es, historische True-Crime-Stoffe so aufzubereiten, dass sie gleichzeitig lehrreich, spannend und atmosphärisch dicht sind. Für Hörerinnen und Hörer, die klassische True-Crime-Formate mögen, aber nach einem originellen Ansatz suchen, ist dieser Podcast eine klare Empfehlung – eine Reise in die Vergangenheit, die erschreckend moderne Fragen stellt: Was treibt Menschen zu extremen Taten? Was macht eine Gesellschaft anfällig für Gewalt? Und warum wiederholen sich manche Abgründe immer wieder?

28.12.2025 12:04 Uhr Kurz-URL: qmde.de/166593
Sebastian Schmitt

super
schade


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