Die heiß ersehnte neue Staffel des Netflix-Hypes «Squid Game» gerät von der ersten Minute an zu einem vollen Erfolg.
Das Trauma hält an: Seong Gi-hun kommt sich vor wie der Überlebende einer schlimmen Katastrophe, schlimmer noch: eines perfiden Spiels, in dem 455 Menschen aus Habgier und Sadismus grausam zu Tode geknechtet wurden. Gi-hun ist dieser Hölle als Einziger entkommen, mit einem Preisgeld von umgerechnet mehreren Dutzend Millionen Euro. Lange rührt er es nicht an – bis ihn eine Mission packt: Nämlich dieses Spiel, das offensichtlich seit Jahrzehnten einmal jährlich zur Belustigung der Superreichen auf einer einsamen Insel irgendwo im Koreanischen Meer ausgetragen wird, ein für allemal zu beenden.
Auf dieser Mission bekommt er Unterstützung von einem Ex-Polizisten, der schon in der 1. Staffel des «Squid Game» das ominöse Spiel unterwandern wollte, dabei aber auf sein ganz eigenes Trauma gestoßen ist. Er schließt sich Seong Gi-huns Kampf an, der in mühevoller Kleinarbeit wieder Zugang zu den Hintermännern herstellt – um anschließend erneut am mörderischen Spiel teilzunehmen.
Wo in der ersten Staffel – nicht unähnlich den bekannten «Saw»-Filmen von vor 20 Jahren – noch die kranken und tödlichen Kinderspiele im Zentrum des Stoffes standen, die die gut 400 Personen starke Riege an Statisten und Groß- wie Kleindarstellern aussortierten, bis am Schluss nur noch Seong Gi-hun übrig war, wird die Serie in ihrer zweiten Inkarnation noch deutlich psychologischer und stellt zunehmend die Natur des Menschen in ihren Fokuspunkt: Denn trotz seiner feurigen Reden, dass sie in diesem Spiel nichts als der sichere Tod erwarten wird, wenn sie nicht sofort den Abbruch beschließen und nachhause zurückkehren, dringt Seong Gi-hun nicht unbedingt zu seinen Mitspielern durch. Im Gegenteil: Trotz des Bodycounts wollen viele dabei bleiben – schließlich winken milliardenweise Wons als Preisgeld, die den überschuldeten Spielteilnehmern die Bereinigung ihrer Vergangenheit ermöglichen würden. Die Mär von der Geschicht‘: Das Überleben muss man sich leisten können.
Das emotionale und intellektuelle Zentrum der zweiten Staffel von «Squid Game» bildet damit eine bittere und zutiefst menschenpessimistische Erkenntnis: Das verarmte Volk bekommt von den reichen Hintermännern Brot und Spiele – und genau das will es auch. So wie ein verarmter Familienvater, der kurz vor Weihnachten seine letzten paar Kröten Ersparnisse für ein paar Rubellose zusammenkratzt, obwohl die Wahrscheinlichkeit für den großen Gewinn ähnlich hoch ist, wie in der nächsten Minute von Pamela Anderson überfahren zu werden – wie groß ist da schon der Sprung zum eigenen Leben als Wetteinsatz und einer Gewinnchance von 1:456?
Die dahinterstehende Rechnung geht dramaturgisch und inszenatorisch erneut auf – sogar besser als vor drei Jahren, als Netflix die 1. Staffel gestreamt hat. Obwohl es ein wenig dauert, bis die Figuren auf die ominöse Insel zurückkehren, wird die Exposition klug genutzt, um die psychischen Extremsituationen der Charaktere und das Mysterium um das perfide Spiel klug, weitsichtig und packend auszuloten. Sobald schließlich das erste Spiel ansteht, werden die Zuschauer Zeugen der groß angelegten und gleichzeitig lange im Verborgenen gehaltenen Charakterwandlung ihrer Hauptfigur, die sich vom überschuldeten Hallodri zum verwegenen Anführer gemausert hat. Deren Wirkung: Donnerwetter – zutiefst logisch und gleichzeitig emotional eindringlich!
Wer bisher an diesem Konzept gezweifelt hat, vielleicht weil man es zu reißerisch und voyeuristisch fand, wird in dieser neuen Staffel neben den eingefleischten Fans mit einer noch viel dichteren und psychologisch tiefgreifenden Geschichte abgeholt, die das Format um eine noch viel wirkmächtigere zweite Ebene bereichert. Geht es noch doppelbödiger? Eine dritte Staffel wurde von Netflix bereits angekündigt – und mit den letzten Szenen ein vielversprechender Nährboden bereitet.
Die 2. Staffel von «Squid Game» wird bei Netflix gestreamt.
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